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Hinweisgeberschutzgesetz: Bundestag will Whistleblower:innen besser schützen

Mit kleinen Änderungen überwindet das Hinweisgeberschutzgesetz eine der letzten Hürden. So werden etwa anonyme Meldewege künftig Pflicht. Scheitern könnte das verspätete Gesetz allerdings noch im Bundesrat.

Das Hinweisgeberschutzgesetz soll das Melden von Missständen einfacher machen. Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Bild: Rene Böhmer / Montage: netzpolitik.org

Mit reichlicher Verspätung kommt Deutschland einem Hinweisgeberschutzgesetz näher. Am Mittwoch einigte sich der Rechtsausschuss des Bundestags auf eine überarbeitete Fassung des Regierungsentwurfs, am heutigen Freitag soll der Bundestag das Gesetz beschließen. Zustimmen muss dann noch der Bundesrat.

Whistleblower:innen, die Missstände aufdecken wollten, waren hierzulande bislang weitgehend ungeschützt. Das konnte zu Repressalien wie Jobverlust oder gerichtlichen Auseinandersetzungen führen. Mit einer Richtlinie hatte die EU grundlegende Mindeststandards gesetzt, über die die deutsche Umsetzung teils hinausgeht. So können Hinweisgebende nicht nur Verstöße gegen EU-Recht abgesichert melden, sondern auch bestimmte Verstöße gegen deutsche Gesetze.

Anders als im Koalitionsvertrag versprochen bleibt der Anwendungsbereich jedoch beschränkt, etwa auf das Melden strafbewehrter Verstöße. Ein geschütztes Melden von erheblichem Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt, das aber nicht klar illegal ist, sieht das Gesetz nicht vor.

Leichte Ausweitung des Schutzbereichs

Immerhin sind künftig Tierärzt:innen von ihrer Verschwiegenheitspflicht entbunden, wenn es um die gewerbliche Haltung von Nutztieren geht, und können Tierquälerei melden. Zudem lässt sich Schadensersatz für immaterielle Schäden einfordern, etwa wenn ein:e Whistleblower:in gemobbt oder oder anders drangsaliert wurde.

Grundsätzlich gilt das Gesetz für private Unternehmen und für den öffentlichen Dienst, wobei Bereiche wie Geheimdienste oder die nationale Sicherheit ausgeklammert bleiben. Ab 50 Mitarbeitenden müssen interne Meldestellen eingerichtet werden, kleinere Unternehmen können dies an spezialisierte Dienstleister auslagern. Meldungen lassen sich auch bei externen Meldestellen abgeben, unter anderem beim Bundesamt für Justiz.

„Wir konnten beim Gesetz einige wesentliche Verbesserungen erreichen“, sagt der Bundestagsabgeordnete Till Steffen (Grüne). So sei gerade im Kontext der Reichsbürger-Razzia wichtig, dass nun auch Meldungen von rechtsextremen Chats umfasst sind. „Wir wollen, dass verfassungsfeindliche Tendenzen bei Beamten nicht erst herauskommen, wenn ein Umsturz mit Waffen geplant ist“, so Steffen.

Dass verfassungsfeindliche Äußerungen von Beamt:innen auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle gemeldet werden können, hatte es erst in letzter Sekunde ins Gesetz geschafft. Diese Änderung hätte man durchaus länger diskutieren können, meint Sebastian Oelrich von Transparency International. Es sei „nicht ganz absehbar, für was das alles gilt und was man darunter fassen könnte“, so Oelrich in einer ersten Einschätzung.

Anonyme Meldewege werden zur Pflicht

Ebenfalls neu aufgenommen wurde die Pflicht zu anonymen Meldewegen. Darüber gab es zwischen der Ministerien sowie den Ampelparteien lange Streit. Meldestellen müssen künftig nicht nur anonyme Kanäle einrichten, sondern solchen Hinweisen auch verpflichtend nachgehen. Das war im Entwurf von Justizminister Marco Buschmann (FDP) noch nicht enthalten, soll allerdings erst ab 2025 gelten.

Dass das Gesetz weiterhin eine Reihe an Schutzlücken aufweist, ist der Regierungskoalition offenkundig bewusst. So hat der Rechtsausschuss mit den Stimmen der Ampelparteien neben den Änderungsanträgen auch einen sogenannten Entschließungsantrag verabschiedet. In dieser unverbindlichen Resolution fordern die Abgeordneten die Regierung auf, einen erneuten gesetzlichen Anlauf zu unternehmen.

So möge die Bundesregierung prüfen, ob sich der Anwendungsbereich ausweiten lässt – sowohl in Richtung „erheblichen Fehlverhaltens“, als auch in den Bereichen der nationalen Sicherheit, der Nachrichtendienste und der Verschlusssachen. Letztere bleiben weiterhin weitgehend ausgeklammert. Prüfen soll die Regierung auch, zumindest eine unabhängige Kontrollinstanz einzurichten, welche die Einstufung von Verschlusssachen kontrolliert. Ferner sollen auch finanzielle Unterstützungsangebote für hinweisgebende Personen umgesetzt werden.

Union könnte noch reingrätschen

Doch mit dem zügigen Schließen dieser Leerstellen rechnet kaum jemand. Zudem muss der Bundesrat noch zustimmen – und dort braucht es auch Zustimmung von Ländern, in denen die Unionsparteien mitregieren. Ohnehin geht der aktuelle Gesetzentwurf weiter als der erste Anlauf aus der vergangenen Legislaturperiode. Dessen Umsetzung hatten die Unionsparteien verhindert und könnten dies erneut versuchen, so die Sorge.

Dennoch sei es unverständlich, warum manche der im Entschließungsantrag genannten Punkte nicht direkt in das Gesetz aufgenommen wurden, wundert sich David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). „Es wäre beispielsweise sehr einfach gewesen, das Gesetz so zu ergänzen, dass Meldungen von Diskriminierung, Belästigung und sonstigem Fehlverhalten geschützt sind.“

Zu begrüßen sei, dass die Koalition selbst Reformbedarf sehe, unter anderem beim Umgang mit Verschlusssachen. „Wir erwarten, dass hier zügig eine Kontrollinstanz geschaffen wird, die der exzessiven Einstufungspraxis in manchen Behörden Einhalt gewährt“, sagt Werdermann.

Sicher ist jedenfalls, dass die GFF in den nächsten Monaten strategische Verfahren zum neuen Hinweisgeberschutzgesetz vorbereiten wird. Damit will die Grundrechteorganisation Präzendenzurteile erstreiten, insbesondere im Bereich der Sicherheitsbehörden. „Dabei geht es vor allem um rechtsextreme Polizeichats, aber etwa auch um rechtswidrige polizeiliche Maßnahmen“, sagt Werdermann. „Deren Aufdeckung ist von besonderem öffentlichen Interesse. Daher ist es wichtig, dass das Hinweisgeberschutzgesetz mit Leben gefüllt wird.“


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