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Uploadfilter: EU-Kommission verlässt sich auf Filtersysteme der Industrie

Die Uploadfilter von Online-Diensten sind fehleranfällig und deren Beschwerdeteams überlastet. Dennoch vertraut die EU-Kommission der Industrie, die Meinungsfreiheit im Netz sicherzustellen. Auf Anfrage will die Kommission nicht beantworten, welche Filtersysteme zuverlässig funktionieren.

Der Moritz Körner hinterfragt Uploadfilter
Der EU-Abgeordnete Moritz Körner warnt vor verpflichtenden Überwachungssystemen, die weder technisch existent noch umsetzbar seien. – Alle Rechte vorbehalten Foto: IMAGO / Future Image / Bearbeitung: netzpolitik.org

Die EU-Kommission überlässt es in erster Linie den Online-Diensten wie Youtube, dass sie bei der technischen Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie der EU nicht übers Ziel schießen und zu viele zulässige Inhalte sperren. Es sei nicht Aufgabe der EU-Kommission, „vorab festzustellen, welche verfügbaren Technologien die für bestimmte Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten geltenden rechtlichen Anforderungen erfüllen“, heißt es in einer Antwort des EU-Wirtschaftkommissars Thierry Breton auf eine schriftliche Frage des EU-Abgeordneten Moritz Körner.

Im April hatte der Europäische Gerichtshof die Urheberrechtsreform der EU und die darin enthaltenen Uploadfilter grundsätzlich für rechtskonform befunden. Allerdings wies das Urteil auf die Gefahren von automatisierten Filtersystemen hin, die „nicht hinreichend zwischen einem unzulässigen Inhalt und einem zulässigen Inhalt“ unterscheiden könnten.

Dies könnte zu ungerechtfertigten Sperren von zulässigen Inhalten führen, was mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit unvereinbar sei. Indes stellte das Gericht klar, dass legale Inhalte nicht von Uploadfiltern ausgesiebt werden dürften. Zudem würden die verbesserten Beschwerdemöglichkeiten ausreichen, um bei Fehlentscheidungen die Meinungsfreiheit im Netz dennoch sicherzustellen.

Vorschnelle Pflicht für Überwachungssysteme

Dass die Kommission kein einziges Filtersystem eines Unternehmens nennen kann oder will, das hinreichend zwischen zulässigen und unzulässigen Inhalten unterscheiden kann, ärgert den liberalen Abgeordneten Körner. „Sowohl beim Urheberrecht als auch bei der Chatkontrolle gibt die EU-Kommission Unternehmen verpflichtende Vorgaben Überwachungssysteme einzusetzen, die sie selbst nicht kennt und die technisch nicht existent und umsetzbar sind“, sagt Körner.

Das bereitet selbst der größten Videoplattform der Welt Probleme. So liefert ein Transparenzbericht von Youtube aus dem Vorjahr Hinweise darauf, dass das System zur automatisierten Inhalteerkennung, ContentID, Fehlentscheidungen am laufenden Band trifft. Ganze 60 Prozent aller Beschwerden von Nutzer:innen, die sich gegen Sperren ihrer Inhalte gewehrt hatten, wurden letztlich zu ihren Gunsten entschieden.

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Immer wieder zeigt sich auch, dass ungerechtfertigte Urheberrechtsbeschwerden als Waffe eingesetzt werden können. Nicht zum ersten Mal wurde etwa im Sommer der populäre Youtube-Kanal „Lofi Girl“ gesperrt und mit einem „Copyright Strike“ belegt, obwohl die Rechte an den gesendeten Inhalten beim eigenen Label liegen. Aufgehoben wurde die Sperre vom offenkundig überlasteten Beschwerdeteam erst nach einem öffentlichen Aufschrei.

Bis das von der EU anvisierte Gleichgewicht zwischen zuverlässiger Inhalteerkennung samt effektiver Kontrolle sowie der Meinungs- und Informationsfreiheit hergestellt ist, dürfte es also noch ein wenig dauern. Doch viel zu oft verlässt sich die EU-Kommission auf Angaben der Industrie, ohne sie unabhängig zu überprüfen.

Zuletzt wurde etwa bekannt, dass in der Folgenabschätzung zur umstrittenen Chatkontrolle Erkennungsraten von Kindesmissbrauchsdarstellungen von über 90 Prozent auf vagen Industrieangaben fußen. „Kommissionspräsidentin von der Leyen nimmt bewusst in Kauf, dass in der EU Überwachungssysteme eingesetzt werden, die den richterlichen Vorgaben zum Grundrechteschutz nicht genügen“, warnt Moritz Körner.


Anfrage zur schriftlichen Beantwortung E-001602/2022 an die Kommission
Artikel 138 der Geschäftsordnung
Moritz Körner (Renew)

Betrifft: EuGH-konforme Filtersysteme

In seinem Urteil in der Rechtssache C-401/19 hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass ein Filtersystem, bei dem die Gefahr bestünde, dass es nicht hinreichend zwischen einem unzulässigen Inhalt und einem zulässigen Inhalt unterscheidet, sodass sein Einsatz zur Sperrung von Kommunikationen mit zulässigem Inhalt führen könnte, mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit unvereinbar wäre und das angemessene Gleichgewicht zwischen ihm und dem Recht des geistigen Eigentums nicht beachten würde.

Die Kommission hat in Vorbereitung ihres Gesetzesvorschlags zur Richtlinie (EU) 2019/790 eine Folgenabschätzung gemacht und sich mit vielen Vertretern der betroffenen Industrien getroffen.

Kann die Kommission ein Filtersystem eines Unternehmens nennen, bei dem die Gefahr nicht besteht, dass es nicht hinreichend zwischen einem unzulässigen Inhalt und einem zulässigen Inhalt unterscheidet, sodass sein Einsatz zur Sperrung von Kommunikationen mit zulässigem Inhalt führen könnte?


Antwort von Thierry Breton im Namen der Europäischen Kommission (25.7.2022)

In seinem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass es Sache der Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten ist festzulegen, welche konkreten Maßnahmen zu ergreifen sind, um die Einhaltung des Urheberrechts bei der Nutzung ihrer Dienste sicherzustellen. Sofern die Anbieter Artikel 17 befolgen, steht es ihnen somit frei, die Maßnahmen zu wählen, die den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen und Möglichkeiten am besten entsprechen und mit den übrigen Pflichten und Herausforderungen im Einklang stehen, denen sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit gegenüberstehen. Es ist deshalb nicht die Aufgabe der Kommission vorab festzustellen, welche verfügbaren Technologien die für bestimmte Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten geltenden rechtlichen Anforderungen erfüllen.

Wichtig ist vor allem, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des Artikels 17 darauf achten, dass sie sich auf eine Auslegung dieser Bestimmung stützen, die es erlaubt, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen durch die EU-Grundrechtecharta geschützten Grundrechten sicherzustellen.


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