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Kaputte Link-Kultur im Journalismus: Das Medium als Insel, die niemand verlassen darf

Vor ein paar Jahren dachten wir alle, dass sich Links zu Originalquellen in journalistischen Artikeln im Netz irgendwann durchsetzen würden. Doch bis heute wollen private und öffentlich-rechtliche Medienhäuser ihre Leser:innen entmündigen und einsperren – zu Lasten eines zeitgemäßen Journalismus. Ein Kommentar.

Insel in einem See mit Kirche
Die eigene Webseite aus Sicht von Medienhäusern. Außen am Ufer: das Internet. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Westend61

Vor ein paar Tagen bin ich über Firefox-Pocket auf einen Artikel im Stern gezogen worden. Die Überschrift hat mich neugierig gemacht, wie das halt so passiert. Es ging um eine mir unbekannte Ballermann-Sängerin, die achtmal den Hitlergruß gezeigt hat. Die „Bild“ soll das Video des Vorfalls veröffentlicht haben, erfahre ich. Leider fehlt im Stern-Artikel der Link auf diese Originalquelle.

Klar, der Stern will ja nicht, dass die Leser:innen schon zu Beginn des Textes zur Konkurrenz abspringen. Also schaue ich weiter im Text, mein Blick fällt auf das unterstrichene Wort „Hitlergruß“. Ich klicke und bekomme eine Liste mit Artikeln des Stern, die dieser mit „Hitlergruß“ verschlagwortet hat. Darunter nicht das Video. Also weiter im Text. Endlich sehe ich das Wort „Videoaufnahme“, ebenfalls als Link hervorgehoben. Da bekomme ich bestimmt das Video zu sehen. Ich klicke: Wieder eine Schlagwortliste, die mir Stern-Artikel mit dem Schlagwort „Videoaufnahme“ bringt. Weiter unten ist dann sogar „Gedankengut“ verlinkt, was auch auf eine Schlagwortseite führt. Was soll ich als Leser damit? Das ist Bullshit. 

Wer solche bescheuerten Links setzt, der erzieht Leser:innen dazu, im eigenen Medium nicht mehr auf Links zu klicken. Vielleicht ist das sogar ein gewünschter Nebeneffekt dieser durch Suchmaschinenoptimierung getriebenen Verlinkungen. Denn der Stern will hier intern verlinken, weil er sich davon verspricht, dass Google das irgendwie belohnt, wenn der Stern möglichst oft auf eigene Inhalte verweist. Dafür setzt die Redaktion Links auf irgendwelche Seiten beim eigenen Medium – aber nicht die externen Links, die Leser:innen eigentlich erwarten. Offenbar soll niemand den Stern über einen Link verlassen.

Aus Printen sind Plusler geworden

Überhaupt ist der Umgang mit Links in den meisten Medien heute ein Problem. Denn während solche „Suchmaschinenlinks“ an der Tagesordnung sind, versuchen viele Publikationen krampfhaft, ihren Leser:innen verlinkbare externe Quellen und damit weitere Informationen vorzuenthalten. Bloß keine Links im Text und erst recht nicht im ersten Drittel. Manche Medien haben sogar Listen von Medien, die Redakteur:innen nicht verlinken dürfen, weil diese Medien in direkter Konkurrenz zum eigenen Medium stehen. Oftmals müssen Journalist:innen intern genau begründen, warum ein Link nach außen notwendig ist. Das eigene Medium als Insel in einem Meer von Feinden. Als würde die Brücke nach draußen im Innern etwas kaputtmachen.

Und wenn dann ein Link gesetzt wird, quasi unauffindbar unter dem Text, dann muss der bitte in einem neuen Fenster öffnen. Damit die eigene Seite geöffnet bleibt und die Aufenthaltszeit höher wird, damit man später in irgendeiner glänzenden Media-Daten-Broschüre den Werbekunden irgendwas von langer Aufenthaltszeit und „Brand Quality“ erzählen kann. Als könnten Menschen nicht selbst bestimmen, wie sie Medien und Internet konsumieren.

Irgendwann in Urzeiten des Internets habe ich ja gedacht: Ok, das sind die alten Printen bei den Zeitungen, die sterben irgendwann und dann kommen die neuen Leute und setzen Links, wie man das im Internet eben so macht. Wir hatten bei den Blogs früher sogar Pingbacks, die unter dem Artikel anzeigten, wer darauf verlinkte. Es gab die Hoffnung, dass verlinken ganz normal würde. Das ist leider nicht eingetreten. Aus den Printen wurden Plusler, welche die gleiche alte, abgeschmackte Insel-Denke ihrer Seiten haben: Niemand darf raus, Links sind eine Gefahr für das eigene Produkt, für das eigene Abo-Geschäft, für die marke, die Seriosität, für was weiß ich was. Anstatt dem Leser einen Link zu geben, soll dieser mühsam selbst nach der Originalquelle suchen. Die Medienhäuser verhalten sich hier wie Instagram, aus dem man auch nicht rausverlinken darf – außer zu bezahlter Werbung.

Links sind Service, Respekt und Aufklärung

Dabei ist eine Vielzahl sinnvoller Links zu Quellen, Texten, wissenschaftlichen Artikeln, Originaldokumenten, weiterführenden internen und externen Texten ein Qualitätsmerkmal im Journalismus. Das große Versprechen des Internets ist doch, dass das Wissen der Welt immer nur einen Klick entfernt ist. Wir haben eine Technologie, mit der wir alle unsere Quellen belegen und erfahrbar machen können.

Man zeigt mit Links nicht nur den Leser:innen, dass man sich als Autor:in informiert hat, sondern gibt ihnen Werkzeuge an die Hand, damit sie selbst überprüfen können, von wo Informationen herkommen. Leser können damit kritisch Journalismus überprüfen. Und man bietet einen Service, sich rund um ein Thema umfassend zu informieren zu können. Es ist Kuration. Ein Mehrwert. Es ist zeitgemäßer Journalismus. 

Ein Link richtet sich zudem nicht nur an die Leser:innen, sondern auch an die Verlinkten selbst: Er ist Respekt vor der Arbeit von anderen, er ist Relevanzzuweisung und manchmal auch ein Stück Liebe im Internet. 

Wer nicht verlinkt, glaubt nicht an das eigene Produkt

Wer Links vermeidet, hat nicht genug Arsch in der Hose, um an die eigenen Inhalte und an die eigenen Leser:innen zu glauben. Es ist ein Stinkefinger an die Leserschaft. Und ein journalistisches Armutszeugnis. Es ist wie mit den Dokumenten, die immer nur vorliegen, aber von den meisten Medien nie veröffentlicht oder verlinkt werden. Journalismus, der sich selbst zu wichtig und die Leserschaft nicht ernst nimmt. Hier der allwissende Journalist, der oben in der Informationshierarchie steht, dort unten der konsumierende Leser, der blind vertrauen soll.

Viele junge Journalist:innen lehnen das auch ab. Aber sie werden in das linkfeindliche Korsett der privaten und öffentlich-rechtlichen Medienhäuser gezwungen. Deswegen ist es an diesen Journalist:innen, sich gegen die überkommene Inselmentalität ihrer alten Chef:innen zu wehren und Medien zu einem Ort zu machen, an dem die Leser:innen sich frei und selbstbestimmt informieren können. Sie müssen das tun, bevor sie selbst diese egomanische Unkultur in sich aufnehmen und reproduzieren. 


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