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Direktzugriff auf Biometriedaten: Fünf Staaten geben Forderung der US-Regierung nach, EU-Abgeordnete sprechen von „Erpressung“

Ein ernst drein blickender US-Beamter steht vor einer Reihe von Passlesegeräten.
Grenzübergang mit automatisierten Passlesegeräten in den USA. US CBP

Mindestens fünf Regierungen haben sich weltweit bereit erklärt, dem Heimatschutzministerium der Vereinigten Staaten Zugriff auf ihre nationalen Polizeidatenbanken zu gewähren. Dies soll eine neue Vorschrift werden, damit ihre Bürger:innen weiter ohne Visum in die USA einreisen können.

Zuletzt hat jenseits der EU Großbritannien einer solchen Verstärkten Partnerschaft für Grenzsicherheit (Enhanced Border Security Partnership – EBSP) zugestimmt; bekannt war dies zuvor nur von Israel. Außerdem sollen schon drei EU-Staaten ein bilaterales EBSP-Abkommen mit der Regierung in Washington abgeschlossen haben, erfuhren die EU-Abgeordneten im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) auf einem Treffen mit dem US-Botschafter bei der EU am vergangenen Mittwoch. Die betreffenden Staaten blieben jedoch ungenannt.

Verschärfte US-Grenzkontrollen

Mit der neu eingeführten EBSP will das US-Heimatschutzministerium seine Grenzkontrollen verschärfen. Betroffen sind alle Länder, die am Programm für visumfreies Reisen (Visa Waiver Program – VWP) teilnehmen. Es erlaubt deren Staatsangehörigen, zu geschäftlichen oder touristischen Zwecken für bis zu 90 Tage ohne Visum in die USA zu reisen. Derzeit sind 40 Länder im VWP gelistet, in der Aufstellung fehlt Israel.

Ab 2027 wird die Teilnahme an dem neuen Biometrie-Programm verpflichtend. 2006 hatte die Regierung in Washington bereits vorgeschrieben, im VWP biometrische Reisepässe zu benutzen. 2008 führten US-Behörden ein zusätzliches System zur Voranmeldung des Grenzübertrittes ein.

Ausgenommen einiger osteuropäischer Staaten haben zahlreiche EU-Mitglieder im Februar eine Forderung zur Teilnahme am EBSP von ihren US-Botschaften erhalten. Darin wird der Zugang zu Dateien gefordert, in denen Straftäter:innen, mutmaßliche oder verurteilte Terrorist:innen sowie Asylsuchende gespeichert sind. Zunächst betrifft dies Fingerabdrücke und zu einem späteren Zeitpunkt auch Gesichtsbilder.

Auch Einwohnermeldedaten in der Diskussion

Der geforderte Zugriff durch US-Behörden ist besonders weitgehend. Beim Grenzübertritt erfolgt zunächst eine automatisierte Abfrage in den teilnehmenden europäischen Ländern, ob die Person in deren polizeilichen oder migrationsbezogenen Datenbanken gelistet ist.

Im Falle eines Treffers sollen die US-Beamt:innen die biometrischen Daten dann selbst im Pull-Verfahren abrufen dürfen. In der Diskussion ist zudem der Zugang zu Daten aus nationalen Einwohnermeldeämtern.

Anschließend wird überprüft, ob die biometrischen Daten zu der an der Grenze angetroffenen Person passen. Neben Reisenden sollen auch Asylsuchende der Prozedur unterzogen werden.

Ratsarbeitsgruppe „Datenschutz“ nicht involviert

In Brüssel wird nun heftig diskutiert, welche Rolle die EU-Kommission und der Rat, in dem sich die 27 Mitgliedstaaten zusammenschließen, im Rahmen des EBSP spielen sollen. Es handelt sich zwar jeweils um bilaterale Abkommen, zweifellos ist aber das EU-US-Visa-Regime als Ganzes davon betroffen.

Aus diesem Grund hatte die französische Ratspräsidentschaft im Schnellverfahren durchgesetzt, der US-Regierung im Namen aller EU-Mitglieder zu antworten. Nach einem Schreiben an den US-Botschafter bei der EU hat Frankreich dazu Ende März in einem „technischen Treffen“ direkte Gespräche geführt.

Die Ergebnisse wurden in den beiden Ratsarbeitsgruppen „Visa“ und „Informationsaustausch“ beraten. Die ebenfalls tangierte Gruppe „Datenschutz“ ist derzeit noch nicht involviert.

Klage wegen Untätigkeit gegen die Kommission

Im Rahmen des des VWP-Programms hat die Kommission bereits das explizite Mandat, gegenüber den Vereinigten Staaten auf eine Gleichbehandlung für visafreies Reisen zu pochen. Dies kommt jedoch nur schleppend voran, denn Bulgarien, Rumänien und Zypern sind immer noch nicht vom VWP begünstigt.

Deshalb hat das Europäische Parlament im vergangenen Jahr wegen fehlender Gegenseitigkeit im Bereich der Visumpolitik eine Klage wegen Untätigkeit gegen die Kommission eingereicht.

Nach dieser Logik müsste also die Kommission auch für Verhandlungen zum EBSP zuständig sein. Diesen Standpunkt vertreten etwa hochrangige Mitglieder der Kommission. Am 14. Juni haben der Ratsvorsitz und die Kommission auf ihrem halbjährlichen Treffen mit dem Heimatschutzministerium in Washington erstmals direkte Gespräche dazu geführt. Eine Woche später stand das Thema zudem auf der Agenda des Treffens von Justiz- und Innenminister:innen der EU und der Vereinigten Staaten.

Keine Stellungnahme vom Rechtsdienst des Rates

Auch wenn es sich um bilaterale Abkommen zwischen einzelnen EU-Staaten und der Regierung in Washington handelt, ist das europäische Datenschutzrecht betroffen. Dies sind etwa die Datenschutzgrundverordnung und das Rahmenabkommen für den polizeilichen Informationsaustausch mit den Vereinigten Staaten. Außerdem muss die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum EU-US-Datentausch beachtet werden.

Dies wiegt umso schwerer, als dass der Zugriff automatisiert erfolgen soll und erst bei der finalen Grenzkontrolle von einem Menschen überprüft wird. Dies könnte gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verstoßen.

Normalerweise hätte der Rechtsdienst des Rates längst eine Stellungnahme zu dem geforderten US-Zugriff abgeben müssen, dies ist aber nicht erfolgt. Der Rat hat aber die Kommission aufgefordert, die offenen Fragen zu prüfen. Anschließend soll erwogen werden, ob die Kommission ein Mandat für Verhandlungen zum EBSP erhält.

Kritik von Abgeordneten

Die US-Behörden haben indes angeboten, Einzelheiten in einer Arbeitsgruppe unter Beteiligung der Mitgliedstaaten und der Kommission zu klären. Dort könnte auch die Frage der Gegenseitigkeit konkretisiert werden. Die US-Regierung bot an, den EU-Staaten Zugang zu ihrem Internationalen Biometrieaustauschprogramm (International Biometric Information Sharing – IBIS) zu gewähren, das rund 270 Millionen Personen enthält. Neben Angehörigen aus Drittstaaten sind dies auch US-Bürger:innen, die wegen schwerer Straftaten verurteilt sind.

Erst nach den Berichten bei netzpolitik.org hat sich das EU-Parlament mit dem EBSP befasst. Die Abgeordneten des Ausschusses für Justiz und Inneres haben die Initiative scharf verurteilt.

Die Liberale Sophie in ’t Veld kritisiert das Vorhaben als „Erpressung“. Die linke Abgeordnete Cornelia Ernst hält dies für einen eklatanten Verstoß gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und spricht von einem „Daten-Imperialismus“. Ähnlich äußert sich der Pirat Patrick Breyer, der von der EU-Kommission und auch der deutschen Regierung fordert, das Ansinnen der US-Behörden als Ganzes zurückzuweisen.


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