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KW 36: Die Woche, als wir den neuen Besitzer von PimEyes trafen

Die 36. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 16 neue Texte mit insgesamt 128.413 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.

– Fraktal, generiert mit MandelBrowser von Tomasz Śmigielski

Hallo liebe Leser:innen,

ich habe diese Woche etwas ziemlich Verstörendes getan. Ich habe mit einer Gesichter-Suchmaschine nach meinem eigenen Gesicht im Netz gesucht. Ich kannte die Erzählungen von anderen, die PimEyes vor mir ausprobiert haben, wusste wie beeindruckt oder entgeistert sie von den Ergebnissen waren. Ich war trotzdem nicht darauf vorbereitet, wie es sich anfühlen würde.

Es gibt offizielle Pressefotos von mir im Netz, Bilder, die ich auf eigenen Profilen veröffentlicht habe – und klar hat PimEyes die alle gefunden. Aber unter den Treffern waren auch Aufnahmen, die ich selbst noch nie gesehen hatte. Screenshots von Podiumsdiskussionen, auf denen ich vor über zehn Jahren mal saß. Mit einer völlig anderen Frisur, das Gesicht zur Seite gedreht. Auf einem anderen Bild bin ich erst Mitte 20 und posiere mit blauem Lidschatten für ein Fotoshooting.

In einigen Fällen kann ich mich beim besten Willen nicht daran erinnern, wann und wo diese Bilder aufgenommen wurden. Aber die Software, die PimEyes antreibt, hat sie alle eingesammelt und die Links dazu in seiner Datenbank gespeichert. Nach eigenen Angaben hat PimEyes die Gesichter von 2 Milliarden Menschen erfasst. Menschen, die wie ich kein Einverständnis erteilt hatten, um bei PimEyes aufzutauchen.

In meinem Fall kann man wahrscheinlich von Glück sprechen. Die Ergebnisse sind allesamt öffentlich vertretbar. (Okay, der Lidschatten ist ein Grenzfall.) Keine Fotos im Rausch, nichts aus Jugendzeiten, als Smartphones noch nicht erfunden waren. Vor allem bin ich in allen Aufnahmen bekleidet. Die aus meiner Sicht peinlichste Jugendsünde hat PimEyes nicht mal entdeckt: ein Cover der Emma, einer Zeitschrift, auf der ich mich heute nicht mehr abbilden lassen würde.

Trotzdem fühle ich mich nach der Suche seltsam entblößt. Denn auf PimEyes kann ja nicht nur ich selbst nach mir suchen. Jede Person kann nach mir suchen. Ein einfacher Schnappschuss in der U-Bahn, auf der Demo oder an der Supermarktkasse reicht dafür. Andere vergleichbar mächtige Werkzeuge wie Clearview AI sind nur für Ermittlungsbehörden zugänglich. PimEyes dagegen steht ab rund 37 Euro im Monat allen offen. Und ihr neuer CEO, Georgi Gobronidze findet das gut.

In einem Interview mit meinem Kollegen Sebastian und mir erklärt der PimEyes-Chef: „Ich glaube, es ist nichts Schlimmes daran, dass wir diese Technologie öffentlich zugänglich machen. Denn solange die Leute nur nach öffentlichen Websites und ihren Fotos suchen, kann die Technologie keinen Schaden anrichten.“ Aber was, wenn doch? Gobronidze berichtet von vielen Sicherheitsmaßnahmen, mit denen PimEyes verhindern will, dass der Dienst für Stalking oder zur Erpressung verwendet wird. Er beteuert, PimEyes beschränke absichtlich seine eigenen technischen Fähigkeiten, durchsuche etwa nicht das Dark Web, sondern nur offen im Netz zugängliche Informationen. „Wir wollen unsere Suchmaschine für Stalker:innen weniger attraktiv machen.“

Zugleich spielt er die Rolle von PimEyes herunter, denn PimEyes selbst erhöht die Gefahr, im Netz gefunden werden. Es werde immer neugierige Menschen geben, sagt Gobronidze – als hätte Nachstellung etwas mit Neugier zu tun statt mit der Ausübung von Macht. Und er sagt: „Der Mensch ist der Stalker, nicht die Suchmaschine.“ Ein Evergreen unter Leuten, die Dinge herstellen, mit denen sich Menschen gegeneitig Schaden zufügen können. Als sei PimEyes bloß ein Nudelholz, mit dem man ebensogut Plätzchenteig ausrollen könnte wie jemandem den Kiefer brechen.

Die Verantwortung sieht Gobronidze vor allem bei jenen, die PimEyes für Schlechtes verwenden. Und er betont, wie PimEyes Schutz bieten kann – gerade für Frauen, queere Menschen, Kinder. Man kann sich freuen für Gobronidze, dass er so viel Zuversicht hat. Es ist schön, sich in seinem Leben so sicher zu fühlen. Viele andere, verletzlichere Personen, die ganz besonders auf den Schutz ihrer Anonymität angewiesen sind, können sich darauf nicht verlassen. Und ich frage mich: Warum muss das so sein? Warum gibt es immer noch keine Gesetze, die den Betrieb einer Suchmaschine wie PimEyes klar verbieten?

PimEyes ist erst der Anfang. Ohne klare Regeln und Verbote – gegen das Abgrasen von Fotos aus dem Netz, gegen den Einsatz von Gesichtserkennung und biometrischer Suche – wird es noch viele Nachahmer geben. Angebote, die sich am Bilderschatz im Internet bedienen, wie es ihnen beliebt. Noch wäre Zeit, das zur verhindern.

Passt auf euch auf

Chris


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