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Degitalisierung: Was die digitale Welt im Innersten zusammenhält

Ob bei der Digitalstrategie oder dem leichteren Zugang zu Verwaltungsleistungen – unsere Kolumnistin vermisst bei den Bemühungen zu mehr Digitalisierung vor allem eines: eine Vorstellung davon, wohin uns die digitale Transformation als Gesellschaft führen soll.

CC-BY 4.0 owieole – netzpolitik.org

Der Tragödie dritter Teil

Es ist Nacht. In einer hochgewölbten Amtsstube sitzt Faust unruhig in seinem Sessel am Pult. In der Ferne leuchtet matt ein Leuchtturm auf.

Habe nun, ach! KI,
OZG und Digitalstrategie,
Und leider auch IT!

Durchaus studiert, mit heißem Bemühen.
Da steh’ ich nun, ich armer Thor!
Und bin so analog als wie zuvor.

Viele Register, zu viele Minister gar,
Und lege schon an die sechzehn Jahr,
Herauf, herab und quer und krumm,
Kaum Glasfaser im Boden herum –

Und sehe, dass wir nichts schaffen können!
Das will mir schier das Herz verbrennen.

Dass ich nicht mehr mit saurem Schweiß,
Zu sagen brauche, was ich nicht weiß;
Dass ich erkenne, was die digital‘ Welt
Im Innersten zusammenhält.

Vielleicht hätte so das Klagen von Heinrich Faust aus Goethes literarischem Klassiker geklungen, würde das Stück in der heutigen Zeit spielen. Und wäre er an den Bemühungen hierzulande beteiligt gewesen, das Land zu digitalisieren.

In gewisser Weise ist der Schmerz, kaum Zusammenhänge im Digitalen zu erkennen, auch symptomatisch für vieles, was im Kontext der Digitalisierung in Deutschland passiert. Viel Stückwerk, wenig Substanzielles.

Dabei wäre es in vielen digitalen Problemfeldern gar nicht mal verkehrt, die Frage zu stellen, was eigentlich der rote Faden sein soll. Nicht nur technisch, sondern auch gesellschaftlich.

Beginnen wir mit dieser Suche nach Zusammenhängen beim Onlinezugangsgesetz.

Theoretisch fast fertig

Das „Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen“, kurz OZG, wurde 2017 verabschiedet. Ursprünglich war sein Ziel „Verwaltungsleistungen auch elektronisch“ anzubieten – und das bis Ende 2022. Also theoretisch ist das Ende … guckt auf den Kalender … dieses Jahres.

Um die Spannung herauszunehmen: „Es ist jedoch absehbar, dass dies nicht vollständig gelingen wird“, wie der IT-Planungsrat der Bunderegierung selbst zugibt. Also wurden Leistungen umpriorisiert. 35 wichtige sogenannte Einer-für-Alle-Leistungen sollen es bis Ende des Jahres unbedingt werden. Das sind unter den Bundesländern gegenseitig zur Verfügung gestellte Anwendungen.

Zu den priorisierten Verwaltungsleistungen nach EfA-Prinzip gehören etwa Waffenerlaubnisse oder ausfuhrgenehmigungspflichtige Kulturgüter. Digitale Behördenleistungen also, deren Nutzung eher beschränkt ist. Böse Zungen würden behaupten, dass wohl das priorisiert wurde, was eh schon fast fertig war.

Ebenso spannend ist die Liste der anderen bereits umgesetzten Leistungen, wie wir sie in der Anfrage der Bundestagsabgeordneten Anke Domscheit-Berg nachlesen können: „Abbrennen pyrotechnischer Gegenstände“ oder „Sondernutzung von Straßen und Verkehrsraumeinschränkung“, um nur einige Knaller zu nennen.

So ganz ist nicht zu erkennen, wie diese digitale Verwaltungswelt des OZG im Innersten zusammenhängen soll.

Eine Sammlung von Fassaden

Das OZG hat aber noch ein ganz anderes, ein technisches Problem: Das Gesetz ist nur Fassadenschmuck. Schnittstellen fehlen, Standards auch. Da verkommen selbst die besten Leistungen zu einer bloßen Ansammlung von Fassaden.

Denn aus einem elektronischen Antrag allein kommt noch keine vollständige Verwaltungsleistung heraus. Hinter dem hübsch aufgemachten Antrags-Frontend lauern unzählige, teils arg veraltete Fachverfahren, die aus jedem digitalen Antrag mangels fehlender Anbindung dann doch wieder Handarbeit machen.

Was jede Verwaltungsleistung eigentlich nach außen hin zusammenhalten sollte, ist die Gesamterfahrung bei der Nutzung, auf neudeutsch User Experience. Aber eben von Ende-zu-Ende gedacht.

Bekomme ich unkompliziert das Anliegen gelöst, das ich an die Verwaltung herantrage? Muss ich Daten noch mal eingeben, obwohl ich die bestimmt schon mal irgendwo anders eingegeben habe? Und warum muss ich als Bürger*in eigentlich immer einen Antrag stellen? Kann nicht einfach eine Erinnerung kommen, bevor mein Ausweis abläuft, damit ich das nicht wieder vergesse?

Öffentlicher Dienst heißt eigentlich auch Dienstleistung an uns Bürger*innen. Leider kommt es stattdessen oft so rüber, als würde die Verwaltung von den Bürger*nnen bedient werden müssen.

Für diese tiefgreifende Veränderung wird es viel grundlegende digitale Infrastruktur in der Verwaltung brauchen. Elementare Bausteine wie digitale Identitäten zum Ausweisen und digitalen Unterschreiben oder den nahtlosen Datenaustausch zwischen Registern, um Daten nicht mehrfach angeben zu müssen. Themen, die jetzt erst auf der Agenda zur Umsetzung stehen – nach den Fassaden allerdings erst.

All das soll sich aber bald bessern, verspricht zumindest die kürzlich vorgestellte Digitalstrategie.

Annas Geschichte

Diese Woche hat Bianca ganz gespannt Annas Erlebnisse beim Lesen der Digitalstrategie verfolgt. Da hat Anna viele Geschichten in der Digitalstrategie gelesen und dann ihre eigene Geschichte geschrieben. Das fand Bianca sehr unterhaltsam und hat gelacht. Das war schön.

Dann erinnerte sich Bianca aber daran, wo sie diese Geschichten mit den Menschen und ihren Anliegen schon einmal gelesen hat. Bei der Europäischen Kommission. Und dann war Bianca wieder traurig, weil sie den Stand der Digitalisierung in Deutschland mit dem Stand im Rest der EU verglichen hat.

Da war zum Beispiel die Geschichte von Joyce. Joyce ist 44, verheiratet, Mutter von drei Kindern und hat ein neues Haus gekauft. Jetzt möchte sie im gleichen Land in eine andere Gemeinde umziehen und hat dabei ziemlich viele Verwaltungsangelegenheiten zu erledigen. Aber damit nicht genug. Joyce findet plötzlich… naja, das geht jetzt zu weit ins Detail.

Die Personas, die in der Digitalstrategie aufgegriffen werden, mögen etwas albern wirken, sind aber in ähnlicher Form auch Teil des europäischen eGovernment-Benchmark, der einer der Bestandteile des größeren DESI-Index ist. Also genau dem Index, in dem die Bundesregierung laut eigener Aussage in die Top 10 will. Aktuell steht da „Germany: Rank 13“.

Joyce’ Geschichte ist gespickt mit unterschiedlichen digitalen Verwaltungsvorgängen und das „Digital Life Event“ Umzug wird mit verschiedenen Querbeziehungen von An- und Ummeldung in Kommunen zum Gradmesser der effizienten Vernetzung von Verwaltungssystemen. Das aktuelle deutsche Abschneiden ist da so eher mittelprächtig. Nicht mal Top 20.

Kurz: Ein umfassender digitaler Aufbruch wird tiefer gehen müssen als die bloße Optimierung einzelner Dienste.

Umfassender digitaler Aufbruch?

Denn generell fehlt der Digitalstrategie ein gemeinsames positives Zielbild. Eine Vorstellung davon, wohin uns die digitale Transformation als Gesellschaft als Ganzes bringen soll. Es fehlt die Vision, die unsere gemeinsame digitale Welt im Innersten zusammenhalten soll.

Ganz und gar nicht fehlt es dagegen wieder mal an Leuchtturmprojekten. Projekte, deren digitale Strahlkraft allen anderen als Wegweiser und Ansporn dienen soll. Davon findet man in dem Papier 18 an der Zahl, allerdings nicht nur gänzlich neue Entwicklungen. Das Ökosystem digitale Identitäten zum Beispiel, deren Primus in Form der ID Wallet wohl noch nicht genug Scheitern war.

Durchaus bemerkenswert, dass eben dieser Leuchtturm weiter genannt wird – es aber auf der anderen Seite eine wirklich gute Umsetzung digitaler Identitäten braucht, einen stabilen Hebel eben. Konflikte scheinen hier in Zukunft vorprogrammiert.

Es scheint aber auch teilweise egal zu sein, ob der Leuchtturm im Gesamtkontext überhaupt Sinn und Nutzen ergibt. Oft geht es eigentlich nur um einen Dunkelleuchtturm, der Energie und Aufmerksamkeit aufsaugt und allein dem Ansehen dient. Reine Degitalisierung, die nur Kräfte bindet, aber nicht zu digitalem Fortschritt führt.

Nichts, was die digitale Welt im Innersten zusammenhält.

Geht das nicht besser?

Manchmal verheddern wir uns allzu schnell in digitalen Details und Teilprojekten, vergessen aber das Wesentliche. Da hilft ein Blick auf die einfachste mögliche Zielbeschreibung, zum Beispiel in Leichter Sprache, etwa die der Digitalstrategie sogar.

Eigentlich steht da schon ganz genau, was unsere digitale Welt zusammenhalten sollte:

Am wichtigsten ist für uns:
Jede*r soll etwas von der Digitalisierung haben.
Also auch Sie als Bürger*in.

Packen wir’s an.


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