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Berlin: Lieferando will Betriebsräte kündigen

Der neue Betriebsrat der Berliner Lieferando-Kurier:innen kommt nicht zur Ruhe: Nun soll rund die Hälfte der Mitglieder außerordentlich gekündigt werden. Sie sollen Lieferando bei der Vorbereitung der Wahl um hunderte Arbeitsstunden betrogen haben. Der Betriebsrat bestreitet das.

Ein Lieferando-Fahrer geht
Lieferando-Kurier:innen in Berlin haben einen Betriebsrat (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten Imago/ Michael Gstettenbauer, Bearbeitung: netzpolitik.org

Nicht einmal einen Monat ist es her, dass die Berliner Lieferando-Kuriere einen Betriebsrat gewählt haben – und schon soll offenbar rund die Hälfte der Betriebsrät:innen gekündigt werden. Das sei nötig, weil die Mitarbeiter:innen in der Summe tausende Stunden mehr an Zeit für die Vorbereitung der Wahl angemeldet hätten, als sie tatsächlich erledigt hätten. Das geht aus einem Schreiben von Lieferando an Betriebsrat und Arbeitsgericht Berlin hervor. Der Betriebsrat streitet die Vorwürfe auf Anfrage von netzpolitik.org ab und sieht sich in seiner Arbeit behindert.

Schon im Vorfeld der Betriebsratswahl gab es Auseinandersetzungen. So gingen einige Mitarbeiter:innen gerichtlich gegen den Wahlvorstand vor: Einmal wegen der für die Wahl zugelassenen Mitarbeiter:innen, in einem anderen Verfahren sollte die Wahl ganz abgebrochen werden.

Tausende Arbeitsstunden

Betriebsräte dürfen nicht ohne triftige Gründe fristlos gekündigt werden. Eine fristlose Kündigung strebt Lieferando jedoch im aktuellen Fall an. Konkret geht es um neun Betriebsräte und ein Ersatzmitglied, wie der Betriebsrat netzpolitik.org mitteilt. Lieferando hat diese Zahl weder dementiert noch bestätigt.

Der Vorwurf von Lieferando: Die Mitarbeiter:innen hätten sich während der Vorbereitung der Betriebsratswahl, also von November 2021 bis August diesen Jahres, in der Summe tausende Arbeitsstunden mehr anrechnen lassen, als sie tatsächlich gearbeitet hätten. Das geht aus dem Schreiben von Lieferando hervor. Wenn Beschäftigte als Wahlvorstand eine Betriebsratswahl organisieren, können sie sich für dafür während der Arbeitszeit freistellen lassen, ohne dass ihr Gehalt gekürzt wird. Sie müssen in dieser Zeit aber auch tatsächlich die Wahl vorbereiten.

Bis Ende Juni sei aber nicht erkennbar gewesen, woran der Wahlvorstand eigentlich gearbeitet habe, heißt es im Brief von Lieferando an den Betriebsrat. Das Unternehmen habe demnach versucht, sich das von den Mitarbeiter:innen erklären zu lassen, aber diese seien Einladungen dazu nicht gefolgt. Ein Mitglied des Betriebsrats hätte dadurch „das ihm entgegengebrachte Vertrauen in einem solch erheblichen Maße missbraucht, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich ist“, so Lieferando.

Lange Auseinandersetzungen

Ein Vertreter des Betriebsrats bestreitet die Vorwürfe gegenüber netzpolitik.org. Er und seine Kolleg:innen hätten mehr als die abgerechneten Stunden gearbeitet, sagt er. „Allein in der Wahlwoche sind so viele Stunden angefallen, dass wir alle Überstunden gemacht haben. Lieferando hat uns so arg behindert, dass wir Woche für Woche kaum voran gekommen sind, aber unglaublich viel Arbeit durch Kommunikation produziert wurde.“

Er verweist etwa auf eine Auseinandersetzung rund um die Kontaktdaten der über 1.000 Berliner Lieferando-Kurier:innen, die das Unternehmen für die Vorbereitung der Betriebsratswahl liefern musste. Der Einladung zu einem Gespräch sei man nicht nachgekommen, weil sie zwei Wochen vor Beginn der Betriebsratswahl und damit in die hektischste Vorbereitungsphase gefallen sei.

Außerdem sieht er den Wahlvorstand durch die Vorwürfe von Lieferando diskriminiert: Ein weißes, akademisches Management werfe Migrant:innen und Nichtakademiker:innen vor, zu viel Zeit zu brauchen. Im Wahlvorstand habe es kein Vorwissen zu den juristischen oder praktischen Einzelheiten einer Betriebsratsgründung gegeben, außerdem müsse alle Arbeit im Betriebsrat zwischen Deutsch und Englisch übersetzt werden. „Das alles braucht enorm viel Zeit.“

„Jegliche Auskunft verweigert“

Auf Anfrage von netzpolitik.org sagte eine Sprecherin von Lieferando, das Unternehmen begrüße betriebliche Mitbestimmung. „Für funktionierende Betriebs- und Mitbestimmungsprozesse ist die professionelle, ordnungsgemäße und zügige Durchführung solcher Wahlen im Interesse des gesamten Unternehmens und seiner Mitarbeitenden“, so die Sprecherin.

„Auch Wahlvorstände müssen sich an geltende Gesetze halten und gewissen Pflichten nachkommen. Wir haben alles versucht, den Sachverhalt mit den Betroffenen und dem Wahlvorstand aufzuklären. Die Betroffenen haben jegliche Auskunft verweigert. Wir lassen den Sachverhalt nun sachlich und ergebnisoffen vor Gericht klären.“ Das Ergebnis der laufenden Verfahren wolle man nicht vorwegnehmen.


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