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Verfassungsentwurf für Chile: „Sprung nach vorn für digitale Grundrechte“

Der Entwurf für eine neue Verfassung von Chile bricht nicht nur mit dem Erbe Pinochets, sondern erkennt digitale Menschenrechte an. Wir haben uns den Text angeschaut und chilenische Digital-Aktivisten gefragt, was sie davon halten.

Verfassungsentwurf in einem Kiosk
Der Verfassungsentwurf in der Version vom April in einem Kiosk in Santiago de Chile. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / ZUMA Wire

Im September stimmt Chile über eine neue Verfassung ab. Die zuerst blutig niedergeschlagenen Proteste gegen die Erhöhung der U-Bahnpreise im Jahr 2019 und 2020 entwickelten sich zu einer generellen Kritik an der alten, neoliberalen Verfassung aus Pinochets Zeiten. Der Erfolg der Proteste war eine frei gewählte, verfassungsgebende Versammlung.

Die finale Version der Verfassung ist 170 Seiten lang. - Alle Rechte vorbehalten Verfassungsgebende Versammlung Chile

Der Verfassungsentwurf (PDF) setze Maßstäbe, schreibt der deutsche Republikanische Anwaltsverein (RAV), er sei „ein leuchtendes Beispiel für einen modernen, inklusiven und demokratischen Rechtsstaat“.

Zahlreiche digitale Grundrechte

Auch in Sachen digitaler Grundrechte würde das Land mit dieser Verfassung neue Wege gehen. Die lateinamerikanische Digital-NGO „Derechos Digitales“ schreibt, dass Chile mit dem Entwurf bei Datenschutz und Privatsphäre die fortschrittlichste Verfassung der Region bekäme. 

Juan Carlos Lara, Geschäftsführer von Derechos Digitales, sagt gegenüber netzpolitik.org: „Der Vorschlag für eine neue Verfassung stellt einen Sprung nach vorn beim Schutz der digitalen Grundrechte dar, sowohl für individuelle als auch für kollektive Interessen.“

Mehrere Artikel der Verfassung garantieren den Bürger:innen den Zugang zur digitalen Infrastruktur. Wenn es Versorgungslücken gibt, ist der Staat dafür verantwortlich, sie zu schließen. Gleichzeitig muss der Staat für digitale Beteiligung und ein gewaltfreies digitales Umfeld sorgen.

Doch nicht nur der Zugang zur Infrastruktur wird geregelt, sondern im Artikel zum Thema Arbeit auch das Recht, sich zu erholen und von der digitalen Infrastruktur der Arbeit abzukoppeln. Dieses Recht auf eine Art „Digital Detox“ dürfte ein Novum in Verfassungstexten sein. 

Schutz von privaten Dokumenten und Metadaten

Schützen wird die die neue chilenische Verfassung auch die Privatsphäre sowie private Dokumente, Mitteilungen sowie deren Metadaten. Einen eigenen Artikel hat auch die informationelle Selbstbestimmung. In Deutschland hatte das Bundesverfassungsgericht dieses Grundrecht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet.

Nicht zuletzt soll die neue Verfassung die Computersicherheit garantieren. Zudem wird eine unabhängige Datenschutzbehörde auf Verfassungsebene festgeschrieben.

Die Proteste, die letztlich zum Verfassungsreferendum führten, wurden von der starken chilenischen starken Frauenbewegung angetrieben. Hier eine Demo in Santiago im Dezember 2019. - Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Agencia EFE

Anerkennung von digitalen Menschenrechten

Im Vergleich zu anderen Verfassungen in der Region ist der Vorschlag aus Chile detaillierter, was den Umfang des Schutzes und der Anerkennung verschiedener Rechte speziell in Bezug auf digitale Aspekte angeht.

Enttäuscht zeigt sich Lara im Hinblick auf das geistige Eigentum, hier hätte sich der Bürgerrechtler als Gegengewicht mehr kulturelle Rechte gewünscht. Und trotz der starken Verankerung der Privatsphäre wäre hier noch Raum gewesen für einen stärkeren Schutz vor staatlichen Übergriffen, so Lara weiter.

Dennoch ist Juan Carlos Lara überzeugt, dass der Verfassungstext unabhängig von seiner Annahme oder Ablehnung beim Referendum für andere Länder von Bedeutung sein könne, weil er eine Zäsur im Bezug auf die Anerkennung von digitalen Menschenrechten darstelle.

Verfassungsrang für Naturschutz

In Sachen Grundrechte könne man aus Deutschland nur mit Neid auf diese Verfassung schauen, schreibt der RAV. Der Text räumt dem Schutz der Natur erstmals Verfassungsrang ein und stellt gleichzeitig das gute Leben der Menschen in den Mittelpunkt, so die Organisation weiter.

Nach der neoliberalen Pinochet-Verfassung kommt im Entwurf dem Staat nun eine aktive und wichtige Rolle im Bereich Bildung und Soziales zu. Gleichzeitig würde das Land föderaler und partizipativer. Es gibt aber auch kritische Stimmen am Verfassungsentwurf, der mit 388 Artikeln einer der längsten der Welt ist. Konservative und Liberale fürchten wegen des starken Umweltschutzes Investitionshemmnisse.

Am 4. September wird die chilenische Bevölkerung über den Entwurf abstimmen – bislang ist alles andere als klar, ob der Entwurf eine Mehrheit bekommt. Ist das Referendum erfolgreich, müssen Gesetze angepasst, Institutionen reformiert oder neu geschaffen werden. Die Arbeit an Chiles Zukunft ist noch lange nicht vorbei.


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