Polizeiliches Fehlverhalten zeichnen Bodycams nur selten auf. Im Gegenteil verstärken sie einseitig das Machtgefälle zwischen Polizei und Bürgerschaft. Wenn also schon Bodycams eingesetzt werden, dann bitte auch zur Kontrolle der Polizei. Ein Kommentar.
Seit einigen Jahren halten Bodycams bei der Polizei in Deutschland Einzug. Die großen Polizeigewerkschaften begrüßen das, aber bitte nur als Instrument zum Schutz der Polizei. Die Kamera am Revers soll dem Bürger zeigen, dass er gleich aufgenommen werden könnte. Das soll angeblich deeskalierend wirken – und im Zweifel Beweismaterial liefern. Dabei könnten Bodycams eigentlich auch den Bürger:innen helfen, gegen Fehlverhalten von Polizist:innen vorzugehen. Doch in der polizeilichen Praxis sind die Kameras bei umstrittenen Einsätzen auffallend häufig ausgeschaltet.
In Dortmund erschoss die Polizei vergangene Woche einen psychisch kranken Jugendlichen. In einer internen Mitteilung erklärte das Polizeipräsidium Dortmund nun, dass keine:r der zwölf beteiligten Polizist:innen in der Situation die Bodycam angeschaltet hatte.
Bei einem Einsatz in Frankfurt 2020 ist angeblich der Akku leer gegangen. Später soll ein Polizist auf einen Festgenommenen eingetreten haben, was nur von einem Bürger aufgezeichnet wurde. Nach einer Polizeikontrolle in Mannheim starb ein Mann. Auch hier waren die Bodycams ausgeschaltet.
„Einseitige Drohkulisse“
„Aktuell stellt die Bodycam eine einseitige Drohkulisse dar, da sie ausschließlich zulasten von Bürgerinnen und Bürgern eingesetzt wird, unabhängig davon, ob sich die Polizei rechtswidrig verhält oder nicht“, schreiben die Polizeiexperten Hartmut Aden und Jan Fährmann. Schon bei der Einführung der Bodycams in den Bundesländern gab es Kritik an der Art und Weise und den gesetzlichen Regelungen – die sich nun immer wieder bestätigt.
Die wichtigste Frage bei Bodycams ist: Wer entscheidet, was wann gefilmt wird? Und wer darf wie darauf zugreifen?
Bürgerrechtsorganisationen in den USA hatten im Jahr 2015 gefordert, dass die überwiegende „Mehrheit der Interaktionen mit der Öffentlichkeit – einschließlich aller Fälle, in denen Gewalt angewendet wird – auf Video aufgezeichnet werden“ solle. Die Verpflichtung zum Aufzeichnen müsse laut der Organisationen disziplinarrechtlich streng verankert sein, damit die Polizist:innen sich auch an die Regeln hielten.
Wer kontrolliert die Kamera?
Auch für die Menschenrechtsorganisation Amnesty International ist zentral, wann die Kamera ein- oder ausgeschaltet ist. Dabei gibt es ein Dilemma: Aus Datenschutzgründen könne die Bodycam nicht permanent laufen, gleichzeitig könnten auch strenge Dienstvorschriften nicht davor schützen, dass die Kamera in manchen Situationen ausgeschaltet bleibt oder zu spät eingeschaltet wird. Deswegen schlägt Amnesty vor, „dass auch auf Verlangen von kontrollierten Personen oder Dritten die Kamera eingeschaltet wird.“ Dadurch sei es möglich, auch im Nachhinein eine polizeiliche Handlung überprüfen zu können.
Andere Stimmen fordern, dass die Kameras einfach immer laufen sollen und dafür der Zugriff auf diese Daten streng reglementiert sein müsse. Auch andere Berufsgruppen wie Pilot:innen oder Angestellte im Supermarkt würden permanent überwacht. Sie müssten dies hinnehmen, ohne dass sie wie die Polizei auch Gewalt gegen Bürger:innen einsetzen dürften. Das schreibt beispielsweise Frida Thurm in der Zeit.
In Deutschland liegt die Kontrolle über Kamera und Material bei der Polizei. Doch solange die Polizei entscheidet, ob sie filmt und speichert, fördern Bodycams die Allgegenwart von Überwachung und erhöhen das Machtgefälle zwischen Polizei und Bürgerschaft.
Überwachung in beide Richtungen
Wenn wir also durch die Akzeptanz der Bodycam ein Mehr an Überwachung hinnehmen, dann muss die Überwachung zum Ausgleich in beide Richtungen verlaufen und so ein Mehr an Kontrolle des Staates liefern. Sie muss Transparenz und Nachprüfbarkeit herstellen sowie bei rechtswidrigen Handlungen von Polizist:innen bei der Aufklärung helfen.
Um das zu erreichen, ist wichtig, dass die Videos nicht unbemerkt manipuliert werden können. Amnesty schlägt deswegen vor, dass dafür nicht eine übergeordnete Polizeistelle das Material sichtet, bewertet und über die (fristgerechte) Löschung entscheidet, sondern eine unabhängige Kontroll-Kommission.
Während in den USA die Einführung von Bodycams von bürgerrechtlicher Seite anfänglich als große Chance gegen Polizeigewalt gesehen wurde, kehrt nun nach ein paar Jahren wieder Ernüchterung ein. Eine Überblicksstudie kam zum Ergebnis, dass Bodycams den Einsatz von polizeilicher Gewalt nicht statistisch nennenswert beeinflussen. Gleichzeitig wurde das Material von Staatsanwälten nur selten genutzt, um gegen polizeiliches Fehlerverhalten vorzugehen. Dafür aber häufig als Beweis gegen Bürger:innen.
Die ACLU Washington kommt deshalb zum Schluss, dass Polizeigewalt nicht durch den Kauf von mehr Technik und durch mehr Ressourcen für die Polizei weniger würde, sondern indem das Geld für andere nicht-polizeiliche Maßnahmen ausgegeben würde, die mehr Sicherheit schaffen.
Schieflage in Deutschland
Bodycams in Deutschland sind derzeit eine reine Stärkung der Polizei – ohne die demokratische Kontrolle zu erweitern oder zu verbessern. Und die Kameras entwickeln sich zur Standardausrüstung. Damit verstärkt sich die Asymmetrie zwischen Bürger:innen und Ordnungskräften. Denn wenn sie selbst von Umstehenden mit Smartphones gefilmt werden, gehen Polizist:innen oft hart dagegen vor. Dabei ist eindeutig: Film- und Tonaufnahmen von polizeilichen Einsätzen im öffentlichen Raum sind grundsätzlich erlaubt.
Wir sollten uns also entscheiden: Entweder wir machen die Bodycam zu einem Instrument, das auch die Träger:innen des Gewaltmonopols kontrolliert – oder wir schaffen sie wieder ab, weil sie das Machtgefälle zwischen Polizei und Bürger:innen sowie das Ausmaß an Überwachung unverhältnismäßig erhöhen.
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