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Kennzeichenscanner: Auto-Vorratsdatenspeicherung in Brandenburg war illegal

Ein Autofahrer klagte, weil die Polizei Brandenburg sein Kennzeichen regelmäßig erfasste und speicherte. Die Speicherpraxis ist seit Juli 2021 beendet. Doch dass er nun Recht bekam, ist ein wichtiges Zeichen für die Pläne des brandenburgischen Innenministers.

Autobahn mit Bäumen und Schild zur Abfahrt Joachimsthal
Ein typisches Bild auf der A 11. CC-BY-NC 2.0 European Roads

Die Autobahn 11 verläuft hauptsächlich durch Brandenburg. Wer die 110 Kilometer lange Strecke zurücklegt, fährt vorbei an Bernau, Finowfurt, Gramzow – und zwei Kennzeichenscannern der Brandenburger Polizei. Bis zum Juli 2021 speicherte die Ermittlungsbehörde die Daten vorbeifahrender Fahrzeuge, dagegen klagte das Piratenpartei-Mitglied Marko Tittel. Er bekam nun vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) Recht.

Dass sein Nummernschild und sein Fahrzeug fotografiert und gespeichert wurden, war unrechtmäßig, so das Gericht in seinem rechtskräftigen Beschluss vom 22. Juli. Für die Aufzeichnungspraxis gab es keine Rechtsgrundlage.

Tittel begrüßt die Grundsatzentscheidung: „Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem jede Bewegung erfasst und gegen mich verwendet werden kann“, sagt er in einer Pressemitteilung. Eine wahllose Vorratsdatenspeicherung von Autofahrten setze die Fahrer:innen „einem ständigen Überwachungsdruck aus, aber auch dem Risiko eines falschen Verdachts oder missbräuchlicher Nachverfolgung der persönlichen Lebensführung durch Unbefugte“.

Lange Geschichte der Kennzeichen-Scanner

Der Streit um die Kennzeichenerfassung in Brandenburg hat eine lange Geschichte: Schon im Jahr 2009 rasterte die Brandenburger Polizei 545 Mal den Fahrzeugverkehr, ein Jahr später waren es bereits 2.479 Mal. 2013 veröffentlichten wir die Standorte einiger stationärer brandenburgischer Kennzeichen-Erfassungssysteme (KESY), die Piratenpartei führte später weitere Standorte auf einer Karte zusammen.

Schon damals war bekannt, dass die Kennzeichenscanner sowohl einen Fahndungsmodus als auch einen Aufzeichnungsmodus haben. Bei einer Fahndung gleichen die Geräte die erfassten Fahrzeuge mit Daten über gesuchte Nummernschilder ab – alle anderen Aufnahmen werden gelöscht. Im Aufzeichnungsmodus jedoch speichern die Ermittlungsbehörden alle erfassten Kennzeichen auf Vorrat, zusammen mit Datum, Uhrzeit, Fahrtrichtung und Ort der Erfassung.

Bundesweite Rechtsgrundlage für Kennzeichen-Rasterung

Dass diese Funktion in Brandenburg zum Einsatz kam, verdeutlichte der Fall der vermissten Rebecca Reusch im Jahr 2019. Die Ermittler:innen aus Berlin teilten mit, dass das vom Verdächtigen genutzte Fahrzeug am Tag von Rebeccas Verschwinden auf einer Brandenburger Autobahn festgestellt wurde. Damit war klar: Die Polizei Brandenburg muss diese Daten in einer Auto-Vorratsdatenspeicherung gesammelt haben.

Von 2017 bis 2019 sammelte die Polizei Brandenburg 40 Millionen Fotos von Fahrzeugen in einer Datenbank. Bürgerrechtler:innen und Jurist:innen kritisierten die Auto-Vorratsdatenspeicherung, innerhalb des Brandenburgischen Innenministeriums gab es Streit. Ein hoher Beamter, der die Speicherpraxis kritisierte, wurde versetzt.

Mitte 2021 stoppte Brandenburg die Speicherung. Denn durch eine Verschärfung der Strafprozessordnung schuf die Große Koalition zwar eine bundesweite Grundlage für eine Auto-Fahndung, eine Speicherung der Nummernschilder war darin jedoch nicht erlaubt – zur Enttäuschung mancher Bundesländer.

Innenminister hält an Kennzeichenspeicherung fest

Der Betrieb der KESY-Anlagen im Aufzeichnungsmodus sei „als gewichtiger Grundrechtseingriff zu qualifizieren“, schreibt das Landgericht jetzt in seinem Beschluss. Besonders, da die Daten ohne besondere zeitliche Begrenzung vorgehalten wurden: „Hierdurch konnte über Jahre, ohne transparente Begrenzungen durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber, das Bewegungsverhalten von Kraftfahrzeugen – und damit in der Regel der Fahrzeughalter – weiter Teile der Bevölkerung, die auf der betreffenden Brandenburger Autobahn verkehrten, akkurat nachvollzogen werden.“

Besonders kritisiert das Gericht, dass die Speicherung nicht allgemein bekannt war. Obwohl die Grundrechtseingriffe viele Menschen, vor allem in Brandenburg, betrafen „und ihnen somit gesamtgesellschaftliche Bedeutung“ zukam, seien sie für die Menschen nicht erkennbar gewesen.

Trotz aller Bedenken fordert der Brandenburgische Innenminister Stübgen (CDU) ein neues Landesgesetz, das die Auto-Vorratsdatenspeicherung wieder erlaubt. Seiner Auffassung nach sei es „verfassungsrechtlich machbar“, Kennzeichenerfassung zur Gefahrenabwehr – nicht zur Strafverfolgung – „bei schweren und schwersten Straftaten“ wie Mord, Kindesentführung oder Terrorgefahr durchzuführen. Zuvor hatte Stübgen vor allem mit der Bekämpfung krimineller Banden und Rauschgiftschmuggel argumentiert.

Ob eine breite landesrechtliche Regelung Erfolg haben könnte, ist fraglich. Verfassungsgerichte hatten wiederholt enge Grenzen für eine Kennzeichenerfassung gezogen. Unter anderem stellte das Bundesverfassungsgericht 2008 fest: „Die automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen darf nicht anlasslos erfolgen oder flächendeckend durchgeführt werden.“ Eine gesamte Autobahn über Jahre hinweg zu erfassen, das dürfte damit nicht vereinbar sein.

Das sieht auch der Europaabgeordnete Patrick Breyer (Piraten) so, der sich seit Jahren gegen Kennzeichenscanner engagiert. „Wen wir wann privat aufsuchen, geht in Abwesenheit jeglichen Verdachts niemanden etwas an. Wir haben ein Recht auf datenfreie Fahrt und Freiheit von Generalverdacht, das wir verteidigen müssen“, so Breyer gegenüber netzpolitik.org

In Brandenburg regiert die CDU gemeinsam mit SPD und Grünen, die Koalitionspartner sind skeptisch bezüglich der Pläne des Innenministers. So forderte die sozialdemokratische Innenpolitikerin Inka Gossmann-Reetz im Januar eine „Abwägung der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die dauerhafte Aufzeichnung und Speicherung von Daten gegenüber von Ermittlungserfolgen der Polizei“.

Die Grünen lehnten Stübgens Pläne ab: „Eine Regelung, die effektiv einer Vorratsdatenspeicherung des gesamten Autoverkehrs in einem bestimmten Bereich gleichkommt, ist für mich mit einem freiheitlichen Rechtsstaat nicht vereinbar“, so Marie Schäffer gegenüber netzpolitik.org. Die innenpolitische Sprecherin der Grünenfraktion erklärt, dass die Befürworter der Aufzeichnungen bisher einen Nachweis für seinen „erheblichen Nutzen“ schuldig geblieben sind. „Die Gefahren durch den Grundrechtseingriff einer verdachtsunabhängigen Speicherung für Alle, die in Brandenburg Auto fahren, sind hingegen konkret und wurden gerichtlich bestätigt. Eine Wiedereinführung dieses zweifelhaften Instruments lehnen wir von Bündnis 90/Die Grünen daher ab.“


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