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Reihe über digitalen Kolonialismus: Der blutige Fußabdruck unserer digitalen Geräte

US tech firms profit from Human rights abuses and child labor – Rahel Lang

Als Raphael in der Kobaltmine nahe Kolwezi zu arbeiten begann, war er zwölf Jahre alt. Wie die meisten Kinder aus seinem Dorf im Süden der Demokratischen Republik Kongo (DRK) brauchte er das Geld. Im Alter von 15 Jahren war Raphael stark genug, um tiefere Tunnel zu graben und tief unter der Erde in der Mine zu arbeiten. Zwei Jahre später, am 16. April 2018, starb er. Der Tunnel, in dem er arbeitete, war eingestürzt, so erzählt es seine Tante Bisette später dem Guardian. 63 Menschen wurden lebendig begraben. Keiner überlebte den Einsturz.

Es war nicht das erste Mal, dass Arbeiter beim Abbau von Kobalt starben, einem Rohstoff, der für das Funktionieren moderner Technologien unverzichtbar geworden ist. Tatsächlich warnen Menschenrechtsaktivisten seit Jahren vor den schrecklichen Arbeitsbedingungen und dem Einsatz von Kinderarbeit in den Kobaltminen des zentralafrikanischen Landes. Doch dieses Mal war es anders. Bisette, die Raphael seit dem Tod seiner Eltern aufgezogen hatte, beschloss, sich zu wehren. Die Menschenrechtsorganisation International Rights Advocates reichte Klage ein, in ihrem Namen und in dem von 13 weiteren Familien, deren Kinder bei Unfällen in kongolesischen Minen ums Leben kamen oder dort lebensverändernde Verletzungen erlitten.


Reihe über digitalen Kolonialismus: >Weitere Artikel aus dieser Reihe sind hier zu finden<. >Die englische Version dieses Textes ist hier zu finden<


Diese Klage war anders als alle anderen. Zum ersten Mal in der Geschichte wurde sie nicht in der Demokratischen Republik Kongo eingereicht, sondern in Washington DC, um US-Tech-Unternehmen vor Gericht zu bringen, weil sie Geschäftspartner in ihrer Lieferkette haben, die mutmaßlich für den Tod von Tausenden von Bergleuten verantwortlich sind. In der Sammelklage werden Google, Apple, Microsoft, Dell und Tesla beschuldigt, Beihilfe zum Tod und zur schweren Verletzung von Kindern geleistet zu haben, die in Kobaltminen arbeiten. Sie geht davon aus, dass die Beklagten „spezifische Kenntnisse“ darüber hatten, dass der Abbau von Kobalt mit Kinderarbeit verbunden ist.

Die Kläger forderten Schadensersatz für den Einsatz von Kinderarbeit und Entschädigungen für ungerechtfertigte Bereicherung. Das Verfahren sollte Technologieunternehmen für die in ihrer Lieferkette verborgenen Schrecken zur Rechenschaft ziehen. Es sollte Gerechtigkeit in eine globale Wirtschaftsordnung bringen, die Ressourcen aus Ländern des globalen Südens raubt und mit ihnen den Profit westlicher Unternehmen steigert. Ein Vorhaben, das gescheitert ist.

Das „schwarze Gold“ des Kongo

Kobalt ist ein wichtiger Rohstoff für die Herstellung wiederaufladbarer Lithium-Ionen-Batterien, die für den Betrieb elektronischer Geräte benötigt werden. Seine Bedeutung für die materielle Basis der heutigen Informationsgesellschaft ist extrem hoch. Ohne Kobalt keine Lithium-Ionen-Batterien. Ohne Lithium-Ionen-Batterien keine Smartphones, Laptops oder Elektroautos.

In den letzten zehn Jahren hat sich die weltweite Nachfrage nach dieser Ressource verdreifacht und wird sich bis 2035 voraussichtlich verdoppeln. Für das Jahr 2021 wurde das Volumen des weltweiten Kobaltmarktes auf satte 8,572 Milliarden Dollar geschätzt. Mit der weltweiten Umstellung auf eine grünere Wirtschaft und dem zunehmenden Einsatz von Elektrofahrzeugen dürfte die Nachfrage noch stärker steigen.

Die Demokratische Republik Kongo verfügt über mehr als die Hälfte der weltweiten Kobaltvorkommen und beherbergt über 70 Prozent der weltweiten Kobaltförderung. Obwohl die DRK der größte Lieferant des „schwarzen Goldes“ ist, wie es genannt wird, gehört sie zu den ärmsten Ländern der Welt. Nach Schätzungen der Weltbank aus dem Jahr 2018 leben 73 % der kongolesischen Bevölkerung, also 60 Millionen Menschen, unterhalb der Armutsgrenze der Weltbank von weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag. Ein Einwohner von sechs sogar in extremer Armut.

In der Regel verdient ein Minenarbeiter weniger als zwei Dollar pro Tag. Ihr Neffe Raphael, der unter einer Kobaltmine verschüttet wurde, fing als Minenarbeiter, weil sie sich die monatlichen Schulgebühren von sechs Dollar nicht leisten konnten, erzählt Bisette. Er war einer von 255.000 Menschen, die in den Kobaltminen im Kongo arbeiten. Nach Angaben des Internationalen Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) sind 40.000 von ihnen Kinder. Einige Kinderarbeiter sind laut Amnesty International erst sieben Jahre alt.

Diese Arbeiter verrichten die körperliche Arbeit, auf der sogenannte digitale Unternehmen wie Apple, Tesla und Microsoft ihre Imperien errichten. Doch die Milliardengewinne, die die globalen Tech-Giganten jährlich machen, führen nicht zu besseren Arbeitsbedingungen für die Arbeiter in den Minen.

Lebensbedrohliche Arbeitsbedingungen

Die Bergleute im Kongo arbeiten unter extrem gefährlichen und lebensbedrohlichen Arbeitsbedingungen. Teilweise verbringen die Arbeiter bis zu 24 Stunden ohne jegliche Schutzausrüstung in den Tunneln. Die Stollen sind so eng, dass jeweils nur eine Person hindurchpasst, und so klein, dass die Bergleute nicht einmal richtig stehen können. Ständig müssen sie mit einem Einsturz der Tunnel rechnen.

Doch das ist nicht die einzige Gefahr. Hinzu kommt der Mangel an Sauerstoff unter Tage. Manchmal arbeiten die Bergleute in einer Tiefe von bis zu 25 Metern, wobei die nächste Öffnung bis zu 100 Meter entfernt ist. Um zu der Kammer zu gelangen, in der sie mit dem Abbau beginnen, müssen sie extrem tückische Strecken überwinden, die nur schwer hinunter- und hinaufzuklettern sind. Die Temperatur, die an der Oberfläche bereits heiß ist, wird in der Tiefe zu einem Glutofen. In der untersten Kammer fangen die Arbeiter an, mit einer Brechstange Kobalt abzubauen. Aber sie müssen schnell arbeiten und zügig aufsteigen, denn in dieser Tiefe gibt es nur 20 Minuten lang Sauerstoff. Da sie in der kurzen Zeit aber nur eine Handvoll Kobalt sammeln können, steigen die Bergleute mehrmals am Tag in die Minen hinab. Jedes Mal ein Wettlauf auf Leben und Tod.

Als ob dies nicht schon genug wäre, wird der Kobaltabbau im Kongo mit Menschenrechtsverletzungen, einschließlich des sexuellen Missbrauchs von Kindern, in Verbindung gebracht. Der australische Fernsehsender ABC berichtet zum Beispiel über den Fall einer Kinderarbeiterin. Sie war elf Jahre alt, als sie aufgrund von Armut zur Arbeit in einer Mine gezwungen wurde. Im Alter von 15 Jahren hatte sie ein kleines Kind und gerade ihren Mann bei einem Autounfall verloren. Bald darauf begann ihr Chef in der Mine, Sex zu verlangen. Zunächst weigerte sie sich, aber das führte nur dazu, dass ihr Chef ihr die Arbeit erschwerte. Schließlich gab sie nach. „Ich wurde fast jede Woche von meinem Chef sexuell missbraucht“, sagt sie. „Ich konnte den Job nicht aufgeben, weil ich das Geld brauchte, um meine Kinder und meine Eltern zu unterstützen.“

Giftig für Arbeiter, Kinder und Anwohner

Jüngste Studien deuten zudem darauf hin, dass der Kontakt mit giftigen Stoffen in den Minen zu Geburtsfehlern bei den Kindern von Kobaltbergleuten führt. Die schädlichen Auswirkungen der toxischen Verschmutzung in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara sind noch nicht ausreichend untersucht worden, aber Ärzte und Forscher sehen einen Zusammenhang zwischen Geburtsfehlern und Metallverschmutzung. Der Guardian berichtet, dass eine im April 2020 in The Lancet Planetary Healthy veröffentlichte Studie ergab, dass das Risiko von Geburtsfehlern stark anstieg, wenn ein Elternteil in einer Kupfer- oder Kobaltmine arbeitete.

Die schädlichen Auswirkungen des Bergbaus beschränken sich jedoch nicht nur auf die Bergleute und ihre Kinder, sondern auch auf die Anwohner, die in der Nähe der Minen leben. Eine Studie ergab, dass Anwohner in der Nähe der Minen eine 43-mal höhere Kobaltkonzentration im Urin aufweisen als Nichtanwohner. Human Trafficking Search, eine globale Forschungsdatenbank zum Thema Menschenhandel, berichtet, dass „die Bleikonzentration fünfmal so hoch und die Kadmium- und Urankonzentration viermal so hoch ist“. Die Werte bei Kindern, die in der Nähe der Minen leben, waren sogar noch höher.

All diese Schrecken können die Bergleute nicht davon abhalten, in den Minen zu arbeiten. Manchmal bringen sie sogar ihre Kleinkinder mit. Siddharth Kara, ein Wirtschaftswissenschaftler, der sich mit der Bekämpfung der Sklaverei befasst und auf dessen Forschungen die Klage zurückgeht, erzählt von einem Mädchen namens Elodie. Sie ist 15 Jahre alt und Waise, weil ihre Eltern starben in den Kobaltminen starben. Sie hat ein zwei Monate altes Kind, das sie eng um ihren Rücken gewickelt trägt, während sie in einer der Kobaltminen arbeitet. Kara sagt, dass das Kind „bei jedem Atemzug tödlichen Mineralstaub einatmet“. Elodie verdient gerade einmal 65 Cent für ihre knochenharte Arbeit.

Kara zufolge sind Geschichten wie die von Elodie oder Raphael in den Kobaltminen des Kongo keine Ausnahmen, sondern die Regel. Die hier erwähnten schrecklichen Arbeitsbedingungen und Menschenrechtsverletzungen bildeten den Hintergrund für die Klage der kongolesischen Familien. Obwohl Berichte über Kinderarbeit in den Kobaltminen im Kongo nicht neu sind und die Verbindung zwischen den beklagten Tech-Giganten und dem Kobaltgeschäft mit der Kinderarbeit nicht schwer herzustellen ist, war es das erste Mal, dass westliche Tech-Unternehmen dafür vor Gericht gestellt wurden.

Mehr als ein Echo der kolonialen Praktiken

Den Angaben der Kläger zufolge kaufen Apple, Google, Tesla, Microsoft und Dell Kobalt in Batteriequalität von Umicore, einem in Brüssel ansässigen Metall- und Bergbauhändler, der den Rohstoff von Glencore bezieht. Diesem britischen Bergbauunternehmen gehören die Minen, in denen Raphael in den einstürzenden Tunneln starb, berichtet der Guardian. Apple, Dell und Microsoft haben zudem Kobalt von Zhejiang Huayou Cobalt gekauft, einem großen chinesischen Kobaltunternehmen, das offenbar ebenfalls Minen besitzt, in denen Kinderarbeit eingesetzt wird.

Schon lange vor der Einreichung der Klage gab es Berichte über Kinderarbeit und Menschenrechtsverletzungen in den kongolesischen Kobaltminen. Die Beklagten haben jedoch größtenteils behauptet, dass sie keine Kenntnis von Berichten über den Einsatz von Kinderarbeit für den Abbau im Kongo hatten. Dell zum Beispiel behauptete: „Wir haben niemals wissentlich Unternehmen beauftragt, die irgendeine Form von unfreiwilliger Arbeit, betrügerischen Rekrutierungspraktiken oder Kinderarbeit einsetzen“. Google seinerseits behauptete: „Kinderarbeit und -gefährdung sind inakzeptabel und unser Verhaltenskodex für Zulieferer verbietet diese Aktivitäten strikt.“

Wenn man sich die Klage ansieht, wird deutlich, dass es sich hierbei um mehr als nur ein Echo der kolonialen Praktiken handelt, fremde Rohstoffvorkommen und Arbeitskräfte auszubeuten. Ressourcen wie Kobalt werden im globalen Süden abgebaut und in die kapitalistischen Zentren im globalen Norden exportiert, wo sie zu Fertigprodukten verarbeitet werden. Die Endprodukte sind am Ende so teuer, dass die Menschen aus den Ländern, in denen diese Rohstoffe gewonnen werden, sie sich niemals leisten.

Jahrhundertelang war die ausländische Eigentümerschaft an den Minen und natürlichen Ressourcen unter Ausschluss der lokalen Bevölkerung ein zentrales Element von Kolonialherrschaft. Ein solches System führte zur Schaffung kolonialer Abhängigkeiten und Armut, die die Kolonisatoren ausnutzten, um Einheimische in Sklaverei oder sklavenähnliche Arbeitsbedingungen zu zwingen. Heute sind es ausländische Unternehmen, die die Kobalt-Minen im Kongo besitzen. Sie nutzen die extreme Armut aus, um Menschen zu zwingen, unter extrem gefährlichen Bedingungen zu Sklavenlöhnen zu arbeiten.

Und schließlich haben die Kolonialherren unermesslichen Reichtum für ihre Imperien geschaffen, während sie die lokale Wirtschaft ausbeuteten und ausplünderten, ohne jemals zur Rechenschaft gezogen zu werden. Das hat sich offenbar nie geändert.

„Reine Spekulation, kein nachweisbarer Schaden“

So klar der Zusammenhang zwischen den Tech-Unternehmen und der Kinderarbeit für die Angeklagten auch war – US-Bezirksrichter Carl J. Nichols sah ihn nicht. Im November 2021 wies er die Klage gegen Apple, Tesla und Co. mit der Begründung ab, es bestehe kein hinreichend starker kausaler Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Unternehmen und den Verletzungen der Bergleute. „Die einzige wirkliche Verbindung“, so Richter Nichols, „besteht darin, dass die Unternehmen veredeltes Kobalt kaufen“.

Der Richter bezeichnete den Tod der Kinderarbeiter als „tragisches Ereignis“ und sprach nicht nur den kongolesischen Familien das Recht ab, vor einem US-Gericht zu klagen, sondern auch die US-Unternehmen von jeglicher Verantwortung frei. „Es mag wahr sein, dass, wenn zum Beispiel Apple die Herstellung von Produkten, die Kobalt verwenden, eingestellt hätte, es weniger Kobalt von Umicore gekauft hätte, das wiederum weniger von Glencore gekauft hätte, das wiederum weniger von CMKK gekauft hätte, das wiederum Ismail angewiesen haben könnte, kein Kobalt mehr von Kinderschürfern zu kaufen, was dazu geführt hätte haben können, dass einige der Kläger nicht im Bergbau tätig waren, als sich ihre Verletzungen ereigneten“, sagte der Richter. „Aber diese lange Kette von Eventualitäten, in all ihrem Auf und Ab, ist reine Spekulation und kein nachweisbarer Schaden.“

Für alle, die gehofft hatten, dass dieser Fall dem globalen Wirtschaftssystem und den Familien der Verstorbenen etwas Gerechtigkeit bringen würde, endete der Prozess in einer Tragödie. Nach allem, was wir wissen, sind die Arbeitsbedingungen immer noch dieselben. Kinder sterben beim Abbau des Kobalts für unsere Geräte. Für Raphaels Tante Bisette und die anderen Familien bleibt nur ein schwacher Trost. „Es war das erste Mal“, so Siddharth Kara, „dass die Stimmen der Kinder, die in den dunklen Schattenseiten einer der wertvollsten Lieferketten der Welt leiden, vor Gericht gehört wurden.“.


Digitaler Kolonialismus

Dieser Artikel ist Teil einer Reihe über digitalen Kolonialismus. Wir werden verschiedene Themen behandeln, die mit der Dominanz einer Handvoll mächtiger Länder und großer Technologieunternehmen im digitalen Raum des globalen Südens zusammenhängen. In den letzten Jahren haben Wissenschaftlerinnen und Aktivisten zunehmend darüber geschrieben, wie diese Handvoll Firmen digitale Technologien nutzen, um eine sozio-politische und wirtschaftliche Vorherrschaft zu erlangen, die die Souveränität und die lokale Regierungsführung in den Ländern des globalen Südens untergräbt.

Einige Wissenschaftler bezeichnen dieses Phänomen als digitalen Kolonialismus. Sie argumentieren, dass sich zwar die Art und Weise, das Ausmaß und die Kontexte geändert haben mögen, doch die dem Kolonialismus zugrunde liegende Funktion des Aufbaus von Imperien, der Wertschöpfung und der Ausbeutung von Arbeitskräften ist dieselbe geblieben. Weitere Artikel der Reihe:


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