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Rasterfahndung: US-Einwanderungsbehörde errichtet beispielloses Überwachungssystem

Ein Protestcamp vor dem ICE-Gebäude, im VOrdergrund ein Banner mit der Aufschrift "Abolish ICE".
2018 forderten Migrations-Aktivist:innen landesweit die Abschaffung der ICE. Die Behörde spioniert auch US-Bürger:innen aus. CC-BY-NC-SA 4.0 Matthias Monroy

Die US-amerikanische Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) hat ein umfassendes Überwachungsnetzwerk errichtet. Damit sollen angeblich ausreisepflichtige Migrant:innen aufgespürt und festgenommen werden. Unter anderem kauft die Behörde dazu umfangreiche Datensätze von privaten Firmen. Das berichtet das an der Universität Georgetown ansässige Center on Privacy & Technology in seiner neu erschienenen Studie „American Dragnet“. Mit Hunderten von Anfragen nach dem Freedom of Information Act haben die Forscher:innen diese Verträge erhalten und ausgewertet.

Zwischen 2008 und 2021 gab die ICE demnach umgerechnet rund 2,7 Milliarden Euro für die Aquise, Speicherung und Verarbeitung von Daten aus. Der in Washington ansässigen Denkfabrik zufolge entstand auf diese Weise ein System, mit dem ICE in nahezu völliger Geheimhaltung auch US-Staatsangehörige ausforschen kann. Für die Autor:innen der Studie sei der Umfang des Netzwerks ein Schock gewesen.

Drei Viertel aller Erwachsenen mit Versorgungsdaten lokalisiert

In den USA dürfen Migrant:innen in einigen Bundesstaaten auch ohne Aufenthaltsgenehmigung eine Wohnung anmieten und Verträge mit Versorgungsfirmen abschließen. Auf diese Informationen von über 80 nationalen und regionalen Gas-, Strom- und Wasserunternehmen hat es die ICE abgesehen. Denn sobald eine neue Wohnung an Infrastruktur angeschlossen wird, wird dies der Behörde bekannt.

Für ihre Rasterfahndung kauft die ICE außerdem Datensätze von Firmen, die Kredite vergeben oder Kabel- und Internetverträge verkaufen. Laut dem Bericht kann die Behörde mit diesen Informationen drei Viertel aller im Land lebenden Erwachsenen anhand ihrer Versorgungsdaten lokalisieren. Ihre Sammlung und Verarbeitung erfolgt anlasslos und ohne richterliche Anordnung.

Außerdem hat die Einwanderungs- und Zollbehörde in 47 Bundesstaaten Zugang zur automatischen Nummernschilderkennung von Mautstraßen, Parkplätzen und Garagen. Allein für diese und andere Geolokalisierungsdienste gab ICE rund 1,25 Milliarden Euro aus.

Die Grafik zeigt die ICE-Ausgaben von 2008 bis 2021 für Biometrie, Datenhändler, Regierungsdatenbanken, Telekom, Geoloklaisierung und Auswertung.
Bekanntgewordene Ausgaben der ICE, aufgeschlüsselt nach Bereichen. - Alle Rechte vorbehalten Center on Privacy & Technology at Georgetown Law

Gesichtserkennung in Führerscheindaten

Laut dem Bericht hat die ICE Zugriff auf die Führerscheindaten von drei Vierteln aller in den USA lebenden Erwachsenen. Hierzu gehört auch der Zugang zu Lichtbildern, die mit Gesichtserkennungstechnologie gescannt werden können. Über eine Arbeitsvereinbarung mit einer Behörde, die im Gesundheitsministerium eigentlich für den Schutz von unbegleiteten, geflüchteten Kindern zuständig ist, kommt die ICE außerdem an Gesundheitsdaten.

Hauptauftragnehmer für die von der ICE angeforderten Dienste war bis 2021 die Firma Thomson Reuters, die unter dem Namen CLEAR eine Datenbank für die Personensuche anbietet. Eine eigens für Strafverfolgungsbehörden erstellte Version von CLEAR enthält Daten aus einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen, darunter Fahrzeugregistrierungen, Finanzinformationen, Telefonnummern oder Daten von Meldebehörden. Auch Beiträge in sozialen Medien fließen in die Rasterfahndung ein.

Laut der Studie von Center on Privacy & Technology könnte die ICE die Daten zukünftig von der Firma LexisNexis beziehen, die ähnliche Datenbanken anbietet.

Datenschutzgesetze in Bundesstaaten umgangen

Die Einwanderungs- und Zollbehörde wurde nach den Anschlägen vom 11. September als eine der neuen Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung gegründet. Neben den Informationen von privaten Firmen und aus behördlichen Regierungsdatenbanken verfügt die ICE deshalb auch über das bei Polizeien übliche Repertoire von Überwachungstechnologien. Hierzu gehören IMSI-Catcher, GPS-Ortungsgeräte, Videoüberwachung und elektronische Fußfesseln. Außerdem sammelt und verarbeitet die ICE biometrische Daten.

Einige US-Bundesstaaten räumen ihrer Polizei weniger restriktive Befugnisse ein oder haben robustere Datenschutzgesetze erlassen. Bekannt dafür ist etwa Kalifornien, das 2020 eigens ein Gesetz erließ, um Führerscheindaten oder Informationen zu Versorgungskunden vor der Weitergabe an die Einwanderungsbehörden zu schützen.

Trotzdem gelangen viele dort liegende Daten zum ICE-Überwachungsnetzwerk. Laut dem Georgetown-Bericht hat die Behörde immer noch Zugang zu mehr als der Hälfte der Versorgungsdaten der Einwohner:innen Kaliforniens. In Oregon, wo ein Gesetz den Zugriff des ICE auf Führerscheindaten verhindern sollte, gelangen diese über private Datenhändler schließlich doch zur Behörde.

Behörde soll alle Rasterfahndungsprogramme beenden

Dass neue Techniken und Fähigkeiten zur Überwachung zuerst an Migrant:innen und Geflüchteten ausprobiert werden, ist auch in Europa nicht ungewöhnlich. Meist erfolgt dies ohne größeres Aufsehen und wird erst dann zum Politikum, wenn auch Staatsangehörige des entsprechenden Landes betroffen sind.

Deshalb könnten die Enthüllungen über das ICE-Programm nun für größere Aufmerksamkeit sorgen. Denn tatsächlich geht die Behörde weit über ihr Mandat zur Durchsetzung der Einwanderungsbestimmungen hinaus, schreibt das Center on Privacy & Technology.

Der Bericht endet deshalb mit einer Reihe von Forderungen. So soll die ICE alle Rasterfahndungsprogramme sofort beenden und auch keine Daten mehr von privaten Firmen ankaufen. Der US-Kongress wird aufgerufen, die Privatsphäre der Menschen, die der Regierung ihre Daten anvertrauen, besser zu schützen und die Maßnahmen der ICE „aggressiv zu überwachen“. Schließlich soll der Kongress die Einwanderungsgesetze derart reformieren, dass die Zahl der abzuschiebenden Menschen reduziert wird.


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