Ticker

6/recent/ticker-posts

Ad Code

Responsive Advertisement

„Eklatant rechtswidrig“: Doppelte Rüge der Datenschutzbeauftragten für die Berliner Polizei

Polizisten stehen vor dem Brandenburger Tor, waehrend die Gedenkzeremonie am sowjetischen Ehrenmal stattfindet, DEU, Berlin, 09.05.2022 *** Police officers stand in front of Brandenburg Gate while memorial ceremony takes place at Soviet memorial, DEU, Berlin, 09 05 2022
– Alle Rechte vorbehalten Richard Wareham / Imago

Schon wieder Ärger wegen Datenschutzproblemen bei der Berliner Polizei: In ihrem heute veröffentlichen Jahresbericht informiert die Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk darüber, dass sie im Jahr 2021 innerhalb eines einzigen Verfahrens gleich zwei Beanstandungen gegenüber der Polizei aussprechen musste – die härteste Sanktionsform der Aufsichtsbehörde gegenüber staatlichen Stellen. Smoltczyk wirft der Polizei unter anderem mangelnde Kooperationsbereitschaft und Sorglosigkeit bei der Weitergabe sensibler Daten vor.

In dem entsprechenden Fall hatte die Polizei umfangreiche Daten an das Berliner Verwaltungsgericht weitergegeben. Es ging um eine Versammlung von sogenannten Querdenkern am 1. August 2020, das Gericht verhandelte über die vorzeitige Auflösung der Demonstration von Corona-Leugner:innen. Teil der ungeschwärzt übermittelten Gefährdungsbewertung des Staatsschutzes waren laut Datenschutzbehörde Informationen zu Anmelder:innen von Gegendemos oder von Personen, die in der Vergangenheit ähnliche Demos angemeldet hatten. Neben Vor- und Nachname waren polizeiliche Erkenntnisse zu diesen Personen enthalten, etwa ob strafrechtliche und staatsschutzrelevante Erkenntnisse über sie vorlagen.

Die sensiblen Daten waren auf diesem Weg auch beim Anwalt der Querdenker gelandet, weil dieser Akteneinsicht beantragt hatte. Die Polizei übermittelte dem Gericht und somit auch dem Anwalt zudem den Namen, die Adresse, das Geburtsdatum, die Telefonnummer und die E-Mail-Adresse eines Hinweisgebers zu möglichen Rechtsverstößen bei der Querdenker-Veranstaltung. Außerdem den Namen und die E-Mail-Adresse eines Medienvertreters.

Laut Datenschutzbehörde war die Datenweitergabe in der ungeschwärzten Form „eklatant rechtswidrig“.

Polizei ist zur Mitwirkung verpflichtet

Auf den Vorgang aufmerksam geworden war die Datenschutzbehörde, weil die Polizei nach Medienberichten über den Vorgang vorsorglich eine Datenpanne gemeldet hatte. Einen tatsächlichen Rechtsverstoß sah die Polizei aber offenbar nicht.

Als die Datenschutzaufsicht dem Fall nachspüren wollte, verweigerte die Polizei zunächst die vollständige Akteneinsicht – insbesondere die Klageschrift des Gerichtsverfahrens vor dem Verwaltungsgericht. Daraufhin sprach Smoltczyk eine erste Beanstandung aus. Das Berliner Datenschutzgesetz schreibt vor, dass öffentliche Stellen der oder dem Datenschutzbeauftragten „alle Informationen, die für die Erfüllung ihrer oder seiner Aufgaben erforderlich sind“, bereitstellen und mit der Behörde zusammenarbeiten müssen.

Später übermittelte die Polizei doch noch alle geforderten Unterlagen, daraufhin kam die Datenschutzbehörde zu dem Schluss, dass die ungeschwärzte Übermittlung der umfangreichen Informationen tatsächlich rechtswidrig war. Unter anderem sei fraglich, „ob überhaupt ein gerichtliches Interesse an den von der Polizei übermittelten personenbezogenen Daten“ bestand. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, habe das Geheimhaltungsinteresse der Betroffenen überwogen.

Wir haben kurzfristig nachgefragt, wie die Polizei heute zu dem Vorfall steht. Eine Antwort auf unsere Presseanfrage ergänzen wir, sobald sie vorliegt. Aus dem Jahresbericht der Datenschutzbehörde geht hervor, dass die Polizei nicht mit der Beanstandung einverstanden gewesen sei, sie jedoch zum Anlass genommen habe, ihr Personal für solche Fälle zu sensibilisieren.

Immer wieder Skandale und Beanstandungen

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Datenschutzskandale und Beanstandungen seitens der Aufsichtsbehörde bei der Berliner Polizei.

Wie netzpolitik.org berichtete, können Berliner Polizist:innen auf insgesamt mehr als 130 Datenbanken zugreifen und so eine sehr große Bandbreite persönlicher Informationen über Menschen in Erfahrung bringen. Dabei kam es wiederholt zu Datenschutzverstößen von Einzelpersonen, etwa wenn diese ohne dienstlich nachvollziehbaren Grund Daten über Personen abgefragt haben.

Ebenso war die Datensammlung an sich problematisch. Sie enthielt diskriminierende Kategorisierungen wie „geisteskrank“ oder „häufig wechselnder Wohnort“ zur Markierung von Sinti:zze und Rom:nja. 2019 machte die Berliner Polizei Schlagzeilen, weil sie seit Jahren keine Daten von Verdächtigen, Opfern oder Zeugen mehr gelöscht hatte, obwohl dies vorgeschrieben war.

Bereits im Jahresbericht 2018 beschwerte sich Maja Smoltczyk, weil die Polizei die Aufklärung eines Falls behindere, bei dem ein mutmaßlich rechtsextremer Polizist Informationen von Personen aus der linken Szene aus dienstlichen Datenbanken abrief und sie für Drohschreiben verwendete. 2020 monierte Smoltczyk, dass die Polizei Ermittlungen zu womöglich unbefugt abgerufenen Daten in Zusammenhang mit einer als Neukölln-Komplex bekannt gewordenen rechtsextremen Anschlagsserie erschwerte.

EU bemängelt schwachen Datenschutz bei deutscher Polizei

Die Datenschutzbeauftragte ist stark vom Mitwirkungswillen der Polizei abhängig. Denn sie hat in der Hauptstadt weniger Kompetenzen als von der Europäischen Union vorgeschrieben sind. Anders als in der EU-Richtlinie zum Datenschutz bei Polizei und Justiz vorgesehen, hat die Aufsichtsbehörde in Berlin keinerlei Mittel zur Verfügung, direkt auf die Polizei einzuwirken. Die rot-rot-grüne Regierung hatte bei der Überarbeitung des Datenschutzgesetzes 2018 darauf verzichtet, der Datenschutzaufsicht auch direkte Anordnungen gegenüber staatlichen Stellen zu ermöglichen. Die Beanstandung ist somit das schärfste Schwert, das Maja Smoltczyk zur Verfügung steht.

Dabei ist Berlin kein Einzelfall. Wie netzpolitik.org aufdeckte, führen nur zwei Bundesländer engmaschige und proaktive Kontrollen polizeilicher Datenbankzugriffe durch. Zudem fehlen der Aufsicht auch in mehreren anderen Bundesländern und im Bund die notwendigen Anordnungsmöglichkeiten. Das prangert unter anderem der Bundesdatenschutzbeauftragte, Ulrich Kelber, immer wieder an.

Inzwischen hat die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Sollten Bund und Länder nicht zügig dafür sorgen, dass die Polizei überall im Land einer wirksamen Datenschutzkontrolle unterworfen wird und die Aufsichtsbehörden echte Durchsetzbefugnisse erhalten, drohen der Bundesrepublik empfindliche Strafen aus Brüssel.


Hilf mit! Mit Deiner finanziellen Hilfe unterstützt Du unabhängigen Journalismus.

Enregistrer un commentaire

0 Commentaires