„Alle Leitungen belegt“, „habe nach einer Stunde aufgegeben“, „das unfreundlichste Telefonat, was ich je hatte“: Wer im App-Store durch die Rezensionen zur Corona-Warn-App (CWA) scrollt, merkt schnell, dass viele Menschen mit der TAN-Hotline unzufrieden sind. Tausende Menschen sind auf den telefonischen Dienst angewiesen, um ihre Risikokontakte warnen zu können. Tatsächlich zeigen Recherchen von netzpolitik.org: Viele scheitern daran. Die Hotline ist überlastet, offenbar schon seit Monaten.
In App-Rezensionen, auf Twitter und in Zuschriften an netzpolitik.org berichten dutzende Menschen bereits seit November von Wartezeiten, die sich heutzutage kein Unternehmen mehr bei einer Service-Hotline erlauben würde. Warteschlangen von mehr als 60 Minuten scheinen an der Tagesordnung. Viele Betroffene konnten nach eigenen Angaben trotz mehrerer Anläufe überhaupt nicht zum TAN-Dienst durchkommen. Vereinzelt finden sich sogar Berichte über ungeduldiges oder unfreundliches Hotline-Personal, das Gespräche abgebrochen haben soll, weil man nicht schnell genug antwortete.
Unsere Recherche zeigt: Während die Omikron-Variante die Infektionszahlen in ungeahnte Höhen trieb, wurde das Personal der TAN-Hotline offenbar nicht aufgestockt. Ein wichtiger Bestandteil der Corona-Warn-App (CWA) hat somit ein massives Überlastungsproblem. Den Verantwortlichen von Gesundheitsministerium, Robert-Koch-Institut und Telekom ist das bekannt. Gelöst haben sie es bis heute nicht.
„Dann hat sie aufgelegt“
Die TAN-Hotline ist als Notlösung entstanden, eigentlich hätte es sie gar nicht geben sollen. Damit das Warnen von Risikokontakten über die CWA so einfach wie möglich ist, sollte die Übermittlung positiver PCR-Tests über praktische QR-Codes erfolgen: Die Labore schicken sie den Betroffenen mit dem Testergebnis, ein einfacher Scan mit dem Telefon reicht, um den Test an die App zu übertragen und damit andere Menschen frühzeitig zu warnen. In den meisten Fällen klappt das auch.
Doch weil knapp zwei Jahre nach dem Start der CWA immer noch nicht alle PCR-Labore an die App angeschlossen sind, braucht es die TAN-Hotline. Bürger:innen können hier kostenlos anrufen und erhalten nach einer Verifizierung eine teleTAN, also eine Transaktionsnummer, mit der sie die Warnung in der App freischalten können. So jedenfalls die Theorie. In der Praxis ist die Hotline, die die Telekom-Tochter T-Systems für den Bund betreibt, für viele Menschen mit Corona-Infektion äußerst schwer zu erreichen.
„Seit 2 1/2 Tagen möchte ich mein positives Ergebnis eintragen“, beschwert sich am 16. März etwa Heinz-Georg F. im Playstore. „Gestern und vorgestern lief noch eine Warteschleife“, heißt in der Rezension weiter, „heute nur noch der kurze Hinweis, dass alle Leitungen belegt sind.“
Rückmeldungen wie diese gibt es haufenweise. Am 23. März beklagt Eva S.: „Nach zig Minuten in der Warteschleife habe ich endlich eine TAN bekommen, die dann sofort im Anschluss an das Gespräch bei der Eingabe als ungültig eingestuft wurde.“ Matti F. hat nach eigenen Angaben 50 Minuten gewartet und kommt zu dem Schluss: „So macht das keinen Spaß.“
Auch Rene J. kam zwar irgendwann durch, wurde laut Rezension dann aber äußerst unfreundlich und ungeduldig behandelt. „Ich telefoniere mit Ihnen schon 2 1/2 Minuten“, habe die Servicekraft gesagt, so J. in seiner Bewertung vom 14. März. „Andere wollen auch dran kommen, ich kann nicht mit Ihnen 3 Minuten telefonieren.“ Dann habe sie aufgelegt.
Auch aus früheren Monaten seit November finden sich die negativen Rezensionen. Der Frust unter den Anrufer:innen ist groß. Viele wollten den Aufforderungen der Bundesregierung folgen und die CWA nutzen, um andere zu warnen. Jetzt sind sie sich einig: „Die App ist nicht zu gebrauchen.“ Nicht selten liest man, dass Nutzer:innen sie nun deinstallieren wollen.
Kosten in Millionenhöhe
Dabei lässt der Bund sich die App und diezugehörigen Hotlines einiges kosten. SAP und Deutsche Telekom hatten laut Bundesregierung im Januar 2022 bereits mehr als 115 Millionen Euro für die Entwicklung und den Betrieb erhalten. In 2021 waren es durchschnittlich fast vier Millionen Euro pro Monat. Wieviel davon auf die Hotlines entfallen ist, ist nicht bekannt.
Nach Informationen von netzpolitik.org sollte die Telekom allein für die ersten sechseinhalb Monate TAN-Hotline im Jahr 2020 knapp 800.000 Euro bekommen. Es ist also wahrscheinlich, dass sich die monatlichen Kosten auf mehr als 100.000 Euro belaufen, pro Jahr mehr als eine Million.
Der schlechte Service der TAN-Hotline steht im krassen Widerspruch zu den wiederholten Beteuerungen der Bundesregierung, wie wichtig die App für die Eindämmung der Pandemie ist. Und er untergräbt das gute Image, dass die App sich inzwischen erarbeitet hat. Denn nach den anfänglichen Querelen um ihre datensparsame Konzeption hat die Kontaktverfolgungs-App viele Höhen und Tiefen erlebt.
Nachdem sie in ihrer Anfangszeit im Sommer 2020 zunächst als technisches Wundermittel hochgejubelt wurde, das eine Rückkehr zur Normalität quasi im Alleingang ermöglichen sollte, folgte eine Phase mit niedrigen Inzidenzen, in der sie fast aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwand. Als dann im Herbst und Winter 2020 die Pandemie mit Macht zurückkehrte und der vermeintliche „Lockdown Light“ ein ums andere Mal verlängert wurde, war die App der willkommene Sündenbock, dem Datenschutzgegner in Talkshows die Schuld zuschieben konnte.
Im zweiten Jahr der Pandemie dann mauserte sich die App zum vielgenutzten digitalen Schweizer Taschenmesser für das Leben mit der Pandemie. Fast 45 Millionen Mal wurde sie inzwischen heruntergeladen. Menschen checkten mit der App bei Veranstaltungen ein, weisen ihren Impfstatus nach, informieren sich über Inzidenzen und bis heute warnen sie ihre Kontakte vor einer möglichen Infektion. Noch im Februar teilte das Gesundheitsministerium auf Anfrage mit, die App stelle trotz der sich verändernden pandemischen Lage und der neuen Teststrategie weiterhin „ein wichtiges Instrument dar, um Infektionsketten schnell zu beenden“. Und tatsächlich: Allein in den letzten sieben Tagen wurden mehr als 7 Millionen rote Warnungen über die App versandt.
Die Warnungen steigen, die TANs stagnieren
Die Corona-Warnn-App erledigt also weiterhin ihren Job. Die zugehörige TAN-Hotline jedoch tut das offenbar nicht oder nur eingeschränkt, wie auch ein Blick auf die Statistik zeigt. Obwohl die Anzahl der Corona-Infektionen mit dem Aufkommen der Omikron-Variante in Deutschland seit Anfang des Jahres enorm in die Höhe geschnellt sind, bleibt die Zahl der CWA-Warnungen auf teleTAN-Basis konstant. Das zeigen die Statistiken, die regelmäßig auf Website der Corona-Warn-App veröffentlicht werden Am Montag den 14 März 2022 etwa, dem Tag mit den bislang meisten Warnungen in der Geschichte der Corona-Warn-App, gab es mehr als 107.000 Warnungen via QR-Code und 2128 Warnungen auf TAN-Basis.
Dabei ist nicht verwunderlich, dass die Zahl der Warnungen auf Basis von QR-Codes deutlich höher ist. Wohl aber, dass sich die Zahl der TAN-Warnungen kaum verändert, egal wie die Inzidenz steht. Während die Anzahl der Warnungen mit QR-Codes in den folgenden Monaten immer weiter anstieg, stieß die TAN-Methode recht bald an ihr Limit. 2000 und ein paar Zerquetschte – mehr Anrufe kann das Call-Center pro Tag offenbar nicht erfolgreich abwickeln.
Das RKI entschuldigt sich seit Monaten
Dass so viele Menschen die TAN-Hotline nicht erreichen können, hat auch Folgen für die Funktionsfähigkeit der Corona-Warn-App im Ganzen. Denn viele Anrufer:innen können ihre positiven Testergebnisse aufgrund der langen Wartezeiten erst verspätet teilen oder sie haben ganz aufgegeben, wie ihre Rezensionen zeigen.
Wie viele Warnungen erst zu spät oder gar nicht übermittelt wurden, lässt sich schwer sagen. Vielleicht hunderte, tausende oder noch mehr. Klarheit könnten nur die Verantwortlichen liefern, doch die Sache ist allen Beteiligten offenbar unangenhm. Auf mehrere Presseanfragen erhalten wir seit mehr als einer Woche weder vom Robert-Koch-Institut noch vom Bundesgesundheitsministerium der Ampel eine Antwort erhalten. Von der Telekom kam lediglich die Info, dass das Ministerium für die Beantwortung zuständig sei.
Dabei ist das Kapazitätsproblem den Verantwortlichen bereits seit langem bekannt, ohne dass sich etwas Gravierendes verändert hat. Das Robert-Koch-Institut beispielsweise reagiert in den App-Stores seit Monaten auf negative Reaktionen zur TAN-Hotline, entschuldigt sich und verspricht Besserung.
Bereits seit Mitte November gibt es auf der Entwickler-Seite der CWA auf Github zudem ein Issue, in dem einige der Freiwilligen, die die Corona-Warn-App seit langem mit großer Hingabe unterstützen, auf das Problem hinweisen. Sie haben hier unter anderem dutzende Tweets dokumentiert, in denen sich Menschen über die zu langen Warteschleifen beschweren. Mindestens ein Telekom-Manager hat auf Github auf die Hinweise reagiert und versprochen, sie an entsprechende Stellen weiterzuleiten.
Die Freiwilligen berichten auf Github zudem, dass sie das Robert-Koch-Institut in mehreren E-Mails direkt auf das Problem hingewiesen hätten. Einer von ihnen hat Gesundheitsminister Karl-Lauterbach auf Twitter kontaktiert. Geholfen hat es alles nichts, bis heute gehen die negativen Erfahrungsberichte weiter.
Das langsame Ende der Corona-Warn-App?
Ohnehin könnte es mit der Corona-Warn-App wohl bald vorbei sein. Im Nachbarland Schweiz zum Beispiel wurde die staatliche Kontaktverfolgungs-App im Zuge der Lockerungen gerade eingestampft. Die Verträge der Bundesregierung mit Telekom und SAP laufen zwar noch bis Ende des Jahres, doch der stiefmütterliche Umgang mit der TAN-Hotline spricht nicht dafür, dass das Projekt noch besondere Wichtigkeit hat.
Am Ende drängt sich der Eindruck auf, dass das Gesundheitsministerium einfach nicht noch mehr Geld ausgeben wollte, um die TAN-Hotline um die notwendigen Kapazitäten aufzustocken. Dass über Monate hinweg Menschen ihre Warnung erst zu spät oder gar nicht aussenden konnten, hat das Haus vom früheren Mahner Karl Lauterbach offenbar in Kauf genommen.
Vielleicht hat man angesichts der explodierenden Infektionszahlen einfach aufgegeben. Vielleicht war die App auch doch nicht so hilfreich, wie es immer hieß. Oder sie ist in dieser Phase der Pandemie nicht mehr nützlich. Dann aber müsste sich die Bundesregierung fragen lassen, warum sie so viel Geld dafür ausgegeben hat und nicht mit klarer Kommunikation einen Schlussstrich gezogen hat – anstatt verantwortungsvolle Menschen in der Hotline versauern zu lassen.
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