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Öffentliche Stellen: Raus aus Facebook, Twitter, TikTok!

Eine Neon-Beleuchtung in Form eines Like-Herzchens
Kein Herz für öffentliche Stellen auf Sozialen Medien. (Symbolbild) Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Prateek Katyal

Dr. Stefan Brink ist seit 2017 Landesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in Baden-Württemberg. Clarissa Henning ist Referentin beim Landesdatenschutzbeauftragten.

Truth Social – das klingt wie die Vision dessen, was Soziale Medien sein sollten, aber eben nicht sind: Stätten des gleichberechtigten und offenen Diskurses, wo sich Wahrheiten gemeinsam und kritisch entwickeln lassen und der soziale Zusammenhalt inhaltlich fundiert wird. Schön wär’s.

Um der Wahrheit und Freiheit eine Plattform zu geben, so die hehren Ziele, hat der ehemalige US-Präsident Donald Trump jetzt also seine eigene Social-Media-Plattform unter dem Namen „Truth Social“ aufsetzen lassen – und jeder kann ahnen, wie weit er das mit diesem Namen verbundene Programm verfehlen wird. Wir kennen ihn.

Nach einigem Hin und Her ist die Plattform am 21. Februar an den Start gegangen, es läuft aber weiterhin schleppend. Mit Trumps „Rebellion“ gegen die „Tyrannei“ der klassischen „Sozialen“ Medien, die ihn erst gehätschelt und dann aus ihrem Universum verbannt haben – allen voran Twitter – macht er ungewollt auf das Dilemma aufmerksam, vor dem wir nach wie vor die Augen verschließen: vermeintlich Soziale Medien sind freiheitsfeindlich und unsozial, sie beuten die User aus, manipulieren sie, sorgen für Hass und Hetze, spalten ganze Gesellschaften.

Aus Freunden sind Feinde geworden

Trump und sein „Truth Social“ versinnbildlichen in besonderem Maß das Geschäftsmodell Sozialer Medien: Manipulation als Wahrheit zu verkaufen – und die Nutzer gleich mit.

Aus den ehemaligen Freunden – die reichweiten- und aufmerksamkeitsfixierten gewerblichen Plattformen hier und der demagogische Anti-Establishment-Verführer dort – sind also Feinde geworden. Dabei waren sie von Anfang an ‚natürliche Verbündete‘, denn Trumps populistische und berechnet-einseitige Tweets passten so wunderbar in die ganz eigene Architektur Sozialer Medien und zu deren Markt-Ziel: die maximale Aufmerksamkeit der User durch noch so polemische und einseitige Äußerungen zu erheischen, sei es in Verbundenheit oder in erbitterter Gegnerschaft.

Genau so steigert man die Verweildauer der User auf den Plattformen immer weiter, so können immer genauere Nutzerprofile angelegt werden. Und diese sind nicht nur werblich verwertbar, sondern stellen den kürzesten – und vor allem undurchsichtigsten – Weg zur Manipulation eben dieser User dar: zum Kauf eines überteuerten Produkts, zur Verknüpfung mit Gleichgesinnten, die ihre jeweiligen Präferenzen weiter gegenseitig verstärken, und eben auch zur politischen (Ver-)Führung.

Die gewerblichen Plattformen genossen über lange Jahre diese heimliche Symbiose mit möglichst radikalisierenden Politikern. Sie schufen eigens eine Zwei-Klassen-Gesellschaft auf Social Media, in der Prominente nahezu alles posten durften, was immer sie wollten, während der „Normalo-Nutzer“ für Verstöße gegen die wenig schlüssigen und gewerblich orientierten Binnenregularien der Anbieterplattformen harsch sanktioniert wurde.

Es war ganz wunderbar: Nichts generiert mehr Aufmerksamkeit als Extreme, Falschnachrichten, Provokationen, Regelverletzungen und Lügen. Daher ist es nicht erstaunlich, dass die Algorithmen von Facebook und Co. gerade solche Nachrichten auswählten und in die Filterblase gewöhnlicher User spülten. Auch nur ein Klick auf eine derartige „vergiftete“ Nachricht sorgt dafür, dass der Algorithmus unser vermeintliches Interesse an solchen Nachrichten erkennt und uns immer wieder ähnliche Informationen zuspielt.

Als User wähnen wir uns wiederum in der Gemeinschaft unzähliger Gleichgesinnter – und sind doch nur in einer Seifenblase, die uns vorspiegelt, die Verschwörungsanhänger seien immer die anderen – unbelehrbaren – Minderheiten, egal ob in Gestalt von Eliten oder Außenseitern.

So erstaunt es nicht, dass eine Falschnachricht wie unter dem Hashtag „Pizzagate“ trotz ihrer evidenten Unplausibilität eine so unfassbare Reichweite und Wirkmacht erzielen konnte, dass sie von tausenden Menschen bis hin zu US-Parlamentariern für wahr gehalten wurde und dazu führte, dass ein Mann im Glauben „das Richtige“ zu tun mit einer scharfen Waffe eine Pizzeria erstürmte, um vermeintlich zur Pornografie gezwungene junge Mädchen zu befreien. Kein Betriebsunfall von Social Media, sondern mittendrin in ihrer Logik.

Was bedeutet Wahrheit in Sozialen Medien?

Dies ist nur ein prominentes Beispiel dafür, wie manipulierbar wir durch Soziale Medien werden können. Und das ist – wirtschaftlich betrachtet – Gold wert. Umso mehr über jeden Einzelnen von uns in Erfahrung gebracht wird, desto besser ist unser Verhalten kalkulierbar.

Wir werden berechenbar gemacht, unser Denken, Glauben und Hoffen ist den Datenkonzernen detailliert bekannt und für deren Zwecke nutzbar, bevor wir selbst auch nur ahnen, wie wir reagieren werden und was wir zu glauben bereit sind. Das ist das Gegenteil von Freiheit und das Gegenteil von informationeller Selbstbestimmung.

Wir orientieren uns an einer vermeintlichen, für uns höchstpersönlich zusammengezimmerten Wahrheit, die nie dem Anspruch folgte, verschiedene Perspektiven abzubilden und kritisches Denken zu fördern. Im Gegenteil: In unserer Echokammer, immer und immer wieder mit der gleichen Meinung konfrontiert, radikalisieren wir uns unmerklich immer mehr. Im Glauben, uns an der Wahrheit zu orientieren.

Das Ansehen von Social Media ist auf einem Tiefstand

Soziale Medien werden von einem Werkzeug der Vernetzung, Bürgerbeteiligung, Information, Meinungsfreiheit und Selbstermächtigung zu einer gemeinschaftsschädlichen Manipulationsmaschinerie. Dies bestätigen auch die jüngsten Enthüllungen der Whistleblowerin Frances Haugen.

Das Ansehen von Social Media ist mittlerweile auf einem Tiefstand, und zwar zu Recht. Man muss nur dem deplatziert wirkenden Mark Zuckerberg zuschauen, wie er vor europäischen und inzwischen auch US-amerikanischen Parlamenten um sein doch nur „gut gemeintes“ Geschäftsmodell ringt und erfahren muss, dass sein schöner bunter Zauberkasten jede Sympathie eingebüßt hat – und nun selbst Objekt des Hasses und der Ablehnung wird.

Jetzt ist der Kampf ums öffentliche Image der Branche Social Media entbrannt. Um zu retten, was zu retten ist, gibt man vor, verstanden zu haben und sich neu mit der Community verbünden zu wollen – de facto wurde der öffentliche Druck selbst für die Social-Media-Monopolisten zu hoch: Sie mussten sich von Trump trennen.

Wann ist der Imageschaden größer als der Vorteil?

Das war ihr gutes Recht – und reine Berechnung: Wann kostet ein reichweitenstarker Player zu viele Follower der empörten Gegenseite? Wir konnten es jetzt erneut auf der Streaming-Plattform Spotify verfolgen, im Fokus der Empörung: der Podcaster Joe Rogan. Angeführt von Neil Young, der seine Musik aufgrund des umstrittenen, aber erfolgreichsten Spotify-Podcast von Rogan von der Plattform nahm – und viel wichtiger: seine Follower mitnahm. So sieht sich Spotify einer ähnlichen Situation gegenüber wie ehemals Twitter.

Wann ist der Imageschaden durch weitere sich verabschiedende Künstler und ihre Follower, die bares Geld bedeuten, so groß, dass man sich vom lukrativen Geschäftsmodell Rogan trennen muss – natürlich alles im Zeichen gesellschaftlicher Verantwortung und mit wehenden Fahnen der Moral?

Mit Blick auf das Geschäftsmodell Sozialer Medien fällt einem hierfür wohl nur noch der Begriff des „Ethic Washing“ ein. Aus moralischen Gründen ist ein Trump (und womöglich bald ein Rogan) nicht mehr tragbar – das kommt gut an und vor allem: ein gutes Image hält die Nutzer weiterhin auf der Plattform.

Jedem steht frei, wo er sich informieren will

Aber abgesehen von den Trumps oder Rogans dieser Welt muss man sich fragen, ob private Medien mit einer derartigen Monopolstellung die Hauptinformationsquelle für Bürger sein sollten. Unternehmen, die frei entscheiden können, wem das Wort entzogen wird und wem nicht, welche Nachricht wieviel Reichweite bekommt und wer mit dieser Nachricht adressiert wird.

Allerdings wird sich das in einer Gesellschaft, die Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit garantiert, nicht ohne Weiteres regulieren lassen.

Umgekehrt muss natürlich jedem Bürger die Entscheidung freistehen, über welche Medienkanäle er sich informieren möchte. Und natürlich muss auch jedes private Unternehmen selbst entscheiden können, welche Werbekanäle es für angemessen und nützlich betrachtet.

Twitternde Polizei und TikTok-Tänze

Folgerichtig fällt der Blick wieder auf jene, die Soziale Plattformen nutzen, um ihre eigenen Botschaften zu senden und die dieses nach Ablauf einer gewissen Schamfrist jetzt seit etwa zehn Jahren auch immer intensiver tun: auf unsere öffentlichen Stellen. Auf twitternde Polizeibehörden und Theater mit Facebook-Fanpage, auf Universitäten mit Instagram-Kanal und Rundfunkanstalten, die via YouTube funken. Und auf politische Akteure wie Staatskanzleien oder Parlamentarier, die sich ohne die reichweitenstarken US-Plattformen im Abseits wähnen. Selbst die kommunale Familie vom Landratsamt bis zur Ortsgemeinde rüstet sich für den nächsten Medienumzug auf TikTok. Unser Bundeskanzler soll dort ja auch bald tanzen…

Sollten nicht gerade diese unseren Staat und unsere Gesellschaft stabilisierenden und die Demokratie repräsentierenden Einrichtungen eine ganz andere Haltung zeigen? Öffentliche Stellen tragen Verantwortung und sind durch rechtsstaatliche Bande auf Gesetz und Recht festgelegt – und damit in ihrer medialen Entscheidung nicht so frei wie Bürger und Unternehmen.

Wichtige Informationen – sei es von der Polizei, einem Ministerium, dem Rathaus oder einer Bildungseinrichtung – sollten, nein: dürfen nicht über diese gemeinschaftsschädlichen und freiheitsgefährenden Plattformen gesendet werden. Auf diese Weise zwingen sie ihre Bürger, denen zu dienen sie bestimmt sind, auf die Verwertungs- und Manipulationsplattformen der Platzhirsche.

Öffentliche Stellen raus

Diese sozialen Medien entziehen unser staatlichen Ordnung ihre Daseinsberechtigung: die mündigen Bürger. Es kann nicht sein, dass öffentliche Stellen sich hinter dem bloßen Argument der Reichweite verstecken und dabei gleich noch die braven Bürger einer informationellen Verwertung der Monopolisten zuführen. Ein Staat, der seine Kommunikation mit der Bürgerschaft auf Kanäle beschränkt, welche deren Informationsinteressen zu eigenen wirtschaftlichen Zwecken ausbeuten und gleichzeitig die Grundlagen unserer Gemeinschaft unterminieren, handelt offen widersprüchlich und damit erkennbar falsch.

Das schon seit 2010 angeführte Argument, die Behörden müssten doch dort sein, wo die Bürger sind, kann darüber nicht hinwegtäuschen: Ein Staat braucht keine Follower, er ist nicht auf Likes angewiesen. Der Staat kommuniziert über seine eigenen, von ihm beherrschten und rechtmäßig wie transparent ausgestalteten Kanäle, er drängt sich nicht aufmerksamkeitsheischend in die Timeline des Bürgers, er macht gut wahrnehmbare Angebote für mündige Bürger.

Nachdem Social Media sein strahlendes Image verloren hat, werden von Social-Media-fixierten Behörden inzwischen neue Begründungen gegeben, warum sie an der behördlichen Präsenz im Social-Media-Sumpf festhalten müssen: „Wir wollen Schlimmeres verhüten, wir müssen gegen Hass und Hetze im Netz mit guten, verlässlichen und bürgernahen Informationen gegensteuern, sonst überlassen wir die Sozialen Plattformen den Extremisten, Lügnern und Verschwörern.“

Der Staat betreut seine Bürger nicht bei der Meinungsbildung

Auch das kann nicht überzeugen, denn der Staat hat weder die Aufgabe, neben jede private Unwahrheit eine hoheitliche Wahrheit zu stellen, noch moderiert er selbst den öffentlichen Diskurs. Er kann es nicht, und er darf es nicht: Der freiheitliche Staat verfügt über kein Wahrheitsministerium – und er betreut seine Bürger nicht bei der Meinungsbildung.

Da muss er schon auf seine Bürger vertrauen. Und die holen sich die Informationen, die sie brauchen – erst recht, wenn sie dem Informationsanbieter vertrauen. Umgekehrt steuern die Bürger über ihre Nachfrage auf den höchst unterschiedlichen Plattformen aber auch das Kommunikationsverhalten öffentlicher Stellen mit.

Je deutlicher die Follower ihre Präferenz von fairer und transparenter Social Media durch ihr Nutzungsverhalten zum Ausdruck bringen, umso rascher werden öffentliche Stellen auf vertrauenswürdige Plattformen umsteigen. Und dieses Vertrauen wird dadurch eingelöst, dass staatliche Organe verlässliche Informationen nicht zum Preis persönlicher Daten verkaufen. Und dass die Paywall Sozialer Medien nur zum Preis unserer informationellen Selbstbestimmung überbrückt werden kann, ist heutzutage weitbekannt.

Raus aus Facebook, raus aus Instagram, raus aus Twitter

Öffentliche Stellen haben die Pflicht, den irregulären Regularitäten der Social Media-Monopolisten entgegenzutreten. Sie müssen es besser machen. Staatliche Informationen müssen in einem ersten Schritt auch über alternative Kanäle wie Mastodon oder PeerTube verbreitet werden, deren Geschäftsmodell nicht den Kollateralschaden in Kauf nimmt, demokratische Grundpfeiler zu unterminieren. Mit der weiteren Verbreitung dieser alternativen Kanäle wird zwar auch diese Social Media nicht „sorglos“ zu nutzen sein – aber jedenfalls nicht an den gewerblich bedingten Problematiken leiden.

Deshalb müssen wir als staatliche Stellen jetzt gemeinsam ein Zeichen setzen. Für die Bürger. Für die Freiheit. Raus aus Facebook, raus aus Instagram, raus aus Twitter, raus aus TikTok.


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