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Missbrauchsdarstellungen: EU-Innenkommissarin Johansson will offenbar an Chatkontrolle festhalten

Ylva Johansson vor Rednerpult
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson (Archivbild von 2019) CC-BY 2.0 European Parliament

Die EU-Innenkommissarin Alva Johansson hat in der Welt am Sonntag bekräftigt, in den kommenden Monaten ein neues Gesetz gegen sexuellen Missbrauch von Kindern vorzuschlagen. Das hätte auch Folgen für Online-Dienste: Die Unternehmen sollen verpflichtet werden, Missbrauchsdarstellungen von Kindern zu erkennen, zu melden und zu entfernen. „Eine freiwillige Meldung wird dann nicht mehr ausreichen“, so Johansson weiter. Ursprünglich war die Vorstellung des brisanten Gesetzentwurfes für den 1. Dezember 2021 geplant gewesen, wurde aber von der EU-Kommission verschoben. Laut Johansson seien die im Jahr 2020 gemachten etwa 22 Millionen Meldungen nur ein Bruchteil der wirklichen Straftaten. 

Die Entdeckung und Entfernung von Missbrauchsdarstellungen müsse künftig ein „automatischer Reflex“ für die Internetanbieter werden, so die sozialdemokratische Innenpolitikerin gegenüber der Welt am Sonntag. Damit hält Johansson offenbar an der umstrittenen Chatkontrolle fest. Unter dem Begriff werden Verfahren subsumiert, bei dem Inhalte auf den Endgeräten der Nutzer:innen nach bestimmten Dateien durchsucht werden. Zwar seien laut Johansson Datenschutz und Verschlüsselung wichtig, aber der Fokus müsse „in erster Linie auf dem Schutz der Kinder liegen.“ Die Verpflichtungen sollen für große und kleine Unternehmen gelten.

Neue Überwachungsmöglichkeiten

Grundsätzlich könnte dabei auf bereits bestehende Ansätze zurückgegriffen werden, beispielsweise auf die von Microsoft entwickelte PhotoDNA-Software und die Datenbank der US-Organisation National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC). Darin liegen digitale Fingerabdrücke, sogenannte Hashes, von Bildern oder Videos, die bereits einmal als illegal erkannt worden sind. Vor jedem Versenden einer Nachricht könnte der Hash eines Anhangs ermittelt und mit der Datenbank abgeglichen werden. Stellt sich die Datei als einschlägig bekannt heraus, ließe sich der Versand unterbinden und potenziell ein Hinweis an die Polizei auslösen.

Schon heute scannen viele soziale Netzwerke öffentlich zugängliche Bilder und Videos und gleichen sie mit diesen Datenbanken ab. Dieses Verfahren stößt auf nur verhältnismäßig geringe Kritik, weil es bislang freiwillig und zudem nicht auf den Endgeräten der Nutzer:innen, sondern im offenen Netz stattfindet. Vor rund einem Jahr hatte die EU eine Ausnahmeregelung beschlossen, die diese Durchleuchtung weiter möglich macht.

Die Überwachungstechnologie, die dem nun erneut in den Raum gestellten EU-Gesetz folgen könnte, wird Client-Side-Scanning (CSS) genannt. Dabei werden Inhalte direkt auf den Endgeräten von Nutzer:innen durchsucht, noch bevor sie womöglich verschlüsselt werden. Zuletzt haben weltweit bekannte IT-Sicherheitsforscher:innen und Erfinder von Verschlüsselungssystemen in einer gemeinsamen Studie alle Pläne für Inhalte-Scanner auf den Geräten von Endnutzer:innen heftig kritisiert. Die Expert:innen kommen zum Schluss: Client-Side-Scanning ist eine Gefahr für Privatsphäre, IT-Sicherheit, Meinungsfreiheit und die Demokratie als Ganzes.

Ausweitung befürchtet

Der Eingriff auf die Geräte durch eine Chatkontrolle wäre schon erheblich, auch wenn nur wie bislang angedacht nach Missbrauchsdarstellungen gesucht würde. IT-Expert:innen befürchten, dass selbst wenn das Client-Side-Scanning zunächst nur zur Suche nach solchen Inhalten eingesetzt würde, ein enormer politischer und gesellschaftlicher Druck entstünde, den Anwendungsbereich auszuweiten.

Ihr Argument ist dabei, dass eine einmal eingeführte Überwachungsinfrastruktur Begehrlichkeiten weckt und es nach der Einführung kaum noch eine Möglichkeit gäbe, sich gegen die Ausweitung zu wehren oder den Missbrauch des Systems zu kontrollieren. Technisch wäre eine solche Ausweitung sehr einfach umzusetzen. Deswegen kommen die IT-Expert:innen zum Schluss, dass CSS einen Eingriff in die Privatsphäre darstellt, der sogar schlimmer ist als frühere Vorschläge zur Schwächung von Verschlüsselung. 

Während die EU-Innenminister sich für die Einführung der Chatkontrolle aussprechen, kam durch eine Recherche heraus, dass deutsche Ermittlungsbehörden nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen, Darstellungen von Kindesmissbrauch aus dem Netz zu entfernen. Das weist darauf hin, dass es noch erhebliche Verbesserungsmöglichkeiten innerhalb bestehender Gesetze gibt, ohne dass man mit der Chatkontrolle anlasslos die Endgeräte aller Menschen durchsucht.


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