Anfang Dezember enthüllten Journalisten des ARD-Politikmagazins Panorama und des NDR-Reportageformats STRG_F (funk) gemeinsam mit dem Spiegel, dass Fotos und Videos, die schweren sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen, oft jahrelang im Netz bleiben, obwohl Ermittlungsbehörden sie löschen lassen könnten. Opferschutzorganisationen sowie Kinder- und Jugendpsychologen sprachen im Anschluss von einer „Ohrfeige für Betroffene“, auch eine Gruppe von EU-Abgeordneten bemüht sich mittlerweile um Aufklärung.
In ihrem Gastbeitrag schildern Robert Bongen und Daniel Moßbrucker, die Teil des Rechercheteams waren, warum ein Strategiewechsel im Kampf gegen Kindesmissbrauch nicht nur eine ermittlungstaktische, sondern auch eine politische Frage wäre.
Bei einem seiner letzten Auftritte im November 2021 wurde der damals geschäftsführende Bundesinnenminister Horst Seehofer ungewohnt emotional. Auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamts (BKA) hob Seehofer einen Bereich hervor, der ihm persönlich große Sorgen bereite: Die Verbreitung von Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern. Deren Zahl steige von Jahr zu Jahr enorm an – und dieser Trend müsse mit allen Mitteln gestoppt werden. Denn hinter den Darstellungen stehe fast immer auch ein realer Missbrauch:
Was für ein unermessliches Leid, das die Täter den Kindern zufügen! Das Bild- oder Videomaterial darf auf keinen Fall dauerhaft abrufbar sein. Die Betroffenen werden sonst immer wieder zum Opfer, und zwar ein Leben lang. Die Löschung dieser Bilder und Videos ist daher unverzichtbar.
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Und doch: Die Worte haben uns in ihrer Vehemenz überrascht. Denn zu diesem Zeitpunkt hatten wir unsere Recherche schon abgeschlossen. Und nur wenige Tage später berichteten wir, dass ausgerechnet das Bundeskriminalamt – das in Deutschland als Zentralstelle besondere Rechte und Pflichten beim Kampf gegen Kindesmissbrauch hat – Seehofers Forderung seit Jahren allenfalls teilweise erfüllt.
Fotos und Videos werden meistens bei gewöhnlichen Speicherdiensten abgelegt, die Download-Links in Darknet-Foren geteilt. Doch das BKA meldet diese Links nicht systematisch an diese Speicherdienste, obwohl damit illegales Material, das schweren Kindesmissbrauch dokumentiert, aus dem Netz verschwinden würde.
Wie kann es sein, dass eine Behörde, die dem Bundesinnenministerium untersteht, genau das unterlässt, was der zuständige Minister öffentlich als „unverzichtbar“ bezeichnet?
(Fast) alles ist erlaubt
Die Welt, in der sich die Ermittler:innen des BKA bewegen, ist verstörend. Ein Beispiel: Wer sich im Internet bei einem Online-Dienst registriert, muss in der Regel die „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ akzeptieren. Die sind meist so lang und komplex, dass sie niemand liest.
Auf der weltweit größten Plattform im Darknet, auf der sich Pädokriminelle treffen, ist es anders. Hier bestehen die AGB aus nur einem einzigen Satz: Wer ins Forum wolle, solle niemals persönliche Informationen über sich posten. Ansonsten, so ahnt man, ist hier alles erlaubt, was auf immer größeren Anklang stößt: Allein in diesem Forum waren Ende 2021 rund 3,7 Millionen Nutzerkonten registriert, unter dem zweifelhaften Slogan: „For Child Lovers“.
Ermittlungsbehörden lassen die Foren groß werden
Dieses Forum stand im Mittelpunkt unserer Recherchen. Nie zuvor in der Geschichte des Internets hat es eine größere Plattform dieser Art gegeben. Zum Vergleich: Das Forum „Boystown“, das deutsche Behörden im April 2021 abschalten konnten, hatte zum Schluss „nur“ rund 400.000 Nutzer:innenkonten. Man sollte diese Zahlen nicht mit Menschen gleichsetzen, denn viele Pädokriminelle eröffnen mit jedem Login einen neuen Account, den sie danach nie wieder gebrauchen. Dennoch spricht viel dafür, dass es diese Darknet-Foren insbesondere in den vergangenen zwei bis drei Jahren geschafft haben, gewaltige Zuwachsraten zu verzeichnen. Die User:innen der Plattform mit dem Slogan „For Child Lovers“ hatten die dortigen Inhalte zum Zeitpunkt unserer Recherche rund 1,7 Milliarden mal angeklickt, Tendenz stark steigend.
Für den Aufstieg dieser Foren gibt es technische Gründe, zum Beispiel ist das dahinterliegende Tor-Netzwerk in den vergangenen Jahren immer schneller geworden. Vor allem aber – und das ist die zentrale Erkenntnis unserer Recherche – lassen Ermittlungsbehörden aus vielen Ländern, darunter auch das deutsche Bundeskriminalamt, diese Plattformen unfreiwillig immer attraktiver werden, weil es dort immer mehr Inhalte zum Herunterladen gibt – ohne dass die Ermittler:innen einschreiten.
Darknet übernimmt die Vermittlungsrolle
Allein in dem größten Forum „For Child Lovers“ standen unseren datenjournalistischen Analysen zufolge im November über 20 Terabyte – das sind über 20.000 Gigabyte – zum Download. Und diese Menge könnte binnen kürzester Zeit gelöscht werden.
Dies hängt mit der besonderen Architektur dieser pädokriminellen Netzwerke zusammen. Zwar agieren die Betreiber:innen der Pädo-Plattformen im anonymen Darknet, um dort einen digitalen Treffpunkt für pädokriminelle Menschen aufzubauen. Die Datenmengen der illegalen Aufnahmen, die dort von jedem getauscht werden können, sind allerdings zu groß, um auf den Darknet-Plattformen selbst gespeichert werden zu können. Daher wählen die Pädokriminellen stattdessen Speicherdienste im gewöhnlichen Internet, sogenannte One-Click-Filehoster.
Sie legen ihr Material dafür in einen Ordner, den sie als sogenanntes Archiv mit einem Passwort verschlüsseln, und dieses Archiv laden sie beim Filehoster hoch. Aus Sicht des Filehosters wurde also ein verschlüsselter Datenberg hochgeladen. Im Darknet-Forum teilen die Pädokriminellen dann den entsprechenden Download-Link und das dazugehörige Passwort. Die Filehoster ahnen also meist nichts davon, weil mögliche Upload-Filter durch den Passwortschutz nicht greifen.
Selbst müssen sie laut Rechtslage nicht danach suchen. Mehr noch: Es wäre sogar illegal, würden Betreiber:innen eines Filehosters im Internet gezielt nach Fotos und Videos suchen, auf denen Kindesmissbrauch zu sehen ist. Die Filehoster sind also darauf angewiesen, dass sie einen Hinweis erhalten.
97 Prozent der Inhalte liegen im Clearweb
Das Canadian Center for Child Protection (C3P) schätzt, dass nur etwa drei Prozent der Fotos und Videos, die Kindesmissbrauch dokumentieren, im Darknet selbst gehostet werden. 97 Prozent hingegen liegen im Clearweb, also dem Teil des Internets, der mit gewöhnlichen Browsern wie Firefox oder Chrome ansteuerbar ist.
Die kanadische Charity-Organisation C3P unterhält unter anderem eine Hotline, bei der Verdachtsfälle auf Kindesmissbrauch gemeldet werden können. Außerdem sucht die Organisation gezielt nach Missbrauchsdarstellungen und meldet diese an die zuständigen Internetfirmen.
Nach eigener Darstellung ist C3P auch im Darknet aktiv und sucht in Foren nach verlinkten Archiven, die zu Clearweb-Hostern führen. Übernimmt die NGO also den Job, sodass sich Strafverfolgungsbehörden um die Ermittlung der Täter:innen kümmern können?
Deutschen Sicherheitsbehörden ist ihre Arbeit gut bekannt, manche Ermittler:innen sprechen gar vom „kanadischen Ansatz“. Wie es dann sein kann, dass ausgerechnet im größten dieser Darknet-Foren erkennbar niemand systematisch die Inhalte meldet, beantwortet C3P auf Nachfrage ausweichend. Allgemein heißt es:
Wir stimmen mit Ihrer Feststellung überein, dass nicht genug getan wird und dieses Problem weitgehend ignoriert wird. Wie in Ihrem Bericht dargelegt, bringt diese Untätigkeit die Opfer weiterhin in Gefahr und führt zu einem anhaltenden Trauma.
Eine NGO soll das Internet reinigen
Außerdem, so C3P, wolle man alle Inhalte erst entschlüsseln und genau prüfen. Filterhoster müssten darauf vertrauen können, dass nur illegales Material gemeldet würde. Dies koste aber Zeit. „Als relativ kleine Wohltätigkeitsorganisation haben wir nur begrenzte Ressourcen, um die Menge an Medien zu bewältigen, die wir finden“, schreibt C3P.
In der Tat mutet es grotesk an, dass über 30 Jahre nach der Entwicklung des World Wide Web eine einzige Non-Profit-Organisation mit überschaubarem Team und Budget die Aufgabe haben soll, das gesamte Internet von Missbrauchsdarstellungen zu reinigen. C3P, das zwar unabhängig agiert, aber etwa zur Hälfte von überwiegend kanadischen Regierungsgeldern abhängig ist, fordert regelmäßig Internetunternehmen auf, konsequenter gegen die Inhalte auf ihren Servern vorzugehen. Ein Problem der Internetbranche also?
Firmen nehmen über 13 Terabyte aus dem Netz
Anfangs hatten wir noch vermutet, dass die Verantwortung für die Massen an Inhalten, die in den Darknet-Foren verlinkt werden, bei den Filehostern zu suchen ist. Als wir jedoch stichprobenartig einige Links an die Dienste schickten und häufig nach wenigen Minuten die Info erhielten, dass alles entfernt worden sei, begann das Narrativ von den anrüchigen, anonymen One-Click-Hostern zu bröckeln.
Am Ende sammelten wir in einer konzentrierten Aktion automatisiert rund 80.000 funktionierende Links ein, die Pädokriminelle auf einer Plattform gepostet hatten. Dahinter lagen rund 13,55 Terabyte an Daten. Das ist in etwa so viel, als wenn sich ein Mensch ein Jahr lang ein Video anschauen würde, in dem ein Kind missbraucht wird, Tag und Nacht, in HD-Qualität.
Nachdem wir die Links an die Filehoster geschickt hatten, entfernten diese das Material spätestens nach 48 Stunden von ihren Servern. Zuvor standen die Inhalte im Schnitt rund eineinhalb Jahre im Netz. Der älteste Link, den wir gefunden haben, war über sechs Jahre online und führte zu einem Video, auf dem ein Junge misshandelt und vergewaltigt wird.
Einem deutschen Bilder-Hoster schickten wir Links zu rund 100.000 Fotos, die er binnen drei Stunden von seinen Servern holte. Auch diese Fotos schlummerten zuvor teils jahrelang auf seinen Servern, ohne dass er darüber nach eigener Aussage von deutschen Behörden informiert worden war.
Behördliche Statistik mit undurchsichtiger Datengrundlage
Diese Zahlen stehen in enormer Diskrepanz zu dem, was das Bundeskriminalamt jährlich an Inhalten aus dem Netz holt. Seit einem Entschluss des Bundestages aus dem Jahr 2011 ist das BKA gehalten, die illegalen Inhalte möglichst umfassend aus dem Internet löschen zu lassen. Der Ansatz „Löschen statt Sperren“ gilt seither als Alternative zu Netzsperren, die in Anlehnung an die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen unter dem Titel „Zensursurla“ heftig diskutiert worden waren, weil Kritiker:innen den Einstieg in eine staatliche Internetzensur befürchteten.
Laut Jahresbericht ging das BKA im Jahr rund 6.800 Hinweisen auf Links nach, hinter denen sich Aufnahmen von Kindesmissbrauch verbargen. Überwiegend gelang es den Strafverfolger:innen demnach, die Links binnen weniger Tage löschen zu lassen. Der Ansatz „Löschen statt Sperren“ gilt angesichts solcher Zahlen auch in der Politik als erfolgreich. Die damalige Justiz- und Familienministerin Christine Lambrecht kommentierte den Jahresbericht des BKA entsprechend:
Die hohen Löschquoten und die vergleichsweise kurzen Bearbeitungszeiten belegen, dass das Konzept ‚Löschen statt Sperren‘ insgesamt wirkungsvoll ist.
Allerdings sind die rund 6.800 Fälle des BKA, die in der offiziellen Statistik auftauchen, nur ein Bruchteil der Massen, die wir in den großen Darknet-Foren fanden. Viele Links werden vom BKA also offenbar erst gar nicht gemeldet. Wieso nicht?
Die Mär vom „Server im Ausland“
Im Zuge der Recherche begegneten wir weltweit keinem einzigen Hoster, der nicht auf unsere Meldungen reagierte. Die Hoster, die am meisten von den Pädokriminellen missbraucht wurden, sitzen in Deutschland, Frankreich, Schweden, Island oder geben ihren Geschäftssitz gar nicht an – kooperiert haben sie jedoch alle.
Überraschend – aber auch äußerst irritierend schnell und einfach. Warum machen das die Strafverfolgungsbehörden nicht? In Gesprächen mit Ermittler:innen hörten wir immer wieder, dass die „Server im Ausland“ ein zentrales Problem seien. Ob dies für andere Rechtsbereiche wie Urheberrechtsverstöße oder Online-Betrug gilt, können wir nicht beurteilen. Bei den verlinkten Inhalten, die in den Darknet-Foren zum Tausch von Kindesmissbrauchsmaterial kursieren, ist der Serverstandort jedoch definitiv kein Hindernis.
Schon 2009 stellte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages fest, dass das BKA eine „Abuse E-Mail“ an ausländische Dienste schicken könne, um sie über illegale Inhalte zu informieren. Sollte das BKA die ausländischen Hoster nicht direkt informieren können oder wollen, könnten sie im Zweifel ausländische Strafverfolgungsbehörden um Unterstützung bitten.
Täter:innen fassen, Fotos lassen?
Obwohl es also technisch einfach möglich wäre und rechtlich erlaubt (einige Jurist:innen halten es sogar für zwingend), meldet das Bundeskriminalamt den Filehostern die illegalen Inhalte so gut wie nie. Übrigens auch nicht den wenigen deutschen Speicherdiensten.
Besonders frappierend: Auch nachdem das BKA gemeinsam mit der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main im April 2021 das Forum „Boystown“ abgeschaltet hatte, ließ es die dort geteilten Links nicht löschen. Als Folge daraus teilten Pädokriminelle wenige Tage nach dem Takedown schlichtweg die weiterhin funktionierenden Links in einem anderen Forum, sodass viele „Boystown“-Inhalte wieder verfügbar waren.
Für Kinder- und Jugendpsycholog:innen sowie den Deutschen Kinderschutzbund ist das nicht nachvollziehbar. „Fassungslos“ sei man darüber, dass das BKA es offenbar unterlasse, systematisch Bildmaterial aus dem Netz zu löschen, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung als Reaktion auf die Recherche. Dies sei eine „Ohrfeige für Betroffene“:
Dass Bilder ihrer schrecklichen Erlebnisse weiter im Internet abrufbar sind, ist extrem belastend und erschwert die Bewältigung des Erlebten. Manche Betroffenen sprechen von erneutem Missbrauch, sobald jemand das Bildmaterial ihres Missbrauchs ansieht.
Doch auch die aktuelle Bundesregierung verteidigt das Vorgehen der Ermittlungsbehörden. Auf eine schriftliche Frage des Grünen-Abgeordneten Konstantin von Notz antwortete Innen-Staatssekretär Markus Richter im Dezember: „Es müssen prioritär die Inhalte, die für unmittelbar gefahrenabwehrende Maßnahmen sowie für die strafrechtliche Beweisführung benötigt werden, gesichert und ausgewertet werden.“
Es ist ein typisches Argument, das Strafverfolger:innen in der Diskussion bringen: Die Priorität liegt darauf, Täter:innen zu fassen und Beweise für eine Verurteilung zu sammeln. Dadurch könnten im Optimalfall sogar noch Kinder gerettet werden, deren Missbrauch andauert. Dagegen mutet das bloße Löschen von Fotos und Videos, die an anderer Stelle ohnehin wieder hochgeladen werden können, tatsächlich weniger relevant an.
Aber: Ist es wirklich dieses traurige Dilemma, vor dem die Behörden stehen?
Löschen behindert Strafverfolgung nicht, sondern unterstützt sie
Bei genauerer Analyse wird deutlich, dass nichts dagegen spricht, sowohl Täter:innen zu fassen und Kinder zu retten, als auch Inhalte zu melden. Dieses „Entweder Oder“ gibt es in dieser radikalen Form gar nicht. Mehr noch: Es könnten vermutlich sogar Taten verhindert werden, wenn konsequenter gelöscht würde.
Denn mit den vielen Inhalten sind die Foren längst ein sozialer Raum geworden, in dem Pädokriminelle das Gefühl vermittelt bekommen, dass es normal sei, an Kindern sexuelle Handlungen vorzunehmen. Strafverfolger:innen, die in diesem Bereich ermitteln, sagten uns während der Recherchen selbst, dass sie eine Enthemmung feststellten auf diesen Plattformen, sodass möglicherweise mehr Menschen „Lust“ bekommen, Dinge auch im realen Leben probieren zu wollen. Dies bestätigten auch die Kinder- und Jugendpsycholog:innen sowie der Deutsche Kinderschutzbund in ihrer Erklärung.
Dass es aufwändig ist, die Links zu suchen, kann man nicht wirklich behaupten. Wir benötigten rund sechs Stunden mit einem Online-Crawler, einer Art „Suchhund fürs Netz“, um die 80.000 Links zu finden, die zu über 13 Terabyte führten. Tatsächlich waren wir ziemlich überrascht, wie einfach es ging, die Links einzusammeln, da die Pädokriminellen seinerzeit noch überhaupt keine Schutzmaßnahmen gegen automatisierte Downloads im Forum hatten.
Vernichtet Löschen wirklich Beweise?
Auch eine Beweissicherung ist möglich, wenn gelöscht wird. Nichts spricht dagegen, die automatisiert geladenen Links ebenso automatisiert anzuklicken und die verlinkten Inhalte einmalig herunterzuladen. Dann könnten Polizeibeamt:innen die Fotos und Videos zu einem späteren Zeitpunkt sichten, durch das Melden beim Filehoster aber die Verbreitung bereits eindämmen.
Dass so legale Inhalte als „Kollateralschäden“ gemeldet würden (sogenanntes „Overblocking“), ist de facto ausgeschlossen: Diese Foren sind nur dazu da, Kindesmissbrauchsmaterial zu verbreiten, andere Inhalte werden dort nicht geduldet.
Doch was hilft das Löschen, wenn Pädokriminelle das Material ja weiterhin auf ihren Festplatten haben und jederzeit erneut hochladen können? Dieses Argument hörten wir immer wieder.
Es ist nicht völlig falsch, aber nach unseren Recherchen auch nicht ganz so einseitig: Ein Upload dauert bedeutend länger als das Einsammeln eines Links. Die User:innen nutzen für den Upload nämlich meist das langsamere Tor-Netzwerk, um gegenüber dem Clearweb-Filehoster nicht ihre wahre IP-Adresse zu verraten. So verlangsamt sich die Dynamik in den Foren.
Ferner führen die Uploader auch ein normales Leben und sind nicht immer täglich im Forum, um überhaupt zu merken, dass ihre Links gelöscht wurden.
Nutzer:innen „zu Tode nerven“
Unvermutete Bestätigung bekamen wir hier im Übrigen vom Administrator des aktuell größten Forums selbst: Uns war es gelungen, mit ihm in Kontakt zu treten. Er schrieb uns, dass konsequentes Löschen die User:innen „zu Tode nerven“ könne: Wenn man lang genug lösche, könne es passieren, dass die Leute gehen und die Administratoren „den Laden dichtmachten“. Heißt also: Uploader sind genervt, weil ihre Arbeit zerstört wird, und Konsument:innen sind genervt, weil viele Links ins Leere führen.
Würden Inhalte konsequent und dauerhaft gemeldet, können auch Internetfirmen das Material für ein wiederholtes Hochladen sperren. Einige der Filehoster, die derzeit am stärksten von den Pädokriminellen missbraucht werden, haben bereits solche Uploadfilter im Einsatz. Sie produzieren dafür aus gemeldeten Inhalten einen sogenannten Hashwert und legen ihn in eine Datenbank.
Versucht ein:e User:in, eine Datei unverändert mit demselben Hashwert erneut hochzuladen, bricht der Upload sofort ab. Dies funktioniert sogar für die verschlüsselten Archivdateien der Pädokriminellen – allerdings nur, wenn die Filehoster von Behörden einen Hinweis erhalten, welche spezifischen Dateien mit den dazugehörigen Hashwerten illegal sind.
Nicht-Löschen-Lassen vergrößert Zahl der Täter:innen
Natürlich könnten User:innen ihr Material immer wieder bei neuen Filehostern mit anderen Hashwerten hochladen. Wie stark ist dieses Argument aber noch, wenn doch ein Nicht-Löschen-Lassen zweifellos auch dazu führt, dass immer mehr Menschen immer mehr Material auf ihren Festplatten bunkern können, um es dann weiterzuverteilen? Nicht-Löschen verbreitert also die Basis derjenigen, die das Material auf ihren Festplatten haben und sorgt für neue potenzielle Uploader:innen.
Die zuletzt immer größeren Dimensionen dieser Darknet-Foren lassen eine im Grundsatz vielleicht nachvollziehbare Prioritätensetzung des Bundesinnenministeriums und der Strafverfolgungsbehörden zunehmend absurd wirken: Wie klug sind Ressourcen eingesetzt, wenn wie im Fall „Boystown“ nach monatelangen Ermittlungen vier Personen verhaftet werden, aber dann die Inhalte nicht gesichert und aus dem Netz geholt werden? Sodass schon wenige Tage nach der Abschaltung „Boystown“-Inhalte an anderer Stelle wieder gepostet werden und sich tausende User:innen daran bis heute bedienen können?
Es mag eine Zeit gegeben haben, als das genau die passende Strategie gewesen sein mag: Ein Forum abschalten, um mit einem Ermittlungserfolg eine ganze Infrastruktur zu beseitigen. Aber heute wimmelt es nur so von diesen Foren, die alle munter im Clearweb versteckte Inhalte verlinken.
Unsere Recherchen zeigen, dass häufig identische Links zu Filehostern in unterschiedlichen Darknet-Foren geteilt werden. Das heißt im Umkehrschluss, dass ein Löschen bei einem Filehoster den Inhalt gleich für mehrere Darknet-Foren entfernen würde. Im Ergebnis ein effizientes Vorgehen, um strafbare Inhalte aus dem Netz zu bekommen.
Ampel-Koalition will BKA stärken
Dass das Bundeskriminalamt genau dies offenbar strukturell unterlässt, dürfte Horst Seehofer schlichtweg nicht gewusst haben, als er auf der BKA-Herbsttagung so vehement betonte, dass das Löschen der Aufnahmen „unverzichtbar“ sei. Die Ampelkoalition hat im Koalitionsvertrag angekündigt: „Im Kampf gegen Kindesmissbrauch stärken wir das Bundeskriminalamt personell.“
Es ist nun eine politische Frage, wie Seehofers Nachfolgerin Nancy Faeser (SPD) diese Mittel im BKA verteilen wird. Wenn sie das „Löschen von Missbrauchsdarstellungen“ als essenziellen Bestandteil im Kampf gegen Kindesmissbrauch ernst nimmt, dann könnte sie hier mit verhältnismäßig wenig Geld und Personal viel bewirken.
Robert Bongen arbeitet beim Norddeutschen Rundfunk und ist Redakteur beim ARD-Politikmagazin Panorama.
Daniel Moßbrucker arbeitet als Journalist zu den Themen Überwachung, Datenschutz und Internetregulierung. Außerdem ist er Trainer für digitale Sicherheit und Darknet-Recherchen.
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