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Interview zu Telegram: „Netzsperren und Rausschmiss aus den App-Stores – das ist mir zu platt“

Ann Cathrin Riedel
Ann Cathrin Riedel ist Digitalpolitikerin in der FDP und im Vorstand beim netzpolitischen Verein Load e.V.  – Alle Rechte vorbehalten Paul Alexander Probst

„Die Naivität mit der geglaubt wird, dass durch Regulierung von Telegram all unsere Probleme gelöst werden, macht mich wirklich sprachlos“, twitterte Ann Cathrin Riedel gestern. Dann legte sie mit Argumenten nach in dieser Telegram-Debatte, die seit Wochen seltsam einmütig und einseitig geführt wird. Wir haben im Chat-Interview nachgefragt, was wirklich diskutiert werden müsste und warum bestehende Gesetze eigentlich nicht ausgeschöpft werden.

netzpolitik.org: Querdenker und Rechtsradikale verbreiten teilweise strafbare Dinge auf Telegram. Deswegen überschlagen sich nun Forderungen zur Regulierung des Messengers – vom Ausschluss aus den App-Stores bis hin zur Blockade mittels Netzsperren. Kann man politische und gesellschaftliche Einstellungen überhaupt ändern, indem man an technischen Lösungen schraubt?

Ann Cathrin Riedel: Nein, das kann man nicht wirklich. Und dieser Irrglaube, dieser „Tech Solutionism“, raubt mir regelmäßig den letzten Nerv. Technologie ist ein Werkzeug. Gesellschaftliche Probleme lösen sich nicht mit dem Hinzufügen einer App, wie manche im Fall der Pandemie-Bekämpfung dachten, oder durch die Wegnahme, also durch Netzsperren oder Verbannen aus einer App aus dem Store.

Gleichwohl ist es natürlich wahr, dass Technologie – seien es Apps, Plattformen oder Algorithmen – gesellschaftliche Probleme verstärken können. Daher ist es mir wichtig nach klugen, gegebenenfalls eben regulatorischen Lösungen zu suchen. Netzsperren, Rausschmisse aus den App-Stores – das ist mir zu platt. Wir müssen doch als Gesellschaft den Anspruch an uns haben, kluge, nachhaltige Lösungen zu finden!

netzpolitik.org: Hast Du einen Telegram-Account?

Ann Cathrin Riedel: Ja, ich habe die App.

netzpolitik.org: Wie nutzt Du die App?

Ann Cathrin Riedel: Eigentlich existiert sie nur auf meinem Smartphone und ich bekomme Benachrichtigungen, dass es neue Infos im Kanal des Bundesgesundheitsministeriums gibt. Ich habe Telegram schon ewig, aber nie wirklich benutzt. Das hat folgende Gründe: Ich habe ja lange Kommunikationsberatung gemacht und fand Messenger als Plattform dafür super spannend. Die SPD setzte Telegram früh ein und machte das richtig gut. Das wollte ich beobachten. Aber diese Kanäle haben sich ja nie richtig durchgesetzt.

Dann habe ich mir Telegram stärker angeguckt, um diese Funktion „Gruppen in meiner Nähe“ und „Personen in meiner Nähe“ anzusehen. Ich wollte wissen, was die Funktionen sind, wie sie die Freiheitskämpfer:innen in Hongkong nutzen. Dass ich Telegram nicht aktiv zum Chatten nutze, liegt aber vor allem daran, dass es mich anstrengt, auf so vielen Messengern und Plattformen per Direktnachricht erreichbar zu sein. Ich komme einfach durch’n Tüddel. Und ich will es nicht nutzen, weil Telegram nicht standardmäßig verschlüsselt ist. Das wissen auch zu wenig Menschen bzw. sie glauben sogar, dass es das sei. 

netzpolitik.org: Wie kommt es dazu, dass Telegram in Deutschland einerseits als wichtiges demokratisches Werkzeug in Belarus, Iran oder Hongkong angesehen wird, aber gleichzeitig hier fast ausschließlich als Hort von Verschwörungsideologie und Rechtsradikalismus, den es zu bekämpfen gilt?

Ann Cathrin Riedel: Ich finde es vor allem bezeichnend, dass man hier sieht, dass das woanders ein wichtiges demokratisches Werkzeug ist und im gleichen Zug hierzulande mit so heftigen regulatorischen Maßnahmen an die Plattform gehen will. Wieder einmal begreift man hier nicht, dass das Auswirkungen auf diese Freiheitskämpfer:innen haben wird und zwar keine guten. Denn deren Regime hätten abermals, man schaue nur aufs NetzDG, eine ideale Begründung: Deutschland macht das doch auch! Nur: Wir haben hier Karlsruhe, wir haben hier eine gesunde, funktionierende Demokratie und einen Rechtsstaat. Die nicht.

Ich würde auch gar nicht mal behaupten, dass sich hier in Deutschland nur Demokratiefeinde, Rechtsradikale und Nazis auf der Plattform vernetzen. Ich würde wetten, dass sich auf Telegram auch Parteiuntergliederungen austauschen, Sportvereine und Elterngruppen. Das ist ein weiterer Punkt, warum diese Maßnahmen einfach nicht verhältnismäßig wären: Wir würden diese Menschen von ihrem Recht auf Kommunikation ausschließen.

Was die Gruppen in Iran, Belarus, Hongkong und Deutschland ja gemein haben ist, dass sie sich dort organisieren um für ihre Sache zu kämpfen. Dass sie dafür eine Plattform brauchen, die sie schützen will – das sagt Telegram ja recht explizit für die Fälle in Hongkong und Belarus –, nicht so präsent im Blickfeld der Regierung ist und mit der man schnell viele Leute, teilweise auch anonym erreichen kann, eint sie leider. Eigentlich könnte man sagen: Es ist ein gutes Zeichen für unsere Demokratie und die freie Möglichkeit sich in diesem Land zu äußern und zu organisieren, dass ich als Demokratin nicht auf diesen Messenger angewiesen bin, wenn ich mich für meine Anliegen einsetzen will.

netzpolitik.org: Was siehst Du als Hauptproblem in der derzeitigen Debatte über Telegram und was vermisst Du in dieser?

Ann Cathrin Riedel: Im direkten Zusammenhang mit Telegram vermisse ich zum Beispiel den Hinweis darauf, dass Telegram mal bereit war Inhalte und Akteure zu löschen – nämlich die Terroristen des Islamischen Staats. Die Betreiber haben also ein Gewissen, sie haben eine Haltung und sie verspüren scheinbar auch einen gewissen Druck, dass ihre Plattform attraktiv bleibt und sie daher bestimmte, weltweit geächtete Akteure verbannt. Warum tun sie das nicht bei Nazis und diesen Terroristen, die zum Mord aufrufen? Ich glaube, über diese Diskrepanz politischen und gesellschaftlichen Druck aufzubauen, sollte ein erster Schritt sein. Dieser Druck ist eigentlich überfällig und es sollten sich schon jetzt Nutzer:innen überlegen, ob sie nicht den Messenger verlassen und ihren Sportverein-Chat auf einen anderen Messenger umziehen.

Dann fehlt mir die Frage nach Gesetzen, die wir schon haben und ob es nicht an deren Umsetzung fehlt. Ob das NetzDG auf Telegram anwendbar ist, da ist man sich ja gerade sehr uneinig. Aber das mal dahingestellt. Aus Europa kommt der Digital Services Act. Warum sieht den hier im öffentlichen politischen und auch juristischen Diskurs scheinbar niemand? Ist nicht eher die Frage, welche Gesetze wir hier nicht richtig durchsetzen? Ich bin keine Juristin, aber hatte letztens eine spannende Diskussion u.a. mit Prof. Matthias Kettemann. Er wies auf zahlreiche Gesetze hin, die es bereits gibt, die man anwenden könnte und müsste. Aber das tut keiner. Das wäre politisch vielleicht auch zu blamabel.

netzpolitik.org: Wie könnte der Staat denn mit den jetzt zur Verfügung stehenden Mitteln sinnvoll gegen strafbare Inhalte auf Telegram vorgehen?

Ann Cathrin Riedel: Ich vermisse die öffentliche Frage danach, ob unsere Polizei und Justiz eigentlich ausreichend digitale Fähigkeiten haben, um im Digitalen adäquat zu ermitteln. Ich glaube nicht. Das zeigen mir immer wieder Journalist:innen, die gefühlt spielend leicht an Informationen kommen und die Polizei scheinbar nicht. Attila Hildmann war ja wie so viele andere mit Klarnamen dort unterwegs. Passiert ist lange Zeit nichts, sondern erst dadurch, dass eine große Öffentlichkeit entstanden ist. Da wünsche ich mir also eine Debatte und Maßnahmen, wie die Sicherheitsbehörden gestärkt werden können – und dazu brauchen sie keinen Staatstrojaner!

Es ist ja leider ein bisschen offensichtlich, dass man nicht so schlagkräftig gegen Nazis und die gewaltbereiten Querdenker ermittelt, wie man eigentlich könnte. Dass man das kann, zeigt ja das Pimmelgate um den Hamburger Innensenator Andy Grothe und auch die Beleidigung gegen den Regierenden Michael Müller in Berlin. Man kann also durchaus, mir stellt sich die Frage, warum man es nicht tut. Außerdem denke ich, dass es durchaus eine abschreckende Wirkung hat, wenn Menschen merken, dass Telegram eben kein rechtsfreier Raum ist. Dieser Vorwurf hat meiner Meinung nach vor allem deshalb Richtigkeit, weil es an digitalen Kompetenzen und Willen fehlt, Recht im Digitalen durchzusetzen. Nicht weil Recht fehlt.

netzpolitik.org: Sind Rechtsradikale und Demokratiefeinde nicht auch einfach ein gesellschaftliches Problem?

Ann Cathrin Riedel: Ja, wo ist der Diskurs über die Frage, warum Menschen den Nazis, den Querdenkern, den Verschwörungen so anheim fallen? Das sind schwierige Fragen, die Antworten hochkomplex und die Umsetzung der Antworten wird ewig dauern, um das Problem wirklich an der Wurzel zu lösen. Das wird teuer und gibt keinen schnellen politischen Erfolg. Aber das ist doch die nachhaltige Lösung, um die wir uns kümmern müssen. Darum muss sich doch der gesellschaftliche Diskurs drehen. Und solange wir uns nicht darum kümmern, suchen sich die Leute eine andere Plattform. Sie waren bei YouTube, bei Facebook und sind jetzt eben bei Telegram.

netzpolitik.org: Welche Regulierungsmöglichkeiten hältst Du, auch im Hinblick auf europäische Lösungen, für sinnvoll?

Ann Cathrin Riedel: Ich halte es vor allem für sinnvoll, wenn wir unsere Debatte um Regulierung nicht immer auf Inhalte einschränken und darüber diskutieren, ob etwas legal oder illegal ist. Natürlich ist das wichtig, aber damit kommen wir auf keinen grünen Zweig bei der Masse an Inhalten und unserem Willen, sowohl Menschenrechte als auch Rechtsstaatlichkeit zu achten. Die Friedesnobelpreisträgerin María Ressa sagte während ihrer Dankesrede abermals etwas sehr Wichtiges: Tech-Konzerne brauchen Tech-Regulierung. Also ran an die Algorithmen und Daten – darüber müssen wir viel mehr sprechen.

Wir müssen mehr über Systeme, Prozesse zur Moderation von Inhalten sprechen, Risk-Management, digitalen Verbraucherschutz – unglaublich wichtig – und vielleicht auch Vorgaben zur Technikgestaltung. Da macht der Digital Services Act schon sehr viel Gutes. Und ich würde mir darüber mehr Diskussion wünschen. Ich habe die ultimative Lösung auch nicht, aber ich glaube durch diese Diskussionen würde sich mein Wunsch nach guter Regulierung erfüllen.

netzpolitik.org: Vielen Dank für das Gespräch.


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