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Edit Policy: Netzneutralität gestärkt – Telekom wettert gegen den Rechtsstaat

Sechs junge Menschen stehen in einer Reihe und schauen auf ihre Smartphones.

Julia Reda saß von 2014 bis 2019 für die Piraten im Europäischen Parlament und verantwortet heute bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte das Projekt „control c“ zu Urheberrecht und Kommunikationsfreiheit. Dieser Beitrag erschien zuerst in ihrer Kolumne auf heise.de und wurde dort unter der Lizenz CC BY 4.0 veröffentlicht.


Lange hat die Bundesnetzagentur den Telecom-Riesen freie Hand gelassen, wenn es um das Angebot von sogenannten Zero-Rating-Tarifen ging. Das soll sich jetzt ändern: In einer Verbändeanhörung vergangene Woche gab die Bundesnetzagentur bekannt, dass die Behörde diese Tarife nun infolge jüngster Urteile des Europäischen Gerichtshofs für unvereinbar mit der Netzneutralität hält. Schon im nächsten Jahr wird das Gremium der europäischen Telko-Regulierungsbehörden BEREC neue Leitlinien zur Netzneutralität verabschieden, parallel dazu will die Bundesnetzagentur nun Verwaltungsverfahren gegen bestehende Zero-Rating-Tarife einleiten, die aber erst nach Verabschiedung der Leitlinien abgeschlossen werden. Anstatt sich auf das absehbare Ende des Zero Rating vorzubereiten, wettern Telekom & Co. lieber gegen den Rechtsstaat und bewegen sich damit außerhalb des demokratischen Diskurses.

Beim Zero Rating werden die Daten bestimmter Anwendungen, beispielsweise von Musik- oder Video-Streamingdiensten, nicht auf das monatliche Datenvolumen angerechnet. Auf den ersten Blick mögen Kund:innen solche Tarife für vorteilhaft halten, insbesondere wenn sie über ein geringes monatliches Datenvolumen verfügen und eine bestimmte Gruppe von Apps besonders intensiv nutzen. Tatsächlich verbirgt sich hinter dem Zero Rating aber eine Falle: Um diese Tarife attraktiv zu halten, beschränken Telecomanbieter künstlich die Inklusiv-Datenvolumen ihrer Tarife: Denn wer ohnehin durch normales Surfverhalten niemals so viel Volumen verbraucht, dass die Verbindung gedrosselt wird, ist kaum bereit, für Zero Rating-Pakete zusätzlich zu bezahlen.

Diesen Effekt hat der österreichische Grundrechteverband epicenter.works in seinem Net Neutrality Report nachgewiesen: In EU-Ländern, in denen Zero-Rating-Tarife durch die Regulierungsbehörden toleriert werden, zahlen Verbraucher*innen mehr Grundgebühr für weniger umfangreiche Datenvolumen – und bekommen Zero Rating für ganz bestimmte Apps dann als vermeintlich vorteilhafte Zusatzoption angedreht.

Die Risiken von Zero Rating sind erheblich: Die Praxis setzt Anbieter von Apps unter Druck, mit den Mobilfunkprovidern über die Beteiligung an Zero-Rating-Tarifen zu verhandeln. Denn wenn der Traffic von Instagram, TikTok, WhatsApp& Co. nicht auf das Inklusivvolumen zahlreicher Nutzer:innen angerechnet wird, bedeutet das einen Wettbewerbsnachteil für neue, alternative soziale Netzwerke oder Messenger, die sich nicht an Zero-Rating-Tarifen beteiligen. Zwar verlangt die Telekom von Diensteanbietern keine Gebühr für die Teilnahme an StreamOn, wohl aber die Befolgung von durch die Telekom definierten technischen Voraussetzungen und den Abschluss eines Vertrags.

Auf Dauer führt die Marktkonzentration durch Zero Rating dazu, dass die Vielfalt an populären Apps nachlässt und die Kund:innen der Zero-Rating-Tarife sich in eine künstliche Abhängigkeit von einzelnen Diensten begeben. Das konnte man beispielsweise beim jüngsten Facebook-Blackout beobachten, der viele Menschen insbesondere im Lateinamerika von der kostenlosen Kommunikation via WhatsApp abschnitt, während alternative Messenger wie Signal über ihre Mobilfunktarife nur kostenpflichtig nutzbar waren.

Zero Rating-Fans mögen nun einwenden, dass es besser ist, wenigstens auf WhatsApp kostenfrei zugreifen zu können, wenn man sein Datenvolumen bereits aufgebraucht hat, als auf gar keinen Messenger. Die Erfahrung aus anderen EU-Ländern zeigt aber: Wenn Zero Rating keine Option ist, bieten die Internetprovider einfach gleich höhere Datenvolumen zum selben Preis an. Technisch ist das kein Problem, aber die Möglichkeit, mit Zero-Rating-Tarifen extra abzukassieren, motiviert die Telkos zu einer künstlichen Verknappung der Inklusiv-Daten.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) hat deshalb gegen verschiedene Aspekte des Zero-Rating-Tarifs Vodafone Pass geklagt und kürzlich vor dem Europäischen Gerichtshof Recht bekommen. Der VZBV hatte unter anderem bemängelt, dass der Vodafone Pass die Nutzung der Zero-Rating-Funktion über das Tethering, also das Teilen des Mobilfunkzugangs via Hotspot, unterbindet und so die freie Endgerätewahl einschränkt. Diese Frage legte ein deutsches Gericht dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vor. Dieser ging nun sogar jedoch einen Schritt weiter und schloss sich der von VZBV und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen lange vertretenen Rechtsauffassung an, dass Zero Rating insgesamt mit der Netzneutralität unvereinbar ist.

Der parallele Rechtsstreit um den Telekom-Tarif StreamOn ging darauf zurück, dass die Bundesnetzagentur die Beschränkung von Videotraffic auf eine Bandbreite 1,7 Mbit/s im Rahmen des Tarifs beanstandet hatte, nicht aber das Zero Rating-Angebot als solches. Das hat der Europäische Gerichtshof nun korrigiert und Zero Rating vollständig verboten, egal wie die Tarifoption im Einzelnen ausgestaltet ist. Die insgesamt drei zusammenhängenden Urteile gegen Vodafone Pass und Telekoms StreamOn sind also ein voller Erfolg für die Netzneutralität und die Verbraucherschutzrechte. Die nationalen Gerichte müssen nun auf Grundlage der Antworten des Europäischen Gerichtshof die abschließenden Urteile fällen, die aber im Einklang mit dem Europarecht nur auf das Verbot der beiden Tarife hinauslaufen können.

Während die Bundesnetzagentur im Rahmen der Verbändeanhörung vergangene Woche angekündigt hat, das Verbot von Zero Rating durch den Europäischen Gerichtshof selbstverständlich zu respektieren und künftig durchzusetzen, ließen die Telekommunikationsanbieter diesen Respekt für das höchste EU-Gericht vermissen. Die Telekom erklärte, der Europäische Gerichtshof liege in seinem Urteil falsch und würde versuchen, sich über Recht und Gesetz hinwegzusetzen. Deshalb müsse über eine Prüfung durch deutsche Gerichte nachgedacht werden, ob die EU ihre Kompetenzen überschreite. Derartige Rechtsauffassungen ist man sonst nur von der polnischen Regierung gewohnt. Vodafone und Telefónica, die ebenfalls an der Anhörung teilnahmen, widersprachen den Ausführungen der Telekom nicht, auch wenn ihre Kritik an den Urteilen weniger scharf formuliert war.

Anstatt den Rechtsstaat infrage zu stellen, wären die Telecomanbieter gut beraten, Konzepte zu entwickeln, wie sie ihre Kund:innen zum absehbaren Ende der illegalen Zero-Rating-Angebote entschädigen können. Denn klar ist: Wenn die Kund:innen von Telekom und Vodafone mit laufenden Verträgen das – wenn auch auf bestimmte Apps eingeschränkte – unbegrenzte Datenvolumen nicht mehr zur Verfügung steht, werden sie dadurch schlechter gestellt und erhalten ein Sonderkündigungsrecht. Abwenden können die Telekommunikationsanbieter das eigentlich nur noch, indem sie den Internettraffic, der andernfalls für StreamOn und Vodafone Pass angefallen wäre, zum frei verfügbaren Datenvolumen dieser Tarife hinzuaddieren. Dann folgen aus der Stärkung der Netzneutralität durch den Europäischen Gerichtshof ganz handfeste Vorteile für die Verbraucher:innen. Denn wer von vornherein auf ein hohes Datenvolumen für eine faire Grundgebühr zurückgreifen kann, der braucht auch kein Zero Rating.


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