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Schweigen mit System: Bremer Polizei verheimlicht Datensammlung über Fußballfan

Fan von Werder Bremen steht zwischen anderen grüngekleideten Fans und hält grünen Fanschal hoch. Im Hintergrund grüne Rauchschwaden.

Die Bremer Polizei verheimlicht systematisch Informationen, die sie über Personen in ihren Datenbanken sammelt und ans Bundeskriminalamt übermittelt. Das zeigt der Fall eines Bremer Fußballfans, der wissen wollte, welche Daten die Polizei über ihn gespeichert hatte – und durch Zufall herausfand, dass die Auskunft nicht vollständig war.

Die Rechtsanwältin des Betroffenen, Lea Voigt, berichtet gegenüber netzpolitik.org, dass sie schon häufiger schlechte Erfahrungen mit Auskünften der Bremer Polizei gemacht habe: „Wenn ich einen Antrag auf Datenauskunft stelle, bekomme ich von der Polizei nur eine tabellarische Übersicht zugesandt, in der Treffer zur betroffenen Person in den Datenbanken aufgeführt sind. Häufig gibt es dann aber beispielsweise gescannte Dokumente, die mit den Daten verknüpft sind. Diese Dokumente bekomme ich aber nicht mitgeliefert. Die Auskunft ist in den seltensten Fällen vollständig.“

Im Falle ihres Mandanten habe es ein gescanntes Dokument gegeben, das aus einer Personenkontrolle resultierte. Das habe sie aber erst nach langem Hin und Her von der Polizei bekommen. In diesem Dokument habe der kontrollierende Beamte handschriftlich vermerkt, dass zu Voigts Mandanten ein so genannter personengebundener Hinweis vorliege.

Personengebundene Hinweise sind Informationen, die Polizist:innen bundesweit zur Verfügung stehen, um sich im Einsatz selbst zu schützen. Diese Hinweise betreffen äußerst sensible Daten, beispielsweise „Psychische und Verhaltensstörung“, „Freitodgefahr“ oder „Ansteckungsgefahr“.

Stigma ohne Anklage und Verurteilung

Die Kategorien, die den Betroffenen zugeschrieben werden, unterscheiden sich teilweise von Bundesland zu Bundesland. So verschlagwortet die Bremer Polizei Menschen zum Beispiel mit „Intensivtäter“ oder „Clankriminalität“. In manchen Bundesländern sind die Hinweise eindeutig rassistisch und stigmatisierend, wie der Hinweis „wechselt häufig Aufenthaltsort“, der in Baden-Württemberg vergeben wird und als gleichbedeutend mit „Sinti und Roma“ gilt.

Wird eine betroffene Person irgendwo in Deutschland kontrolliert, erfahren die Beamt:innen von diesem Eintrag. Das zeigt, wie tiefgreifend der Eingriff in die Privatsphäre eines Menschen ist, wenn Polizist:innen bundesweit auf derartige Informationen zugreifen können. Umso entscheidender wäre es, dass die Auskunft über personenbezogene Hinweise verlässlich und vollständig ist, damit man gegen die Eintragung vorgehen kann, wenn man sie für unberechtigt hält. Das scheint die Bremer Polizei aber systematisch zu unterlaufen.

Im vorliegenden Fall resultierte der Hinweis in den Akten aus einem Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung, in das der Bremer Fußballfan verwickelt war. Im Zuge der Ermittlung bekam er dann den personengebundenen Hinweis „gewalttätig“. Strafverteidigerin Voigt betont aber, dass es noch nicht einmal Anklage, geschweige denn eine Verurteilung gebe. Sie rechne auch nicht damit, dass die Staatsanwaltschaft Anklage erheben werde. Trotzdem hafte ihrem Mandanten nun der Makel an: „Es gibt fast keine Daten, die weiter verbreitet sind und auf die mehr Polizist:innen Zugriff haben, als personengebundene Hinweise.“

Polizei speicherte hunderttausende Daten zu Unrecht

Auf Anfrage der Grün-Weißen Hilfe, der Interessensvertretung der Fans von Werder Bremen, sagte die Polizei, dass sie in Zukunft plant, auch personengebundene Hinweise zu beauskunften. Die Fanhilfe wertet das als Hinweis darauf, dass das in der Vergangenheit flächendeckend nicht geschehen ist.

Auf Nachfrage von netzpolitik.org sagt die Polizei, dass man zu personengebundenen Hinweisen bislang keine Informationen herausgegeben habe, weil diese offiziell beim Bundeskriminialamt (BKA) angesiedelt seien und eine Anfrage somit dort erfolgen müsse. Man habe diese Praxis nun infolge des neuen Bremer Polizeigesetzes umgestellt, sodass man zukünftig auch diese Daten in die Auskunft mit einfließen lasse.

Tatsächlich ist mit dem 1. September in Bremen ein neues Polizeigesetz in Kraft getreten. Der von der Polizei angeführte §73, der sich mit dem Auskunftsrecht befasst, wurde allerdings im Vergleich zur vorherigen Version überhaupt nicht verändert. Neu ist, dass die Polizei Menschen von sich aus darüber informieren muss, wenn bestimmte Daten von ihnen gespeichert werden und nicht erst auf Anfrage.

Die Grün-Weiße Hilfe zeigte die Verantwortlichen bei der Bremer Polizei nun nach dem Ordnungswidrigkeitsgesetz bei der Bremer Landesdatenschutzbeauftragten an und fordert ein Bußgeld. In der Anzeige gehen die Fanvertreter:innen davon aus, dass die Polizei als datenschutzrechtlich Verantwortliche zur Auskunft verpflichtet ist – auch wenn die Daten zusätzlich beim BKA liegen.

Keine Datenlöschung ohne Freispruch

Neben der „systematisch unvollständigen Auskunftserteilung“ bezieht sich die Anzeige auch auf die unvollständige Löschung von Daten aus den Polizeisystemen. Dieser Skandal schwelt schon seit längerer Zeit. Nach und nach kam heraus, dass die Polizei hunderttausende Daten zu Unrecht gespeichert hatte. Das betraf nicht nur die aktuelle Datenbank „@rtus“, sondern auch deren Vorgängerdatei, die eigentlich schon nicht mehr im Einsatz sein sollte.

Dass die Daten nicht vorschriftsmäßig gelöscht wurden, sobald sie nicht mehr für Ermittlungen relevant waren, begründete die Polizei gegenüber Radio Bremen mit technischen Schwierigkeiten und der Corona-Pandemie. Eine Sprecherin vertröstete die betroffenen Bürger:innen auf Oktober. Bis dahin seien die Daten gelöscht.

Das betreffe allerdings nur Daten aus Verfahren, die vor Gericht mit einem Freispruch enden würden, so Strafverteidigerin Voigt: „Wenn ein Ermittlungsverfahren nicht zur Anklage führt, besteht für die Polizei in der Regel noch ein Restverdacht. Die Unschuldsvermutung gilt hier nicht. Wer seine Daten trotzdem löschen lassen möchte, muss auf eigene Faust gegen den Restverdacht argumentieren.“ In vielen Fällen sei das aussichtslos.

Fußballfans im Visier der Polizei

Dass über Fußballfans in Deutschland unverhältnismäßig viele Daten gesammelt werden, ist keine Neuigkeit. Kritik gibt es immer wieder an der bundesweiten Datei Gewalttäter Sport, in der aber nicht nur Gewalttäter:innen landen, sondern alle Fans, deren Personalien im Umfeld eines Fußballspiels aufgenommen werden. Im Vorfeld großer Turniere landen diese Daten dann auch schon mal bei den Regierungen autokratischer Staaten.

Daneben führen die Bundesländer oftmals eigene Datenbanken, wie die Dateien „Szenekundige Beamte“, in die Polizist:innen subjektive Einschätzungen zu organisierten Fußballfans eintragen können, oder die kürzlich bekannt gewordenen Datei „EASy Gewalt und Sport“ beim bayerischen Landeskriminialamt. In der Vergangenheit war die Polizei nicht immer ehrlich, wenn sie nach der Existenz derartiger Datenbanken gefragt wurde.

Diese „Schattendatenbanken“ sind laut Lea Voigt auch für die Auskunftsersuchen ein Problem: „Die Person, die unsere Anträge bearbeitet, hat im Zweifelsfall keine Kenntnis über irgendwelche internen Datensammlungen. Schon deshalb wird man aus diesen Datenbanken, wenn es sie denn gibt, keine Auskunft erhalten.“


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