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Informationsfreiheit in Berlin: Rot-Rot-Grün scheitert an der Transparenz

Richtungsentscheidung zur Transparenz in Berlin

Berlin erhält in dieser Legislaturperiode kein Transparenzgesetz mehr. Nach Angaben mehrerer Abgeordneter der Regierungskoalition sind die Verhandlungen darüber im Abgeordnetenhaus endgültig gescheitert. Gestern tagte das Berliner Parlament ein letztes Mal vor der Wahl. Ein wichtiges Versprechen von rot-rot-grün bleibt damit unerfüllt, die scheidenden Koalitionspartnerinnen machen sich schwere Vorwürfe.

Dabei sind sich die Parteien im Grunde einig: Ein Transparenzgesetz soll her, welches das veraltete Berliner Informationsfreiheitsgesetz von 1999 ablöst. Behörden, städtische Unternehmen und andere öffentliche Stellen würden Informationen dann nicht mehr erst auf Anfrage herausgeben, sondern sie der Öffentlichkeit proaktiv auf einem zentralen Portal zur Verfügung stellen. So jedenfalls die Idee.

In der Hansestadt Hamburg gilt bereits seit 2012 ein Transparenzgesetz. Dieses Beispiel hat gezeigt, dass davon nicht nur Bürger:innen profitieren, sondern auch die Kommunikation der Behörden untereinander vereinfacht wird. In Berlin ist jedoch strittig, wie weit die Offenheit der Verwaltung gehen soll. Die Rollen in dem Konflikt sind klar verteilt: Während Linke und Grüne ein sehr weitgehendes Transparenzgesetz wollen, tritt die SPD auf die Bremse.

Ein Riss geht durch die Koalition

Dass die Hauptstadt ein Transparenzgesetz bekommen soll, hatten die Parteien 2016 in ihrem Koalitionsvertrag verabredet. Das Vorhaben hätte ein Prestigeprojekt einer progressiven Regierung sein können, in den ersten Jahren der rot-rot-grünen Koalition passierte im Senat bis auf die Einsetzung einer Arbeitsgruppe jedoch wenig.

Erst ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis für einen Volksentscheid Transparenz brauchte die Diskussion wieder in Fahrt. Die von dutzenden Organisationen und Einzelpersonen unterstützte Initiative rund um die Open Knowledge Foundation und den Verein Mehr Demokratie verfasste einen eigenen Gesetzentwurf. Motto: Wenn die Politik mit der Transparenz nicht ernst macht, machen wir es eben selbst. Im Herbst 2019 sammelte das Bündnis mehr als 30.000 Unterschriften, um das Verfahren für eine Volksgesetzgebung in Gang zu bringen.

Nach dieser Vorstufe hätte man spätestens zur Bundestagswahl wieder auf der Straße sein und für den tatsächlichen Volksentscheid werben können, so der ursprüngliche Plan. Mit der hierfür notwendigen Zulässigkeitsprüfung ließ sich Innenverwaltung jedoch Zeit. Erst im August 2021 leitete sie den Gesetzentwurf des Bündnisses an das Abgeordnetenhaus weiter und bestätigte: Nach kleineren Nachbesserungen durch das Bündnis ist dessen Gesetz verfassungsrechtlich unproblematisch.

„Jetzt ist es amtlich: Der Senat ist zwar kein Fan von mehr Transparenz, aber das Transparenzgesetz ist rechtlich umsetzbar“, konstatierte deshalb Arne Semsrott*, eine der Vertrauenspersonen des Bündnisses. „Alles, was es jetzt noch braucht, ist der politische Wille. Der Ball liegt bei den Parteien im Abgeordnetenhaus.“

Die aber werden so schnell nicht mehr zu einer Einigung kommen. Denn die Innenverwaltung unter SPD-Senator Andreas Geisel nutzte die lange Wartezeit, um einen eigenen Gesetzentwurf [PDF] vorzulegen, den das Bündnis als „unanständig“ und als Rückschritt gegenüber dem Status Quo bezeichnet. Zusammen mit der Bestätigung der Zulässigkeit des Volksbegehrens [PDF] ließ der Senat dem Parlament im August eine lange Einschätzung zukommen, warum der Entwurf des zivilgesellschaftlichen Bündnisses ungeeignet und der Regierungsentwurf besser sei.

SPD, Linke und Grüne haben sich im Abgeordnetenhaus nun weder auf denen einen, noch auf den anderen Entwurf einigen können. Sowohl Grüne als auch Linke hatten die Volksentscheid-Initiative unterstützt, letztere sogar als Teil des Bündnisses. Dementsprechend positionierten sich im Abgeordnetenhaus auch die Verhandlungsführer Benedikt Lux von den Grünen und Tobias Schulze von der Linkspartei. Der Verhandlungsführer der SPD hingegen, Rechtspolitiker Sven Kohlmeier, sieht in der Vorlage des Senates den besseren Entwurf.

Was darf Transparenz kosten?

Im Kern geht es um zwei Streitfragen. Die erste lautet: Wie viele Ausnahmen von der Transparenzpflicht soll es geben? Alle Ressorts, auch die von Grünen und Linken geleiteten, hatten für ihre Bereiche weitgehende Ausnahmen in den Senatsentwurf geschrieben. Teilweise sollten diese sogar Informationen schützen, die nach dem derzeitigen Informationsfreiheitsgeetz seit 20 Jahren öffentlich sind.

Besonders aufgestoßen sind den Transparenzaktivist:innen dabei Ausnahmen in den Bereichen Polizei und Geheimdiensten sowie Bildung und Wissenschaft. Der Skandal um die Dissertation der Berliner SPD-Vorsitzenden Franziska Giffey kam erst durch eine IFG-Anfrage der Studierendenvertretung AStA im Jahr 2020 ins Rollen. Die ehemalige Neuköllner Bürgermeisterin und heutige Spitzendkandidatin der SPD hatte bei ihrer Dissertation nachweislich plagiiert, doch die Freie Universität hatte ihr den Doktortitel trotzdem nicht aberkannt. Durch Ausnahmen für Hochschulen wäre nach dem Transparenzgesetzentwurf des Senates eine solche Aufklärung künftig nicht mehr möglich gewesen.

Die zweite Frage lautet: Wieviel Arbeit darf die Transparenz der Verwaltung machen? Diverse Vorschläge des Volksentscheid-Bündnisses wären laut Innensenator zwar umsetzbar, aber teuer und aufwendig. Deshalb seien sie zu streichen. So sieht der Gesetzentwurf des Bündnisses etwa grundsätzlich gebührenfreie Auskünfte vor, um die Hemmschwelle für die Informationsfreiheit so niedrig wie möglich zu halten. Der Senat hingegen will weiterhin Gebühren für bestimmte Auskünfte erheben.

Einigkeit nur in einem Punkt

Dem Vernehmen nach sei eine Einigung auf den letzten Metern der Legislaturperiode möglich gewesen. Die Schuld daran, dass es nicht geklappt hat, sehen die scheidenden Regierungspartner beim jeweils anderen. Dazu Sven Kohlmeier, SPD: „Leider sind die Verhandlungen in der Koalition kurz vor dem Ende der Legislative gescheitert, obwohl wir bereits sehr weitgehende Verbesserungen erreicht hatten, die aber einem Koalitionspartner nicht weitgehend genug waren.“ Und weiter: „Es zeigte sich hier ein wesentliches Problem: Während viele öffentlichkeitswirksam ‚Mehr Transparenz‘ forderten, wurde die Stimmung umso leiser, umso mehr eigene Verwaltungen betroffen waren.“

Bei Tobias Schulze von der Linken klingt das so: „Neue Bereichsausnahmen wären ein klarer Rückschritt gewesen, da gab es mit der SPD keine Einigung. Daher wird in dieser Legislatur kein Transparenzgesetz mehr verabschiedet. Uns war der Preis einfach zu hoch.“

Auch Benedikt Lux von den Grünen sieht das Problem bei der SPD: „Deswegen sitzen wir ja als Abgeordnete zusammen, um die Interessen der Bürger:innen gegenüber den Verwaltungen durchzusetzen. Es ist schade, dass die SPD-Kollegen nicht die Verhandlungsmacht hatten wie ich und keinerlei ernsthafte Zugeständnisse, insbesondere in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Inneres machen konnten.“

Richtige Einigkeit herrscht unter den Koalitionären offenbar nur in einem Punkt: Die Übergangsfrist von ein bis zwei Jahren, die das zivilgesellschaftliche Bündnis vorschlägt, ist für die Berliner Verwaltung unmöglich zu schaffen. Elektronische Aktenführung ist in der Hauptstadt heute noch die Ausnahme und soll erst bis Ende 2025 komplett umgesetzt werden. Die Innenverwaltung fordert deshalb Zeit bis 2026. Selbst Tobias Schulze von der Linkspartei findet, dass man ihr mindestens bis 2025 Zeit geben müsse.

Richtungsentscheidung am 26. September

Die Wahl zum Abgeordnetenhaus, die zeitgleich mit der Bundestagswahl am 26. September stattfindet, wird in Berlin also auch zur Richtungsentscheidung in Sachen Informationsfreiheit. Ob Berlin doch noch zur „Transparenzhauptstadt“ wird, wie es sich die Initiative für den Volksentscheid vorgenommen wird, ist fraglich.

Laut aktuellen Umfragen dürfte es für eine Fortsetzung der rot-rot-grünen Koalition reichen. Spitzenkandidatin Franziska Giffey war im Wahlkampf jedoch betont um Abgrenzung nach links bemüht und signalisierte demonstrative Offenheit an FDP und CDU.

Auch wenn letztere gemeinhin nicht als Fans der Transparenz bekannt sind, zeigt sich ihr Verhandlungsführer im Abgeordnetenhaus, Dirk Stettner, auf Anfrage durchaus offen für das Vorhaben. Berlin brauche digitale Verwaltung und ein Transparenzgesetz. Außerdem kritisiert er die lange Wartezeit des Volksentscheides, die vom „ausgeprägten Desinteresse des aktuellen Senats an dem Thema“ zeuge.

Die Kritik der Berliner Regierung am Gesetzentwurf der Initiative teilt der CDU-Politiker jedoch zu großen Teilen. In einer Punkt-für-Punkt-Bewertung stimmt Stettner der Innenverwaltung in vielen Aspekten zu. Insbesondere dort, wo die Verwaltung zu großen Aufwand geltend macht, widerspricht er ihr jedoch. Eine Änderungshistorie veröffentlichter Informationen etwa, wie sie der Volksentscheid fordert, sei ein wichtiger Punkt. „In jeder Buchhaltung ist das gesetzlich geregelt – dann kann der Staat das auch“, so Stettner.

Mit Bernd Schlömer hatte sich der zuständige FDP-Abgeordnete in der Vergangenheit positiv zum Gesetzentwurf des Volksentscheides geäußert und mit seiner Fraktion gar einen darauf basierenden eigenen Gesetzesvorschlag eingebracht. Auf eine Presseanfrage von netzpolitik.org antwortete Schlömer nicht. Der ehemalige Piraten-Politiker ist laut Medienberichten kurz davor, als Staatssekretär in die Regierung von Sachsen-Anhalt zu wechseln.

„Wir werden dafür kämpfen, dass das Transparenzgesetz kommt“

Die Chancen, dass Berlin nach der Wahl endlich ein Transparenzgesetz erhält, stehen also nicht grundsätzlich schlecht. Zumindest rhetorisch sind alle demokratischen Parteien für mehr Transparenz. Doch auch die scheidende Regierung hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag bereits auf ein Transparenzgesetz verständigt. Ohnehin ist am Ende wohl am wichtigsten, wie gut ein mögliches Transparenzgesetz wirklich wird.

SPD-Politiker Kohlmeier beharrt auf dem Vorschlag der Innenverwaltung. „Ich denke, es wird in der nächsten Legislatur einen neuen Anlauf für ein Berliner Transparenzgesetz geben, wobei die Senatsvorlage eine sehr gute Grundlage bietet“, erklärt er gegenüber netzpolitik.org.

Für diesen Fall bereitet sich die zivilgesellschaftliche Initiative bereits auf eine Straßenkampagne vor. Nach der Wahl hat das Abgeordnetenhaus noch etwa drei Monate Zeit, um über ihren Vorschlag zu entscheiden. „Sollte das Abgeordnetenhaus den Gesetzentwurf nicht übernehmen, steht das Volksbegehren an“, gibt sich Arne Semsrott entschlossen. „Wir werden dafür kämpfen, dass das Transparenzgesetz kommt – ob die Parteien das wollen oder nicht!“

*Arne Semsrott ist ehrenamtlicher Autor bei netzpolitik.org


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