Wenn es früher in Debatten um Regulierung, Zensur oder Überwachung des Internets ging, dann wurden als Argumentation für die angeblichen Notwendigkeiten immer Terrorismus und Kinderpornografie genannt. Das hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Heute ist es der „Hass im Netz“, den innenpolitische Hardliner wegen der allgemein akzeptierten Wichtigkeit des Themas als Vehikel nutzen, um ihre Ziele durchzusetzen.
So auch beim neuerlichen Vorstoß für eine so genannte „Identifizierungspflicht“, die auf der Agenda der Innenministerkonferenz steht. Mit dieser sollen Menschen gezwungen werden, ihren Klarnamen und ihr Geburtsdatum bei sozialen Netzwerken zu hinterlegen und dies mit den Daten ihres Ausweises zu verifizieren. Die Bürger:innen dürfen in diesem Modell zwar noch Pseudonyme nutzen, doch diese kann der Staat im Rahmen von Ermittlungen aufdecken.
Misstrauen gegen unbescholtene Bürger:innen
Es handelt sich bei dem Identifizierungszwang um nichts anderes als eine schlecht versteckte Klarnamenpflicht und „ein beispielloser Angriff auf die Freiheit im Internet“. Nebenbei ist es unverantwortlich, die Bürger:innen gegenüber Datenkonzernen wie Facebook, Google oder TikTok auch noch mit ihrem Klarnamen und Personalausweis zu identifizieren: Sie werden damit vollkommen dem Überwachungskapitalismus zum Fraß vorgeworfen.
Damit werden die Tech-Monopole entgegen aller Beteuerungen weiter gestärkt. Mal von möglichen Datenlecks ganz abgesehen, die erfahrungsgemäß ja immer passieren können.
Doch darum soll es hier nicht in erster Linie gehen: Im Vergleich zum in Deutschland abstrakten und lebensfernen Terrorismus ist „Hass im Netz“ deutlich greifbarer. Knapp jeder fünfte Mensch in Deutschland hat schon eine Form von Hassrede am eigenen Leib erlebt und fast jede:r diese schon einmal im Netz gesehen. Dazu kommen die plastischen Beispiele von Hass gegenüber Politiker:innen und anderen exponierten Persönlichkeiten, die das Phänomen anschaulich machen.
„Hass im Netz“ konkreter als Terrorismus
In der Spirale aus Debatte, Regulierungen und Verschärfungen rund um „Hass im Netz“ haben sich nicht nur zahlreiche Nichtregierungsorganisationen gebildet, die das Thema vorantreiben, sondern es wurden mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) und dessen Novelle scharfe und sehr umstrittene Instrumente eingeführt, um Straftaten im Netz aus dem Bereich Hassrede zu begegnen.
Die Idee des jetzigen NetzDG ist nicht nur, dass strafbare Inhalte von Morddrohungen bis Volksverhetzung von den Plattformen schnell verschwinden, sondern dass deren Urheber:innen strafrechtlich verfolgt werden. Die Logik dahinter ist klar: Kennt erstmal jeder Hetzer und jede Hassverbreiterin eine Person, die bestraft wurde, dann wird dies auf Dauer eine präventive Wirkung entfalten. Mit dem Verfolgungsdruck wachsen die Kosten für die Verbreitung von strafbarer Hassrede, was diese dann verringern soll.
Bestrafung muss sich erst entfalten
Doch dieser Mechanismus braucht Zeit. Derzeit sind die Gerichte von den vielen Verfahren und durch Corona überlastet. Die Wirkung der Gesetze gegen Hass im Netz muss sich also erst noch entfalten. Und dann erst kann man evaluieren, was es gebracht hat.
Diese neuen Gesetze, vor allem aber die Meldepflicht an das Bundeskriminalamt, gelten aber erst seit Kurzem, ihre Wirkung ist noch nicht ausgewertet. Trotzdem werden jetzt schon wieder Verschärfungen mit der Argumentation „Hass im Netz“ gefordert. Das ist kopfloser Aktionismus, gefährlich für Grund- und Freiheitsrechte und das Gegenteil von evidenzbasierter Sicherheitspolitik.
In Sachen „Hass im Netz“ kann die Lösung nicht Misstrauen gegen unbescholtene Bürger:innen und ein Identifizierungszwang aller sein, nur weil eine kleine Gruppe der Gesellschaft strafrechtlich relevante Dinge tut. Das ist unverhältnismäßig – und ein gefährlicher falscher Ansatz.
Unglaubwürdige Unionsparteien
Der Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Faschismus – und „Hass im Netz“ kommt großteils von dort – muss an der Gesellschaft selbst ansetzen. Wenn CDU und CSU gleichzeitig Programme zur Demokratieförderung verhindern, weil sie linke Umtriebe vermuten und im selben Atemzug rechte Umtriebe von WerteUnion und Hans-Georg Maaßen in den eigenen Reihen zulassen, dann zeigt das, dass es gar nicht so sehr um „Hass im Netz“ geht, sondern um einen Ausbau der Überwachung.
Lange Zeit haben Strafverfolgungsbehörden die Anliegen von Opfern nicht ausreichend gewürdigt, Opfer-Beratungsstellen werden erst nach langer Zeit allmählich ausgebaut und Betroffene gehen teilweise nicht zur Polizei, weil dort auch organisierte Nazis ihr Unwesen treiben. Das zeigt, dass das Thema genau von denen verschlafen wurde, die jetzt ihren Identifizierungszwang als ganz neues und wirksames Rezept gegen Hass im Netz verkaufen wollen.
Verrohung demokratischer Umgangsformen
Wir können als Gesellschaft nicht die Augen verschließen vor markierenden Hetzern, die für die „Welt“ schreiben und von dieser ein bürgerliches Deckmäntelchen verpasst bekommen, während sie in ihrer Scharnierfunktion nach ganz Rechts, den Hass in der Gesellschaft mobilisieren und normalisieren.
Wir können nicht hinnehmen, dass die CDU in gemeinsamen Shitstorms mit dem Springer-Verlag den Begriff des Antisemitismus aushöhlt, weil es gerade ganz gut in den Wahlkampf passt. Hier wird der Boden bereitet für eine weitere Verrohung demokratischer Umgangsformen. Und diese Verrohung ist eine Grundlage für „Hass im Netz“.
Gegen all das hilft keine staatliche Überwachung per Identifizierungszwang. Die Bekämpfung von Hass im Netz ist eine gesamtgesellschaftliche, kontinuierliche und demokratische Aufgabe. Sie darf nicht das nächste Pferd sein, das innenpolitische Hardliner zu Schanden reiten, um ihren Traum einer vollüberwachten Gesellschaft zu verwirklichen.
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