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Digitale-Märkte-Gesetz: Ein CDU-Mann steckt Europas digitale Grenzen ab

Andreas Schwab

Gesetzgebungsprozesse in der EU sind ein komplexes Geschäft. So mancher Zwischenschritt dient vor allem dazu, den Raum des Möglichen abzustecken. Genau diese Gebietsbestimmung nahm das EU-Parlament vergangene Woche bei einem digitalpolitische Schlüsselprojekt vor. Abgeordnete in den federführenden Ausschüssen legten Berichtsentwürfe zu den Gesetzen für digitale Dienste und für digitale Märkte vor.

Das Gesetzespaket, das in Brüssel als „Digital Services Act“ bekannt ist, soll eine Grundlage für die Regulierung von Online-Diensten in der EU schaffen und die Macht von großen Plattformen wie Google, Facebook und Amazon einschränken. Einen Vorschlag legte die EU-Kommission im Dezember vor, seither wird im Rat der EU-Staaten und im Parlament eifrig um das Gesetz gefeilscht. Während das Digitale-Dienste-Gesetz vor allem den Umgang mit Inhalten auf Plattformen wie Google, Youtube oder TikTok regelt, widmet sich das Digitale-Märkte-Gesetz den Geschäftspraktiken der Plattformen.

Chefverhandler des Digitale-Märkte-Gesetzes ist der CDU-Abgeordnete Andreas Schwab aus Baden-Württemberg. Der 48-Jährige machte zuletzt vor allem als führende Stimme des EU-Parlaments in den Beziehungen zur Schweiz von sich reden, nun kommt ihm eine tragender Rolle in der Digitalpolitik zu.

Schwab legte vergangenen Woche einen ersten Bericht vor, der die Richtung für die Verhandlungsposition des Parlaments in den Gesprächen mit Rat und Kommission über den finalen Text vorgibt. Ein Zwischenschritt also, aber einer, der schwer wiegt. Denn andere Abgeordnete können mit einzelnen Ergänzungsanträgen Änderungen an Schwabs Bericht vornehmen, müssen aber für jede Änderung eine Mehrheit im zuständigen Binnenmarktausschuss finden. Was Schwab sagt, hat Gewicht.

Gatekeeper-Definition soll verengt werden

Eine wesentliche Änderung von Schwabs Bericht zum Vorschlag der Kommission ist die Definition von „Gatekeeper“-Diensten, also den Schlüsseldiensten der digitalen Welt, die mit dem Gesetz besonders streng reguliert werden soll. Schwab möchte die Definition verengen. Die EU solle sich auf die „fünf größten Tech-Firmen konzentrieren“, fasst die Financial Times Schwabs Definition zusammen.

Die Kommission definierte in ihrem Aufschlag Gatekeeper als Anbieter, die einen Jahresumsatz von 6,5 Milliarden Euro in den vergangenen drei Jahren hatten oder an der Börse einen Wert von 65 Milliarden Euro erreichten. Schwab setzt in seinem Textvorschlag diese Werte auf 10 Milliarden Euro Jahresumsatz oder einen Börsenwert von 100 Milliarden Euro. „100 Milliarden ist eine schöne Zahl, die ich mir gut merken konnte“, sagt Schwab gegenüber netzpolitik.org.

Der höhere Schwellenwert könnte etwa im Fall von Twitter relevant sein – das soziale Netzwerk ist an der Börse derzeit deutlich niedriger bewertet als Facebook (770 Mrd. Euro) oder Google (1.330 Mrd. Euro). Twitter kratzte in den vergangenen Jahren an der 65-Milliarden-Euro-Grenze, damit fällt der Konzern nach dem Vorschlag Schwabs nicht unter die Gatekeeper.

Auch möchte der CDU-Abgeordnete als Gatekeeper nur Plattformen definieren, die zumindest zwei sogenannte „Kerndienste“ anbieten. Als solche zählen etwa Suchmaschinen, soziale Netzwerke, Cloud-Dienste, Instant-Messenger oder Online-Werbung. Nach dem Vorschlag der Kommission können schon Plattformen unter die Definition fallen, die nur einen solchen Dienst anbieten.

Schwab betont allerdings, seine Definition schließe die Regulierung kleinerer Plattformen nicht aus. Denn die Kommission könne sich auf die „Vermutungsregel“ in Artikel 3 des Gesetzesentwurfes stützen und selbstständig Plattformen als Gatekeeper festlegen. Seine Verengung der Definition komme aber der Kommission entgegen, sagt der CDU-Abgeordnete. Diese könne sich aufgrund ihrer beschränkten Ressourcen ohnehin „nur um die Größten“ kümmern.

Skepsis gegenüber Interoperabilitätsverpflichtungen

In der Praxis soll das Digitale-Märkte-Gesetz der Kommission und den Mitgliedsstaaten die Instrumente in die Hand geben, um unfaire Taktiken zu bestrafen. Beschwerden gab es in den vergangenen Jahren etwa gegen Google und Apple, die in ihren App-Stores Software-Entwickler:innen die Bedingungen diktieren können. Apple schreibt Apps unter anderem vor, nur das eigene Bezahlsystem Apple Pay für bestimmte Käufe über die App nutzen zu dürfen.

Das neue EU-Gesetz soll dagegen verschiedene neue Instrumente schaffen. Etwa könnten Gatekeeper-Plattformen dann gezwungen werden, verschiedenen Zahlungsdiensten Zugang zu gewähren. Auch soll das Gesetz sogenanntes Multi-Homing erleichtern – ein Anbieter wie Booking.com könnte dann nicht mehr so leicht untersagen, dass Hotels nur über seine Plattform Zimmer anbieten dürfen. Wer gegen die neuen Regeln verstößt, soll Geldbußen von bis zu zehn Prozent seines Jahresumsatzes zahlen müssen.

Skeptisch zeigt Schwab sich hingegen gegenüber einem Werkzeug, auf das manche Stimmen aus der Zivilgesellschaft drängen. Unter dem Stichwort „Interoperabilität“ soll die EU Plattformen dazu zwingen, ihre Dienste für den Austausch mit anderen zu öffnen. Facebook-Nutzer:innen könnten dann etwa in ihrem Feed auch Tweets entdecken.

Die Kommission ermöglicht in ihrem Textvorschlag solche Interoperabilitätsverpflichtungen allerdings nur für Nebendienstleistungen, etwa Bezahldienste in App-Stores. Kernfunktionen wie etwa der Austausch von Nachrichten bei WhatsApp oder Posts bei Facebook bleiben von solchen Vorschriften unberührt. Schwab hält diese Einschränkung für den richtigen Weg. „Wenn wir das machen würden, dann stellen wir womöglich die Sicherheits- und Datenschutzsstandards bei Signal in Frage.“

Schwab äußert damit ähnliche Bedenken wie Signal-Gründer Moxie Marlinspike. Dieser argumentiert, dass offene Standards schwer weiterzuentwickeln seien und interoperable Dienste wie E-Mail daher bis heute auf standardmäßige Ende-zu-Ende-Verschlüsselung verzichten müssten.

„A bissle“ mehr Macht zur Entflechtung

Festhalten will der CDU-Abgeordnete allerdings an der grundsätzlichen Möglichkeit, große Plattformen zur Entflechtung ihrer Dienste zwingen zu können. Solche „strukturellen Lösungen“ möchte die Kommission als letztes Mittel einsetzen, wenn Plattformen hartnäckig an unfairen Geschäftspraktiken festhalten. Dann könnte etwa Facebook gezwungen sein, Instagram aufzugeben. „Die Kommission muss da mit dicken Hosen auftreten können“, sagt Schwab. Sein Textvorschlag soll das der Kommission sogar „a bissle“ leichter machen als ihr eigener Entwurf.

Abgeordnete anderer Fraktionen halten den Bericht von Schwab für nicht für weitgehend genug. Es sei „enttäuschend, dass der Berichtsentwurf vor weiteren strukturellen Maßnahmen zurückschreckt“, sagt der Grüne Rasmus Andresen. Dass der CDU-Abgeordnete die Definition von Gatekeeper-Plattformen auf die größten Digitalkonzerne einschränke, könne dazu führen, dass Europa beim Entstehen neuer Digitalmonopole tatenlos zusehen müsse.

Nachdem Schwab mit seinem Bericht das Territorium abgesteckt hat, beginnt nun das Feilschen um die Verhandlungsposition des EU-Parlaments. Im hauptzuständigen Binnemarktausschuss sitzen Schwab mit Evelyne Gebhardt von der SPD und Martin Schirdewan von der Linken zwei weitere deutsche Politiker als Schattenberichterstatter gegenüber.

Ihre Vorschläge für Ergänzungsanträge können entscheidende Passagen von Schwabs Bericht noch umschreiben. Einigt sich das Parlament auf eine Position, feilscht Schwab als Chefverhandler des Parlaments mit dem Rat der EU-Staaten und der Kommission über einen endgültigen Gesetzestext. Eine Abstimmung darüber wird allerdings nicht vor nächstem Jahr erwartet. Bis dahin geht das Ringen um Europas digitale Zukunft weitgehend hinter verschlossenen Türen voran.


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