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Digitale Sprache: Vielfältige Emojis und der Gender-Doppelpunkt im Betriebssystem

Apple-Smartphone und Regenbogenfarben

Noch vor einigen Jahren waren alle Emojis knallgelb. Jahr für Jahr ploppten irgendwo in der Smartphone-Tastatur dann immer mehr Emoji-Varianten auf: Mittlerweile gibt es Gesichter mit kurzen und langen Haaren, mit Bart, mit unterschiedlichen Gesichtszügen, mit Kopftuch. Es gibt eine Regenbogen- und eine Transgender-Flagge und hunderte Paar-Kombinationen mit verschiedenen Hautfarben und Geschlechtern.

Und auch die Sprache einiger Smartphone-Betriebssysteme wird inklusiver. Apple führt für die englisch- und spanischsprachigen Versionen von iOS15 ein „grammatical gender agreement“ ein, wodurch Nutzer:innen aus verschiedenen Geschlechtsoptionen wählen können und das System die korrekte Anrede automatisch auswählt. Noch ist iOS15 in der Beta-Phase. Testpersonen im deutschsprachigen Raum haben berichtet, dass hier nun auch der Doppelpunkt zum Gendern eingeführt wurde.

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„Inklusivität ist die bessere Imagewerbung“

Medial groß angekündigt hat Apple nicht, dass sein Betriebssystem bald gendert. „Die sozialpolitische Signalwirkung solcher plattformseitiger Innovationen bezüglich Gendern ist sicherlich gewollt und wird durch anschließende Medienberichte verstärkt“, sagt jedoch Jannis Androutsopoulos. Er ist Professor für Linguistik an der Universität Hamburg und beschäftigt sich unter anderem mit Sprache im digitalen Bereich. Dabei geht es auch um Semiotik, also darum, wie Zeichen bestimmte Informationen vermitteln.

Das Phänomen, diversere Emojis bereitzustellen oder etwa gendergerechte Sprache einzuführen, bezeichnet Androutsopoulos als „semiotische Inklusivität“. Die Entscheidung für diese Inklusivität treffe ein Unternehmen wie Apple aber nicht aus bloßem Idealismus – auch wenn er diesen den Beteiligten nicht absprechen wolle. „Semiotische Inklusivität ist hier die bessere Imagewerbung, könnte man etwas plakativ dazu sagen“, erklärt Androutsopoulos.

Anders als bei der gendergerechten Sprache im Betriebssystem trifft die Entscheidung über neue Emojis in der Regel nicht nur ein Unternehmen allein. Im Unicode Consortium in Kalifornien sitzen verschiedene große Konzerne wie Microsoft, Google und Apple, die sich auf den Unicode abstimmen. Er soll möglichst viele Schriftsysteme umfassen, die dann von Software auf der ganzen Welt richtig angezeigt werden. Genauso gibt es im Unicode einheitliche Codes für die Emojis, die dann jedes System in seinem eigenen Design ausspielen kann. Wenn also ein:e Android-Nutzer:in einen lachenden Emoji an jemanden mit iPhone schickt, kommt dort auch der lachende Emoji im Apple-Design an.

Einfluss auf den Wandel der Kommunikation unklar

Nutzer:innen können Anträge an das Unicode Consortium stellen, wenn sie sich neue Emojis wünschen. Das hat in der Vergangenheit dazu beigetragen, dass die Zahl der Emoji-Codes Jahr für Jahr wuchs. „Bei der unüberschaubaren Vielzahl an Emoji-Varianten – seit einigen Jahren nach Farbtönung, nun auch nach den Gesichtszügen – müsste man erst einmal irgendwie messen, welche davon in welchen Ländern und welchen Kontexten tatsächlich gebraucht werden“, sagt Jannis Androutsopoulos.

Dass es die Emojis gibt, sage also erst einmal nichts über ihre tatsächliche Nutzung aus. „Nach meiner Einschätzung ist ihre Auswirkung erst einmal eine ideologische und schlägt sich erst zweitrangig, wenn überhaupt, auf den aktiven Zeichengebrauch nieder“, so der Linguist. Die größere Vielfalt der Emojis führe vermutlich zunächst zu mehr Akzeptanz bei den Nutzer:innen. „Auswirkungen sind erst zweitrangig auf den aktiven Zeichengebrauch und Wandel der Kommunikation zu vermuten.“

Anders schätzt Androutsopoulos jedoch die Wirkung des Gender-Doppelpunkts ein, wenn er standardmäßig im Betriebssystem integriert ist. Dieser ist nicht mehr eine von vielen, irgendwo versteckten Möglichkeiten, sondern erscheint „als Teil der Konzernsprache an semiotisch exponierten Stellen der grafischen Benutzeroberfläche.“ Außerdem falle die Neuerung in eine Phase, in der sich der Doppelpunkt zum Gendern ohnehin mehr und mehr durchsetze.

Genderstern oder Gender-Doppelpunkt?

Der Doppelpunkt ist eine von vielen Möglichkeiten der gendergerechten Sprache, die auch seit einigen Jahren viele Autor:innen auf netzpolitik.org verwenden. Zuvor tauchte der Gender-Doppelpunkt ab dem Jahr 2011 in Texten der Hedonistischen Internationale und später auf Webseite und Newsletter des Fusion-Festivals auf. Mittlerweile nutzen auch andere Organisationen und Medien wie die Universität Dresden, die Stadt Lübeck, hessenschau.de, Tagesspiegel, taz oder die Hamburger Morgenpost den Doppelpunkt zum Gendern.

Befürworter:innen des Doppelpunkts empfinden ihn als unauffälliger und lesbarer als andere Formen des Genderns. Lange galt er auch als barrierefreier. Der Blinden- und Sehbehindertenverband äußerte jedoch im Mai Kritik daran, da Vorlesesysteme den Doppelpunkt oft als Satzzeichen lesen und dieser somit das Verständnis erschwert.

Andere Möglichkeiten für gendergerechte Sprache, die der Duden vorsieht, sind der Schrägstrich, Klammern oder das Ausschreiben der männlichen und weiblichen Form. Die Optionen des Dudens schließen allerdings nicht-binäre Personen weiterhin aus.

Das Gendersternchen hingegen umfasst alle Geschlechter, hat in der teils sehr aufgeheizten Debatte um das Gendern aber „starken sprachideologischen Gegenstrom“ erfahren, so Androutsopoulos. Daher könne eine Einführung des Doppelpunkts in ein weit verbreitetes Betriebssystem dessen Chancen erhöhen, „zum Leitzeichen der Inklusivität im geschriebenen Deutsch zu werden“, sagt der Sprachwissenschaftler.


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