Die genauen Koordinaten, Höhen und Umrisse von Häusern – das sind Geodaten, die Vermessungsämter auf Länderebene erfassen. Der Netzaktivist Markus Drenger fand solche Geodaten aus ganz Deutschland vor einigen Wochen über eine Bundeswebseite. Er kopierte die Daten und veröffentlichte sie über die Plattform GitHub. „Dann hat jemand, den ich nicht kenne, den Datensatz mit weiteren Daten so ergänzt, dass er alle etwa 20 Millionen deutschen Häuserdaten umfasst“, sagt Drenger. Doch das bayrische Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung (LDBV) forderte Markus Drenger in einer E-Mail dazu auf, die Veröffentlichung der Daten zu unterlassen.
„Es war für mich überhaupt nicht erkennbar, dass diese Daten geschützt sind, da gab es keinen Hinweis“, sagt er. Mittlerweile stehen Drengers Anwälte im Kontakt mit der bayrischen Behörde, die Datensätze hat er wieder offline genommen. Elf weitere Nutzer:innen hatten auf GitHub jedoch bereits unabhängig voneinander sogenannte Forks erstellt, eigene Kopien mit den 20 Millionen Häuserdaten.
Das bayrische Landesamt forderte von GitHub nun, diese Verbreitungen zu löschen. GitHub ist ein Tochterunternehmen von Microsoft mit Sitz in den USA, betreibt aber auch ein Büro in Amsterdam. Für ihre Löschaufforderung nutzte die bayrische Behörde ein Instrument aus dem US-amerikanischen Digital Millenium Copyright Act (DMCA): eine Takedown-Notice, über die Urheber melden können, wenn sie ihre Rechte verletzt sehen.
Die Meldung trifft auf bestürzte bis belustigte Reaktionen unter den Betroffenen, hauptsächlich wirft sie aber Fragen auf: Warum erfolgt eine DMCA Takedown-Notice, wenn alle Beteiligten in Deutschland sind und GitHub einen Sitz in der EU hat? Ist das bayrische Amt überhaupt der Urheber, wenn die Datensätze aus ganz Deutschland stammen? Und warum will es unbedingt verhindern, dass die Häuserdaten frei zugänglich sind?
Geodaten gegen Geld
Bei den veröffentlichten Geodaten aus ganz Deutschland handelt es sich um Datensätze aus der Zentralen Stelle Hauskoordinaten und Hausumringe , die beim bayrischen LDBV angesiedelt ist. Auf Anfrage schreibt das bayrische Landesamt, dass es einzelne bayrische Datensätze bereits kostenfrei zur Verfügung stelle. Bei den übrigen Daten sei die Nutzung, Verbreitung und Wiedergabe nur mit Einwilligung zulässig.
Somit sei „die zumindest teilweise Refinanzierung der Aufwendungen zur Bereitstellung dieser Daten durch Nutzungsentgelte und -gebühren“ erforderlich und angemessen, zumal es sich um Daten handle, die Firmen gewerblich nutzten. In einem ausführlichen Produktkatalog des LDBV ist auch eine Preisliste zu finden: Eine Million Pixel kosten bei der bayrischen Behörde 10 Cent. Auf die Frage, auf welche Rechtsgrundlage sich das LDBV bezieht, antwortete die Pressestelle:
Die Urheberrechte an den kartographischen Werken, Rechte an Luftbildern und Rechte als Datenbankhersteller nach dem Urheberrechtsgesetz, zudem Rechte nach den einschlägigen Fachgesetzen der Länder liegen bei den jeweiligen Vermessungs- und Katasterverwaltungen der Länder.
Das bayrische Amt vertrete diese beim Vertrieb der Deutschen Hauskoordinaten. Weiter heißt es: „Durch die Aufforderung, die Daten von den einschlägigen Plattformen zu nehmen, hat das LDBV erste Schritte zur Wahrung der oben aufgeführten Rechte eingeleitet.“ Eine Klage habe man noch nicht eingereicht, behalte sich jedoch weitere rechtliche Schritte vor.
Aus der Takedown-Notice bei GitHub wird deutlich, dass die Behörde den Aktivist:innen, die die Daten auf GitHub weiter verbreitet hatten, einen Verstoß gegen das Urheberrecht nach Paragraph 106 vorwirft: Unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke.
„Das ist schon eine interessante Argumentation“, meint Lilith Wittmann, eine der Nutzer:innen, die die Daten über ein Fork auf GitHub verbreitet hatte. „Das ganze Prinzip einer DMCA Takedown-Notice beruht ja darauf, dass ein Urheber schwört, ein Recht an allen Daten zu haben. Aber die Hälfte der Daten war vorher schon Open Data“, meint Wittmann. „Es geht um alle Hauskoordinaten aus ganz Deutschland und ein Teil davon stammt aus Bundesländern, in denen diese Daten nicht urheberrechtlich geschützt sind.“
„So, wie sie das begründen, ist das Quatsch“
Unter anderem Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen bieten die Häuserdaten schon seit Längerem frei zur Nutzung an. „Ich hätte erwartet, dass sie das deshalb gar nicht mit dem normalen Urheberrecht, sondern mit dem Datenbankherstellergesetz begründen“, so Wittmann. „Aber so, wie sie das begründen, ist das Quatsch.“
Markus Drenger ist sich in seinem Fall weniger sicher: „Das ist keine einfache Angelegenheit, sondern ziemlich komplex.“ Gegen ihn richtet sich die DMCA Takedown-Notice zwar nicht, allerdings möchte das LDBV offenbar rechtlich gegen ihn vorgehen. Und in seinem Fall argumentiert die Behörde jedoch mit dem Datenbankherstellerrecht.
Verhängnisvolle Postleitzahlen
Denn die Geodaten, die Drenger veröffentlichte, waren mit Postleitzahlen und Postadressen ergänzt. Diese stammen von der privatisierten Deutschen Post Direkt GmbH – nicht von einer staatlichen Stelle. „Sie argumentieren jetzt, dass dieses Zusammenführen der beiden Datensätze eine urheberrechtliche Leistung gewesen sei“, erklärt Drenger. Das zweifle er an.
„Es ist im Übrigen eine völlig abstruse, bekloppte Idee, dass die Deutsche Post im Rahmen der Privatisierung für die Postleitzahlen zuständig geworden ist“, meint er. Schließlich kenne und nutze jeder Postleitzahlen. „Und hier hat der Staat jetzt seine Datensätze mit diesen angeblich geschützten Datenbanken der Post verseucht.“
Mathias Schindler setzt sich seit vielen Jahren mit Fragen um Open Data auseinander. Er sagt: „Wenn sich die Behörde tatsächlich auf Datenbankherstellerrechte beruft, hat sie ein sich schließendes Zeitfenster.“ Schließlich untersagt die EU-Richtlinie über offene Daten, das Datenbankherstellerrecht gegen die Verbreitung von Daten auf öffentliche Einrichtungen anzuwenden. Mit dem Gesetz zur Änderung des E-Government-Gesetzes wird die EU-Richtlinie gerade in nationales Gesetz umgesetzt. „Spätestens mit der Umsetzung der Richtlinie wäre der Zug also abgefahren“, meint Schindler.
„Dann muss das Gesetz eben nachbessern“
Einer der GitHub-Nutzer, dessen Fork nun auch durch die DMCA Takedown-Notice gesperrt wurde, ist Johannes Filter. „Ich finde das schon ein bisschen frech, dass die Behörde mich niemals kontaktiert hat, sondern sofort eine Takedown-Notice macht.“ Bereits am Mittwoch äußerte er sich auf Twitter dazu:
Laut Filter muss die Verbreitung der Daten legal sein. „Falls sie das nicht ist, muss das Gesetz eben nachbessern. Es kann nicht sein, dass eine staatliche Behörde mit Daten Geld verdient, die eigentlich schon von Steuergeldern bezahlt wurden“, meint Filter. Lilith Wittmann sieht das ähnlich: „Diese Geodaten sind Basisinformationen für unser gesellschaftliches Zusammenleben, weil sie die Grundlage für viele Anwendungen in dieser digitalisierten Welt sind.“
Als Beispiel nennt sie den Berliner Energieatlas, der solche Geodaten nutzt, um zu erkennen, auf welchen Dächern Solaranlagen sinnvoll sind. Wenn staatliche Behörden die Nutzung ihrer Daten kommerzialisieren, begünstigten sie damit nur große Unternehmen. „Siehe Google Maps: Die machen Millionen damit, dass sie Daten nehmen, die eigentlich offen sein müssten“, so Wittmann. „Und wir als Zivilgesellschaft können keine sinnvollen Anwendungen aus diesen Daten bauen, wenn wir nicht dafür bezahlen.“
Behörden stellen sich gegenseitig Rechnungen
Das Paradoxe daran sei, dass der Staat selbst an dem Verkauf der Geodaten kaum verdiene, meint Wittmann. Dies bestätigt Mathias Schindler, der vor einigen Jahren recherchiert hatte, wieviel staatliche Stellen mit urheberrechtlich geschützten Werken einnehmen. „Wenn es signifikante Einnahmen gibt, dann sind die Kosten, um diese Einnahmen überhaupt zu bewerkstelligen, meistens höher.“ Eine Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von der Linken aus 2013 zeigte, dass die Beträge vieler Behörden marginal waren. So hatte die Bundespolizei durch die Einräumung von Nutzungsrechten nur 13 Euro eingenommen.
Einige Behörden hatten über höhere Summen berichtet. Doch Mathias Schindlers Recherche zeigte: Dort stammten die Einnahmen oft einfach von anderen Behörden. „Eine öffentliche Hand zahlt für die andere öffentliche Hand und stellt sich gegenseitig Rechnungen, das ist Augenwischerei“, meint Schindler. Seine Schlussfolgerung: „Sie behaupten nur, es gehe um Einnahmeverlust, eigentlich geht es aber um den Kontrollverlust.“
„Einfach nur unsinnig“
Mathias Schindler arbeitet für eine Landtagsabgeordnete in Brandenburg, wo die Grünen mit CDU und SPD gerade ein Open-Data-Gesetz auf den Weg gebracht haben. Somit unterstützt er die politische Argumentation von Drenger, Wittmann, Filter und den anderen Aktivist:innen, dass die Daten der Öffentlichkeit gehören. „In diesem Fall ist das kaufmännische Argument aber vielleicht sogar interessanter als das Politische: Es ist einfach unsinnig, die Daten nicht öffentlich zu machen, weil die Behörden damit in den meisten Fällen nur Geld verbrennen.“
Seiner Meinung nach sollten deutsche Behörden grundsätzlich Geodaten als offene Daten frei zugänglich zu machen – wie es in den USA und anderen Staaten üblich ist. „Die Idee, für die Daten Geld zu verlangen, ist eigentlich absurd“, meint Schindler. Die deutschen Regelungen wirkten letztendlich wie eine Subventionierung ausländischer Konzerne, da diese in ihren Staaten für entsprechende Daten nicht zahlen müssen.
Einzelne Bundesländer haben den Sinn von offenen Daten mittlerweile verstanden, meint Johannes Filter. „Bayern sollte sich ein Beispiel an Brandenburg oder Berlin nehmen, so wie dort muss es einheitlich in ganz Deutschland geregelt werden.“
Erst gestern hat der Bundestag die Reform des Urheberrechtsgesetzes beschlossen. Markus Drenger bemängelt, dass hier eine wichtige Anpassung noch immer fehle: die Bestimmungen zu amtlichen Werken sollte seiner Meinung nach ausgedehnt werden. „So weit, dass er auch weitere Daten wie Webseiteninhalte betrifft. Bei amtlichen Veröffentlichungen sollten die Daten grundsätzlich frei nutzbar sein.“ Dafür möchte er sich weiterhin einsetzen – möglicherweise auch vor Gericht.
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