Gerade ist sein Buch erschienen: Auf dem rechten Weg? Rassisten und Neonazis in der deutschen Polizei. Darin geht es um die Dokumentation der Verstrickung von Polizisten in die rechtsextreme Szene, aber auch um das Bild der Polizei in der Öffentlichkeit. In einem Buchauszug bei netzpolitik.org steht die Frage im Vordergrund, ab wann nach den vielen bekanntgewordenen Einzelfällen von einem strukturellen Problem bei der Polizei gesprochen werden muss.
In einem Interview mit dem Autor Aiko Kempen sprechen wir über Polizisten mit rechten und rassistischen Einstellungen, über die Dokumentation ihrer Gedankenwelt voller Hass und Gewaltfantasien in rechtsextremen Chatgruppen und auch darüber, was der ob der vielen Einzelfälle vielleicht verstörte Leser des Buches nun eigentlich tun kann.
Aiko Kempen ist freier Journalist, investigativer Reporter und recherchiert seit Jahren zu den Themen Polizei und Rechtsextremismus. Er arbeitet beim Magazin kreuzer und in der Redaktion der ARD-Sendung Monitor. An der Hamburger Akademie für Publizistik lehrt er investigative Recherche.
Verschleppte Aufarbeitung in der Polizei
Herr Kempen, was hat Sie dazu bewogen, ein Buch über Rassismus und Rechtsextremismus in der Polizei zu schreiben?
Aiko Kempen: Der Hauptgrund ist simpel: Bisher hat es keiner gemacht. Es liegt auf der Hand, dass es wichtig ist, über dieses Thema zu sprechen. Dieses Buch soll zeigen, dass wir eine jahrzehntelange Kontinuität von gewissen Mechanismen, Vorfällen und von verschleppter Aufarbeitung in der Polizei haben. Und das wurde bisher nie zusammengetragen und dokumentiert.
Im Buch finden sich viele Beispielfälle von Rechtsextremismus und Rassismus unter Polizisten. Wenn man nicht nur diese betrachtet, sondern auch die im Buch angesprochenen Fälle von passivem oder gar begünstigendem Verhalten der Polizei gegenüber Rassismus einbezieht: Wie groß ist das Problem dann?
Aiko Kempen: Bei Fragen nach Größe geht es meist um konkrete Zahlen, beispielsweise wie viele dieser Polizisten rechts oder rechtsextrem sind. Das ist meiner Meinung nach gar nicht das zentrale Problem. Das eigentliche Problem ist das Fehlen von Strukturen, die sich mit dem Problem beschäftigen. Das heißt: Selbst wenn es nur ein kleiner Teil der Polizisten ist, die eine möglicherweise rechtsextreme Einstellung haben oder die rassistisches Verhalten an den Tag legen, so trägt das trotzdem größere Teile der Polizei, weil sie sich innerhalb der Strukturen der Polizei sicher fühlen können mit diesem Verhalten.
Es geht also nicht darum, alle Polizisten unter einen Generalverdacht zu stellen. Aber solange sich die Polizei nicht ganzheitlich gegen Rassismus und Rechtsextremismus stellt, liegt eine relevante und gefährliche Größenordnung des Problems vor. Und das ist ja das, was sich über Jahrzehnte gezeigt hat.
Ein gutes Beispiel ist der Hamburger Polizeiskandal in den 1990er Jahren: Ein Polizist und Whistleblower sagte damals, es wären ja nur sechs von hundertzwanzig Polizisten beteiligt gewesen. Dabei wird außen vor gelassen, dass die anderen 114 Polizisten zum Fall geschwiegen haben. Das führte letztlich auch zu diesem umfangreichen Skandal.
Wie erklären Sie sich angesichts der Erkenntnisse in Ihrem Buch und der Häufung von Einzelfällen, dass sich der amtierende Innenminister Horst Seehofer vehement dagegen ausspricht, das Problem wissenschaftlich aufzuarbeiten?
Aiko Kempen: Das sind zwei unterschiedliche Gründe. Zum einen wird immer wieder von Forschern angeführt, dass die Innenministerien und die Polizeiführung Forschung verhindern, weil sie Angst vor dem Ergebnis haben. Und es geht zum anderen nicht mehr darum, einzelne schwarze Schafe zu etikettieren. Es geht tatsächlich darum, wie es sein kann, dass sich Menschen mit rechten Einstellungen in der Polizei wohlfühlen können. Liegt dann die Verantwortung gar nicht mehr bei der Polizei, sondern auf einer politischen Ebene? Und dann trifft diese Verantwortung natürlich die Innenminister, die dann möglicherweise selbst in der Kritik stehen und mehr Verantwortung übernehmen müssten.
Das hieße, die Innenminister wissen um das Problem und möchten nur am Ende einer etwaigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung nicht den Schwarzen Peter bekommen?
Aiko Kempen: Ich bin definitiv der Meinung, dass es auf politischer Ebene ein bewusstes Missverstehen gibt, insbesondere wenn von strukturellen Problemen die Rede ist. Wenn Innenminister ein strukturelles Problem negieren, dann stellen sie das immer so dar, dass sie damit lediglich negieren, dass keine gewisse Menge an Polizisten rechts oder rechtsextrem sind. Aber man kann ihnen ganz exakt sagen, was mit einem strukturellen Problem gemeint ist, und danach negieren sie es trotzdem. Sie wollen gar nicht darauf eingehen, weil man auf die Verantwortungsebene kommt, die sie selbst in den Fokus rücken würde.
Rechtsextremismus ist inakzeptabel
Sie schreiben an mehreren Stellen im Buch sinngemäß: So gut wie jeder würde sagen, Rassismus sei prinzipiell falsch, und so gut wie jeder möchte auch kein Rassist sein. Und das stimme auch für die Polizei. Aber durch polizeiliche Befugnisse wird aus rassistischem Verhalten eine ganz praktische Diskriminierung …
Aiko Kempen: Jeder halbwegs klar denkende Mensch würde sagen: Rechtsextremismus ist inakzeptabel. Und innerhalb der Polizei ist es auch so, dass sich ein Großteil der Polizisten nicht mit Rechtsextremen solidarisieren würde. Aber sie würden sich trotzdem den rassistischen Kalender der Deutschen Polizeigewerkschaft ins Büro hängen und darüber lachen, oder Racial Profiling betreiben. Ein Polizist kann sich offiziell nicht als Rassist verstehen, aber trotzdem rassistisches Verhalten internalisiert haben.
Das heißt zum Beispiel, dass der Polizist Menschen aufgrund äußerer Merkmale oder aufgrund ethnischer Herkunft auf den ersten Blick unterschiedlich bewertet. Und da stellt sich die Frage: Was passiert dann? Als Polizist hat man die Möglichkeit, in deren Grundrechte einzugreifen, auch aufgrund einer möglicherweise unbewussten und subjektiven bloßen Annahme. Es heißt dann: „Wir haben diese Person nicht angehalten oder kontrolliert, weil sie schwarz war, sondern weil sie dem gängigen Täterschema entspricht.“ Und wenn man nachfragt, wie das gängige Täterschema aussieht, landet man doch wieder bei der Hautfarbe.
Im Auszug aus Ihrem Buch ist erwähnt, dass sich die aktuellen Diskussionen um rechtsextreme Polizisten oft um Inhalte von Chats drehen. Wie wichtig sind diese Chats und die Tatsache, dass darin Denkweisen und Gefühle von Menschen aufgezeichnet werden?
Aiko Kempen: Jetzt hat man schwarz auf weiß das, was früher am Stammtisch geäußert wurde. Sonst gab es nur Berichte über Polizisten, die sich kritisch über Kollegen geäußert haben, denen in der Umkleide eine rassistische Äußerung herausgerutscht ist. Jetzt haben wir auf einmal in einer ganz anderen Art klar dokumentiert, inwiefern Rassismus in der Alltagskultur der Polizei festsitzt. Da gibt es eine gewisse Sorglosigkeit, wie teilweise über Gewalt und Übergriffe gesprochen wird. Und das ist eine neue Form von Dokumentation.
Ich vermute, das betrifft nicht nur die Polizei, aber gerade dort wird es jetzt sichtbar. Wenn etwas nach außen dringt, hat das natürlich auch zur Folge, dass es die Strafverfolgung erleichtert. Wenn man einmal den Verdacht hat und die Polizeibehörden einen Polizisten gefunden haben, der sich rassistisch oder rechtsextrem geäußert hat, dann kontrollieren sie dessen Handy und haben automatisch die anderen Fälle in dieser Einheit. Das war in der Vergangenheit natürlich nicht so. Und das führte auch dazu, dass sich die Fälle in den letzten Jahren gehäuft haben.
Polizei als autoritäre Organisation mit deutlicher Rechtslastigkeit
Sie hatten die Deutsche Polizeigewerkschaft erwähnt und problematisieren die Polizeigewerkschaften in Ihrem Buch auch generell. Rainer Wendt wurde beispielsweise im Januar trotz seiner Eskapaden wieder zum Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft gewählt. Der „stramm konservative Rechtsdrall“ von Wendt hat offenbar am „Zuspruch innerhalb der Polizei“ nichts geändert. Wie nehmen Sie die Rolle dieser Polizeigewerkschaften wahr?
Aiko Kempen: Die Polizeigewerkschaften haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die Polizei in der Öffentlichkeit als politischer Akteur auftritt. Entgegen ihrer immer wieder geäußerten Rolle, wonach sie nur ausführen würde, was man ihr sagt, und Befehle befolgen würde, bestimmt die Polizei selbst mit darüber, was ihre Aufgaben sind, was ihre Aufgaben sein sollen uns wie sich die Polizei selbst versteht.
Insbesondere hat die Deutsche Polizeigewerkschaft massiv dafür gesorgt, dass sich die Polizei als autoritäre Organisation mit einer deutlichen Rechtslastigkeit entwickelt hat. Und im Kampf um Plätze in den Personalräten hat die kleinere Gewerkschaft, also die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG), dabei auch die größere Gewerkschaft der Polizei (GdP) radikalisiert. Das ist der Eindruck, der sich immer wieder verfestigt. Wenn man sich anguckt, wie die größere Polizeigewerkschaft früher aufgetreten ist, so war sie damals noch sehr SPD-nah und vergleichsweise liberal. Und das hat sich gewandelt, auch ohne dass sie ihren eigenen Wendt hatten. Also sie haben beide Gewerkschaften ihren Anteil dran.
Wir haben bei netzpolitik.org viel über die Novellierungen der Polizeigesetze geschrieben. Es fiel in den Anhörungen auf, dass Polizei-Vertreter und auch Polizei-Gewerkschaftsvertreter in der Gesetzgebung ganz enorm mitwirkten, sachverständig quasi in eigener Sache …
Aiko Kempen: Das liegt auch in diesem Problembereich. Die Polizei will selbst darüber bestimmen, was ihre Arbeit ist, und auch, wie die Befugnisse dafür aussehen. Gerade bei den Gesetzesverschärfungen geht es ja darum, dass die Polizei mit diesen massiven präventiven Mitteln, die teilweise in den Gesetzen festgeschrieben sind, selbst auch in einen Bereich kommt, wo sie darüber bestimmt, ab wann sie wie eingreifen darf und ab wann sie zuständig ist, um mit rigorosen Mitteln eingreifen zu können. Und da hat sich meiner Meinung nach etwas verschoben.
Sie schreiben am Ende des Buches in der Danksagung, es sei auch eine Gemeinschaftsarbeit gewesen. Wer leistet aus Ihrer Sicht besonders wichtige Arbeit bei der Aufklärung über Rassismus und Rechtsextremismus in der Polizei?
Aiko Kempen: Ich bin zum einen der Meinung, dass journalistische Recherche gewaltig an Bedeutung hinzugewonnen hat in den letzten Jahren. Es wurden konsequent rechte Netzwerke innerhalb der Polizei aufgedeckt, seien es die taz-Recherchen, sei es Aufdeckung der Verbindungen bis in die Bundeswehr, seien es die Recherchen zum NSU 2.0. Und zum anderen gibt es auch Kräfte innerhalb der Polizei, die dafür sorgen, dass dort zumindest eine öffentliche Diskussion darüber losgetreten wird. Denn auch Teile der Recherchen über die Polizei setzen da an, dass es innerhalb der Institution Menschen gibt, die sagen: Das ist die falsche Richtung. Und nebenbei: Es sind natürlich manchmal auch Organisationen, die das Ganze konsequent begleiten und dokumentieren.
Eine letzte Frage muss sich nach der Lektüre Ihres Buches anschließen: Was kann und sollte jeder nun tun, auch wenn er vielleicht nicht persönlich betroffen ist?
Aiko Kempen: Was jeder Einzelne generell tun kann: das Thema an ernst nehmen, vor allem bei Menschen ernst nehmen, deren Stimmen in der Gesellschaft bisher viel zu wenig beachtet wurden. Das sind zum Beispiel Menschen mit Migrationsgeschichte. Berichte über rassistische Vorfälle bei der Polizei gibt es seit Jahrzehnten, und wir könnten im Umgang damit viel weiter sein, wenn wir den Menschen zugehört hätten, die in den letzten zwanzig, dreißig Jahren davon berichtet haben, was wir jetzt in Chats schwarz auf weiß dokumentiert und mit Handykameras gefilmt haben.
Und das heißt: Wir müssen als Gesellschaft das Thema ernster nehmen, den Menschen zuhören. Wir müssen uns als Gesellschaft und als Bürger auch als Dienstherr der Polizei verstehen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Kempens Buch Auf dem rechten Weg? Rassisten und Neonazis in der deutschen Polizei ist im April 2021 beim Europa-Verlag erschienen, 240 Seiten, ISBN 978-3-95890-350-0.
Vielen Dank für die Transkription, Vincent!
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