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Smart Meter: Der Weg zur Energiewende führt über den eigenen Keller

Mehrere Windräder vor einem vom Sonnenuntergang orangenen Himmel
Sonne und Wind sind die Zukunft – da sind sich mittlerweile alle einig. Doch das Energiesystem hat Anpassungsbedarf. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Sylvio Dittrich

Digitalisierung und Klimaschutz: Beim Zusammenspiel dieser Zukunftsthemen geht es häufig um die CO2-Bilanz digitaler Infrastruktur.. Rechenzentren, Netze und Endgeräte brauchen Strom und Rohstoffe – und zwar in rasant steigenden Mengen. Anwendungen wie Kryptowährungen oder das Training neuronaler Netzen mit großen Datenmengen schlucken enorm viel Energie, die in Deutschland immer noch zu gut der Hälfte aus fossilen Energieträgern wie Kohle oder Gas stammt.

Die beiden Themen hängen noch auf eine andere Weise zusammen: Die Digitalisierung soll die Energiewende erst möglich machen, doch auf dem Weg zu mehr Steuerung im Stromnetz und mehr Flexibilität beim Stromverbrauch gibt es netzpolitische Herausforderungen.

Doch von vorne: Der Begriff Energiewende bezeichnet den Wandel in der Energieerzeugung, weg von fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energien. Oft geht es dabei um die Stromwende, also die Erzeugung von Strom aus Wind und Sonne statt aus Kohle-, Gas- oder Atomkraftwerken. Doch im Verkehr und bei der Wärme wird ebenfalls noch auf Verbrennung gesetzt.

Insgesamt mehr Strom benötigt

In Zukunft soll beim Heizen und bei der Mobilität verstärkt auf elektrische Lösungen gesetzt werden. E-Autos und Wärmepumpen könnten sich durch die Elektrifizierung zu großen Verbrauchern von Strom im privaten Umfeld entwickeln.

Insgesamt steigt die Strommenge, die in Deutschland im privaten Umfeld und in der Wirtschaft benötigt wird. Die alte Regierung, insbesondere das Wirtschaftsministerium unter Peter Altmeier hatte lange bestritten, dass die benötigte Gesamtmenge an Strom größer werden würde. Erst kurz vor Ende der Legislaturperiode passte das Ministerium diese Prognose an.

Wenn durch die Energiewende die benötigte Menge an Strom steigt, gleichzeitig aber große Stromerzeuger wie Kohlekraftwerke wegfallen, stellt das die Energieinfrastruktur vor Schwierigkeiten. Dazu kommen noch die Schwankungen bei Strom, der aus Sonne und Wind erzeugt wird. Die chemische Energie, die in fossilen Brennstoffen gespeichert ist und bei der Verbrennung in Strom umgewandelt wird, steht immer und überall zur Verfügung. Die Erzeugung von Solar- und Windstrom ist den Launen des Wetters ausgeliefert.

Begrenzte Speicherkapazität im Netz

Das Problem: Stromverbrauch und Stromerzeugung müssen sich immer gegenseitig ausgleichen. Dass nicht mehr verbraucht werden kann, als das gesamte Energiesystem erzeugt, liegt auf der Hand. Doch die Infrastruktur gerät auch in Schwierigkeiten, wenn zu bestimmten Zeiten mehr erzeugt als verbraucht wird. Denn Speicherkapazität ist im Netz nur sehr begrenzt vorhanden.

Manuel Lösch vom FZI Forschungszentrum Informatik in Karlsruhe forscht an der Gestaltung der Energiesysteme der Zukunft. Er weist darauf hin, dass die Stromnetze, wie sie derzeit in Deutschland existieren, nie für eine Energiewende gedacht waren: „Früher gab es wenige hundert Stromerzeuger. Die produzierten Strom auf Hochspannungsebene für das Übertragungsnetz, der dann vor Ort über die Verteilnetze in niedrigerer Spannung an die Stromkunden ausgeliefert wurde.“

Mit der Energiewende würden diese großen Erzeuger nun Stück für Stück durch Millionen kleine Anlagen ersetzt. „Die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach erzeugt den Strom im Verteilnetz. Es gibt dort derzeit viel zu wenig Steuerungsmöglichkeit, um zu gewährleisten, dass auch künftig die technischen Grenzen der Stromnetze eingehalten werden“, beklagt Lösch.

Viel zu wenige Daten aus den Verteilnetzen verfügbar

Ein großer Teil der Verantwortung für die Stabilität des Netzes liege derzeit noch bei den Betreibern des Übertragungsnetzes und das ändert sich, erklärt er. Stabilität, das bedeutet im Falle des Stromnetzes in erster Linie, dass die Frequenz im Stromnetz immer rund 50 Hertz beträgt. Wird zu viel Strom produziert, steigt die Frequenz, wird zu viel Strom verbraucht, sinkt sie. Kleinere Abweichungen können durch Regelleistung aufgefangen werden, aber sobald 0,2 Hertz zu viel oder zu wenig im Netz vorherrschen, gerät es in Schieflage – Stromausfälle können die Folge sein.

Für das alte Energiesystem habe das alles auch gut funktioniert, so Lösch. Wenn es mal Schwierigkeiten mit der Frequenz gegeben habe, dann seien diese Probleme auf den hohen Spannungsebenen zu finden gewesen. Im durch erneuerbare Energien geprägten System reichen diese Mechanismen aber nicht mehr: „Über den aktuellen Zustand in den lokalen Verteilnetzen brauchen die Betreiber künftig mehr Daten, um zur richtigen Zeit auf die richtige Weise eingreifen zu können“, erklärt Lösch.

Um diese Daten zu bekommen, sind laut Expert:innen digitale Technologien notwendig. Allem voran intelligente Zähler, die sogenannten Smart Meter. 2016 hatte die große Koalition den Einbau dieser Geräte gesetzlich vorgeschrieben. Diese Zähler sammeln und speichern die Verbrauchsdaten nicht nur digital, sie kommunizieren sie zusätzlich über eine Schnittstelle, das sogenannte Smart-Meter-Gateway, an ein Netzwerk. Die Schnittstelle ist allerdings nur für Großkund:innen verpflichtend, für die meisten Privathaushalte ist der Einsatz wegen des geringeren Stromverbrauchs freiwillig.

Stromerzeugung mit Erneuerbaren schwer planbar

Individuelle Verbrauchsdaten, digital gesammelt und über ein Netzwerk ausgetauscht: Hier stehen vermutlich vielen datenschutzbewegten Menschen die Haare zu Berge. Und das nicht ganz zu Unrecht. Zur Einführung des Gesetzes beklagten Verbraucherschutzorganisationen eine „Zwangsdigitalisierung“ bei den Stromkund:innen.

Doch die Daten sind nötig: Bisher arbeiteten die Stromerzeuger mit sogenannten Standardlastprofilen, um die Kapazitäten der großen Kraftwerke zu planen. Es war nur wichtig zu wissen, zu welcher Tageszeit alle Stromkund:innen zusammen in etwa wie viel Strom verbrauchen. Nachts weniger als am Tag, im Winter mehr als im Sommer. Diese Informationen genügten, um die Leistung der Kraftwerke nachts etwas herunterzuregeln, damit kein Stromüberschuss entstehen konnte.

Löschs Kollege Hartmut Schmeck, Direktor am FZI in Karlsruhe, erklärt, dass man damit in einem System, das hauptsächlich auf erneuerbaren Energien beruht, nicht mehr weit kommt: „Weil wir so viele kleine Erzeuger haben, ist die Auslastung nicht mehr so leicht vorherzusehen, die Erzeugung ist nicht mehr so leicht planbar. Um trotzdem ein stabiles Netz zu garantieren, müssen wir immer wissen, was im Netz genau passiert. Dazu brauchen wir pseudonymisierte Daten von Privathaushalten und gewerblichen Kunden, zeitlich ausreichend fein aufgeschlüsselt, um in einem dezentralen Stromnetz am richtigen Ort reagieren zu können.“ Dazu müssten die Daten allerdings keineswegs zentral gesammelt werden: „Eine Verfügbarkeit an den Orten, an denen die notwendigen Entscheidungen zur Laststeuerung getroffen werden müssen, reicht aus.“

Kund:innen könnten finanziell profitieren

Die Informationen erlauben dann eine sehr genaue Steuerung, so Schmeck: „Wenn im System ein Mangel an Strom herrscht, können große Verbraucher vorläufig vom Netz genommen werden. Das bedeutet nicht, dass der Stromanbieter irgendwo plötzlich den Strom abstellt. Aber wenn ein Kunde sagt, dass das Elektroauto erst am nächsten Morgen aufgeladen sein muss, ist es nicht tragisch, wenn ein Energiemanagementsystem den Ladeprozess in der Nacht kurz unterbricht, bis das Netz sich stabilisiert hat.“

Kund:innen könnten sogar finanziell profitieren. Manuel Lösch weist auf die Möglichkeit dynamischer Stromtarife hin, die einen Verbrauch dann belohnen, wenn viel Strom vorhanden ist und ihn teurer machen, wenn Mangel herrscht: „Bisher hatten wir immer nur Tag- und Nachtstrom. Die Kernkraftwerke stehen im Gegensatz zu Photovoltaik-Anlagen auch nachts zur Verfügung, wo aber weniger Strom nachgefragt wird. Also war er nachts günstiger, um Kunden dazu zu bringen, planbare, große Verbräuche auf die Nacht zu legen.“

Etwas Ähnliches schwebt Lösch auch vor, allerdings im Viertelstundentakt: „Die Endkunden sollen mehr einbezogen werden. In der Praxis wird das so aussehen, dass ich einmal meine Einwilligung gebe, dass zum Beispiel mein Elektrofahrzeug oder meine Wärmepumpe automatisch auf Preissignale des Stromanbieters reagieren dürfen. Dem intelligenten System sind meine normalen Gewohnheiten bekannt und so kann es die Flexibilität im Stromverbrauch nutzen, um Kosten zu senken und das Netz zu stabilisieren.“

Verbrauchsportale nur für technikaffine Menschen ein Pluspunkt

Wer sich gar nicht aktiv mit seinem Verbrauch und dem Strompreis beschäftigen wolle, müsse das natürlich nicht tun. „Im Vergleich mit Menschen, die vorhandene Optimierungspotenziale nutzen, wäre es dann eben etwas teurer“, so Lösch. Einen weiteren kleinen Vorteil sieht er in der Transparenz, die man durch Smart Meter möglich machen könne, insbesondere bei Kund:innen, die den Photovoltaikstrom vom eigenen Dach selbst verbrauchen. Hier würde es aber erst wenig attraktive Angebote geben, die die Verbrauchsdaten den Kund:innen geeignet zugänglich machen.

Doch andere Fachleute ziehen den Nutzen solcher Portale in Zweifel. Der Sozialwissenschaftler Dirk Scheer forscht am Karlsruher Institut für Technologie an der Technologieakzeptanz in Zusammenhang mit der Energiewende. Er ist der Ansicht, dass diese Transparenz nur für sehr technikaffine Menschen ein Pluspunkt sei: „Wer sich für Technik interessiert, schaut sich seinen Verbrauch drei Wochen an und sieht, dass der Kühlschrank, der Herd und die Waschmaschine besonders viel zum Verbrauch beitragen. Vielleicht entdeckt man noch eine übrig gebliebene Glühbirne im Keller, die man dann auswechseln kann. Nach drei Wochen ist das dann aber auch für diese Menschen nicht mehr so spannend.“

Insgesamt fehlt ihm der konkrete Nutzen digitaler Instrumente für einzelne Verbraucher:innen: „Ob die Smart Meter einen Nutzen für den einzelnen Verbraucher haben, würde ich in Frage stellen. Da bräuchte es kreative Geschäftsideen der Anbieter, zum Beispiel dass ein Stromkunde einen zehn Prozent günstigeren Strompreis bekommt, wenn er ein Smart Meter hat, weil die Energieversorger durch die genauere Steuerung vielleicht fünfzehn Prozent einsparen. Das könnten sie als Anreiz zu Teilen an die Verbraucher weitergeben.“

Datenschutzbedenken befördern Skepsis

Den fehlenden individuellen Nutzen sieht Scheer auch als eines der größten Hindernisse für breite Akzeptanz der für die Energiewende notwendigen Digitalisierungsmaßnahmen: „Wenn man den Umfragen Glauben schenkt, scheint es schon ein relativ großes Grundvertrauen in digitale Instrumente im Energiebereich zu geben. Das sind natürlich Vorschusslorbeeren. Ob sich das in Akzeptanz umsetzen lässt, wenn die Energiewende weiter fortschreitet, muss man sehen. Ich bin da ein bisschen skeptisch.“

Zu Teilen könnte die Skepsis in der Bevölkerung auch aus Datenschutzbedenken herrühren, insbesondere in Hinblick auf das, was die Menschen mit Smart Home assoziieren, so Scheer: „Bei smarten Lautsprechern wie Alexa fürchten die Menschen, abgehört zu werden. Bei smarten Zählern, dass sich die Verbrauchsdiagramme auf die einzelnen Menschen runterrechnen lassen. Damit fühlen sich viele Menschen nicht wohl. Das sollte in der Realität kein Problem sein, weil es über die Datenschutzgrundverordnung recht gut geregelt ist.“ Die Anforderungen vom Gesetzgeber seien diesbezüglich sehr hoch gewesen. Das sei aber eben nur der objektive Stand, subjektiv sehe das ganz anders aus, fürchtet Scheer.

Um den Datenschutz zu gewährleisten, würden die für Stromnetzbetrieb und Abrechnung benötigten Daten verschlüsselt und zum Teil pseudonymisiert an den zuständigen Netzbetreiber und den Stromlieferanten übermittelt. Dort dürfen sie nur zu festgelegten Zwecken verarbeitet werden, also nur um den Betrieb des Energiesystems zu gewährleisten. Mit einem Privacy-by-Design-Ansatz werden Funktionen, die nicht unbedingt notwendig sind, von vorneherein technisch ausgeschlossen. Die Kund:innen können jede Übermittlung der Daten und die Daten selbst im Logbuch des Gateways einsehen.

Die deutschen Smart Meter halten Manuel Lösch und Hartmut Schmeck für sehr sicher: „Das Smart-Meter-Gateway wurde vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zertifiziert“, berichtet Lösch. Deswegen habe die Einführung der intelligenten Systeme in Deutschland auch viel länger gedauert als im europäischen Ausland. Bedenken wegen der Datenweitergabe dürfte es aber dennoch geben, je öfter die Smart Meter in deutschen Haushalten Einzug halten.

Sicherheitsrisiken in der Energiewirtschaft

Sicherheitsrisiken in einem immer digitaleren Energiesystem sieht Hartmut Schmeck auch nicht in erster Linie bei den digitalen Zählern: „Die Energiewirtschaft ist es gewohnt, in Systeme zu investieren, die zwanzig Jahre lang laufen. Wenn da dann eine Software regelmäßige Sicherheitsupdates braucht, ist das schon eine Zumutung für die Konzerne. Für die IT-Sicherheit und damit auch für die Systemsicherheit insgesamt ist diese Mentalität natürlich sträflich.“ Bei einigen Komponenten seien den Betreibern sogar mögliche Angriffspunkte in der Software bekannt, so Schmeck. „Viele Unternehmen scheuen aber den Zusatzaufwand, der nötig wäre, um die Systeme sicher zu betreiben.“

Einig sind die Fachleute sich aber in ihrer vernichtenden Bewertung über die politische Kommunikation der letzten Jahre. Schmeck sieht die neue Bundesregierung in der Pflicht, die Fehler der alten Koalition auszubügeln: „Leider hatte der Umbau des Energiesystems in den letzten Jahren nicht die Priorität, die es gebraucht hätte, um den Klimawandel wirksam zu bekämpfen.“ Von wissenschaftlicher und technischer Seite seien viele neue, tragfähige Konzepte entwickelt und mit Prototypen auch erprobt worden. Die Politik sei aber viel zu langsam, die Regulatorik an die neuen Gegebenheiten anzupassen. „Die Verzögerung der Energiewende, die daraus resultiert, können wir uns eigentlich nicht mehr leisten.“, warnt Schmeck.

Sozialwissenschaftler Scheer betont, dass die Bevölkerung im Grunde für die Transformation bereit sei: „Der überwiegende Teil der deutschen Gesellschaft versteht das Problem Klimawandel und auch, warum die Energiewende als Lösungsansatz nötig ist.“ Schwieriger falle die Frage, welche Konsequenzen das konkret habe. „Die alte Bundesregierung hätte viel mehr Aufklärung betreiben müssen. Wind und Photovoltaik müssen für den Klimaschutz in einer Dimension ausgebaut werden, die sich gewaschen hat. Und das bedeutet dann eben die Photovoltaik-Anlage auf dem eigenen Dach, den Windpark vor der Haustür und den intelligenten Zähler im Keller.“


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