Mehr Daten für das Ausländerzentralregister, mehr zugriffsberechtigte Behörden: Das kennen wir schon. Man kann das im Detail kritisieren, aber das lenkt vom eigentlichen Problem ab: der fehlgeleiteten monströsen Datensammlung über alle, die ohne deutschen Pass in Deutschland leben. Ein Kommentar.
Die Bundesregierung will das Ausländerzentralregister erneut ausweiten. Diesmal geht es unter anderem um Sozialdaten, die den sogenannten Datenkranz der Informationssammlung erweitern sollen. Und um neue Behörden, die automatisiert Daten aus einem der größten Datenbestände des Landes abrufen können sollen. Im November hatten die Ministerien einen Entwurf fertiggestellt, am heutigen Montag hört der Bundestag dazu Fachleute an.
In den Stellungnahmen, die sie dem Bundestag übermittelt haben, findet sich viel Zuspruch für die „angestrebte weitere Digitalisierung migrationsrechtlicher Verwaltungsverfahren“ – etwa beim Staats- und Verwaltungsrechtler Matthias Friehe. Die vorgeschlagenen Maßnahmen seien „in einer rechtlichen Gesamtbewertung geeignet, erforderlich und angemessen“, schreibt Dennis-Kenji Kipker von der Universität Bremen. Breite Kritik an den Maßnahmen üben Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte und Thilo Weichert vom Netzwerk Datenschutzexpertise.
Ein Gesetz aus dem letzten Jahrhundert
Dass Sachverständige einzelne Paragrafen des Gesetzes unter die Lupe nehmen und analysieren, ist wichtig. Auch wir haben uns das Gesetz bereits näher angeschaut. Aber dabei gerät ein das größte Problem des Ausländerzentralregisters in den Hintergrund: Während die Wortbestandteile „zentral“ und „Register“ sonst regelmäßig Schnappatmung verursachen, bleibt seit Jahrzehnten der große Aufschrei im Verwaltungswesen rund um Migration aus. Die zentrale Datenerfassung über alle Menschen, die ohne deutsche Staatsbürgerschaft in der Bundesrepublik leben, ist in ihrer zugrundeliegenden Haltung fehlgeleitet und hängt in der Mitte des letzten Jahrhunderts fest.
Davon abgesehen ist das Ausländerzentralregister mehr denn je ein kaum zu überblickendes Risiko. Spätestens wenn es jenen rechtsradikalen Kräften in die Verwaltungshände fällt, deren Fantasien von Reinhaltung des vermeintlichen deutschen Volkes mehr Versprechen als Geheimplan sind.
Das Ausländerzentralregister entstand ab 1953, weil das Innenministerium damals die „Notwendigkeit einer verstärkten Überwachung“ von Menschen ohne deutschen Pass sah. Damals noch auf Karteikarte, wurde es als eine der ersten Datensammlungen zur automatisierten Datenverarbeitung ertüchtigt. Mittlerweile enthält es 26 Millionen personenbezogene Datensätze und wuchs beständig – auch dahingehend, was gespeichert wird.
Je nach Grad des Ausländisch-Seins sind das nicht nur Grunddaten zur Person, sondern teils Informationen zu Impfungen, Sprachkursen, Asylakten und so weiter. Dass sich jetzt Informationen zu Sozialleistungen in den strahlenden Datenkranz gesellen – es fällt im Verhältnis kaum ins Gewicht, scheint es. Das Empörungspotenzial, dass noch ein paar Daten dazukommen, ist gefühlt niedrig.
Das macht die Datenbank auch nicht mehr fett?
Und die 3.000 Behörden, die bald zusätzlich automatisiert Daten abrufen können sollen? Manch einer scheint sich eher zu fragen, warum sie das bisher noch nicht durften. Auch die 0,3 Prozent meldepflichtiger Datenschutzverstöße, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Stichproben entdeckte, klingen erstmal wenig. Bis man sie auf die rund sieben Millionen monatliche Abrufe 2021 hochrechnet. Dann wären es plötzlich mehr als 20.000 jeden Monat. Meldepflichtig, das heißt, es gibt es reales Risiko für die Person. Nicht, dass sich jemand vertippt hat und jemand unbeabsichtigt abgefragt wird. Dazu kommen dann noch 1,5 Prozent nicht-meldepflichtiger Verstöße.
Die Regierungen der vergangenen Jahre haben uns an die schrittweise Ausweitung des Registers gewöhnt. Fast 50 Mal wurde es geändert, nachdem es ab 1994 schließlich eine gesetzliche Grundlage gab. Horst Seehofers berühmter „Man muss Gesetze kompliziert machen“-Satz gehörte zu einer der Erweiterungen, die dann wirklich kaum aufgefallen sind. Und warum gibt es denn jetzt bereits wieder eine Ausweitung des Registers? Hatte nicht der Innenausschuss 2021 geschrieben: „Eine über den Gesetzentwurf hinausgehende inhaltliche Erweiterung des AZR soll nicht vor Evaluation des Zweiten Datenaustauschverbesserungsgesetzes erfolgen“? (Einordnungshilfe: Das war das „komplizierte“ Gesetz aus dem Hause Seehofer und die Evaluation wäre mittlerweile fällig.)
Ja, vielleicht ist die neuste Erweiterung des Ausländerzentralregisters nicht das große Problem. Der Grund dafür ist aber traurig: Weil sie das Fass nicht zum Überlaufen bringt, das ist es nämlich schon längst. Und dass jemand mal eine ordentliche Kelle abschöpft bei der (nicht nur) informationellen Schlechterbehandlung von Menschen ohne deutschen Pass, das wagt sowieso fast niemand mehr zu hoffen.
Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.
0 Commentaires