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Bundesverfassungsgericht: Hausdurchsuchung wegen Adbusting war überzogen und grundrechtswidrig

Die Hausdurchsuchung bei einer Frau wegen eines veränderten Bundeswehr-Plakates war illegal. Nach der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde dürfte es nun schwieriger werden, die Kunst- und Aktionsform des Adbustings mit überzogenen Polizeimaßnahmen zu verfolgen.

Adbusting Motive
Zur Einreichung der Verfassungsbeschwerde hängte das Dies-Irae-Kollektiv Adbusting-Plakate in Karlsruhe auf. CC-BY-SA 4.0 Dies Irae

Das Bundesverfassungsgericht hat einer Verfassungsbeschwerde gegen die Durchsuchung einer Wohnung im Zusammenhang mit einer sogenannten „Adbusting-Aktion“ (2 BvR 1749/20) entsprochen – und die Hausdurchsuchung als unangemessen und unverhältnismäßig eingestuft. Unter Adbusting versteht man das Verändern von Werbung mit satirischen oder politischen Botschaften, die oftmals den Absichten des ursprünglichen Werbers entgegenstehen.

Im konkreten Fall ging es um die Jura-Studentin Frida Henkel, die eigentlich anders heißt. Sie hatte im Mai 2019 ein Plakat der Bundeswehr verändert. Das Original-Werbemotiv hatte mit dem Slogan „Geht Dienst an der Waffe auch ohne Waffe?“ nach IT-Kräften gesucht. Die Studentin änderte den Spruch in „Kein Dienst an der Waffe geht ohne Waffe!“ – und hängte das veränderte Plakat in einen Werbekasten. Hierzu benutzte sie einen üblichen Vierkantschlüssel.

„Polizei hat mich wegen meiner politischen Haltung kriminalisiert“

Menschen bringen Plakat in einem Plakatkasten an.
Wegen dieses Plakates ordnete das Landeskriminalamt eine Hausdurchsuchung an. - Alle Rechte vorbehalten Soligruppe plakativ / Unkenntlichmachung: netzpolitik.org

Polizist:innen beobachteten die Aktion, stellten Henkel und nahmen ihre Personalien auf. Die Berliner Polizei ermittelte daraufhin gegen die Studentin wegen versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung. Das LKA sprach davon, dass die Bundeswehr „gar lächerlich“ gemacht worden sei.

Etwa ein halbes Jahr später, im September 2019, durchsuchte die Polizei drei Wohnungen wegen der Sache, darunter auch die Wohnung von Henkels Eltern. „Wenn mein Plakat nicht die Bundeswehr kritisiert, sondern nur die Bushaltestelle dekoriert hätte, wäre der Durchsuchungsbeschluss so nie ergangen. Dass die Polizei mich wegen meiner politischen Haltung kriminalisiert, kann ich nicht schweigend hinnehmen“, sagt Frida Henkel heute.

Henkel ließ die Hausdurchsuchung nicht auf sich beruhen und klagte vor dem Landgericht. Als das Landgericht die polizeiliche Maßnahme als verhältnismäßig einstufte, reichte Henkel gemeinsam mit den Rechtswissenschaftlern Prof. Mohamad El-Ghazi von der Universität Trier und Prof. Andreas Fischer-Lescano von der Universität Bremen eine Verfassungsbeschwerde ein.

Durchsuchung unverhältnismäßig

Nun hat Karlsruhe beschlossen, dass die Hausdurchsuchung unverhältnismäßig war. In der Begründung heißt es, dass die Anordnung der Durchsuchung unangemessen war, da die Schwere des Eingriffs außer Verhältnis zu dem mit ihm verfolgten Zweck stehe:

Im Rahmen einer umfassenden Gesamtabwägung, die die hohe Bedeutung der Unverletzlichkeit der Wohnung in den Blick nimmt, sprechen der allenfalls schwache Anfangsverdacht der vollendeten Sachbeschädigung, die fehlende Schwere der Taten, die geringe Wahrscheinlichkeit des Auffindens der erhofften Beweismittel und deren untergeordnete Bedeutung für das Strafverfahren gegen die Angemessenheit der Durchsuchungsanordnungen.

Das Gericht wies damit auch zurück, dass das Entfernen eines Werbeplakates einen besonders schweren Fall von Diebstahl darstelle.

Während das Gericht zwar die Durchsuchung als unverhältnismäßig einstufte, sieht es nicht die Grundrechte auf Kunst- und Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin betroffen. Genau in diesen Grundrechten hatte sich Henkel aber beeinträchtigt gefühlt, weil die Polizei mit derart harten Geschützen auffuhr. Das hatte auch der an der Beschwerde beteiligte Jurist Andreas Fischer-Lescano so gesehen: „Das Vorgehen gegen spezifische Meinungsinhalte wird von Artikel 5 Grundgesetz grundsätzlich untersagt. Es wird Zeit, dass die deutschen Sicherheitsbehörden diesen Grundsatz auch dann beherzigen, wenn es um Adbusting geht, das sich kritisch mit ihren Praxen und Imagekampagnen auseinandersetzt“, hatte er im Verfassungsblog geschrieben.

Frida Henkel wertet den Beschluss aus Karlsruhe als Erfolg. „Ich bin sehr zufrieden“, sagt sie gegenüber netzpolitik.org. Alleine dass sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Fall beschäftigt habe, sei schon wichtig gewesen. „Der Beschluss ist eine Ohrfeige für die Berliner Polizei und auch das Berliner Landgericht, er zeigt, wie lächerlich der Verfolgungsrausch der Polizei war.“ Henkel geht davon aus, dass mit dem Beschluss aus Karlsruhe die Aktionsform des Adbustings insgesamt gestärkt werde, aber auch der Polizei Grenzen gesetzt würden beim Vorgehen gegen zivilen Ungehorsam.

Auch der Jurist Mohamad El-Ghazi ist zufrieden: „Das Bundesverfassungsgericht hat der Beschwerdeführerin in allen relevanten Punkten recht gegeben und den Staat in seine Grenzen gewiesen.“ Zwar könne Adbusting strafbar sein, aber die im Raum stehenden Straftaten des versuchten Diebstahls und der Sachbeschädigung an Plakaten würden keinen so tiefen Grundrechtseingriff rechtfertigen. „Es ist gut und wichtig, dass das Bundesverfassungsgericht die Berliner Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte daran erinnert hat“, so El-Ghazi gegenüber netzpolitik.org.

Adbusting im Visier der Behörden

Adbusting gerät immer wieder ins Visier von Polizeibehörden. So nahm die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main im Jahr 2022 Ermittlungen gegen einen Aktivisten wegen „verfassungsfeindlicher Verunglimpfung“ auf. Stein des Anstoßes war ein Plakat, das den ehemaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer mit einer Augenklappe auf dem rechten Auge zeigte. Das Motiv kritisierte auf satirische Weise Seehofers Umgang mit Rassismus in polizeilichen Strukturen. Die Staatsanwaltschaft leitete die Ermittlungen eigenmächtig ein, ohne dafür vorab die erforderliche Zustimmung des betroffenen Ministers eingeholt zu haben. Nachdem der Fall öffentlich bekannt wurde, stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein.

Im Jahr 2018 stufte der Verfassungsschutz eine andere Adbusting-Aktion als „gewaltorientierten Linksextremismus“ ein. Die politische Kunstform schaffte es in den Jahren zuvor sogar bis ins Gemeinsame Extremismus- und Terrorabwehrzentrum (GETZ), wo man 2018 und 2019 vier Fälle von Adbusting auf dem Tisch hatte. Auch der Militärische Abschirmdienst (MAD), der Geheimdienst der Bundeswehr, beschäftigte sich zwischen 2015 und 2019 insgesamt 13 Mal mit Veränderungen von Bundeswehrplakaten. Ein Fall davon betraf das Peng-Kollektiv, das eine Bundeswehr-Werbung parodiert hatte.


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