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LobbyControl Gutachten: Neues Kartellrecht erlaubt Zerschlagung von Amazon

Ein Gutachten hält eine Entflechtung des Handelskonzerns für möglich und rechtlich geboten. Grund ist die jüngste Änderung des deutschen Kartellrechts. Doch dass das Bundeskartellamt zu diesem Mittel greift, ist unwahrscheinlich.

Der orangene Pfeil des Amazon-Logos, dahinter zerbrechendes Glas.
Kann das deutsche Kartellrecht Amazon zerschlagen? Ein Gutachten von LobbyControl verspricht genau das. – Public Domain Midjourney („a shattered logo of Amazon“)

Amazon zerschlagen ist keine antikapitalistische Träumerei, sondern sei nach deutschem Kartellrecht geboten. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest ein Gutachten, das die Organisation LobbyControl in Auftrag gegeben hat. Doch geht das so einfach?

Laut LobbyControl ist Amazon so mächtig geworden, dass unsere Gesellschaft von dem Konzern abhängig ist. „Ohne den größten Online-Händler und das fünftgrößte Unternehmen der Welt funktionieren tagtägliche Abläufe nicht mehr“, sagt LobbyControl. Amazon nutze diese Abhängigkeit systematisch, bestimme die Spielregeln auf seiner Plattform und verschaffe sich dadurch Vorteile.

Problematisches Geschäftsmodell

Amazon, heißt es ausführlicher in dem Gutachten, setze auf ein Geschäftsmodell, das Waren und Dienstleistungen wie etwa Video- und Musikstreaming sehr günstig und ohne direkte Gewinnabsicht anbiete. In Verbindung mit der konzerninternen Skalierung und Selbstbevorzugung bringe sich Amazon so gezielt in Stellung, um seine geschäftlichen Aktivitäten in andere Bereiche wie Logistik, Fulfillment, Webservices, etc. zu expandieren. „Diese Struktur ermöglicht und incentiviert Amazon zu unfairen Handelspraktiken wie Kampfpreisen unter Kostendeckung, übermäßiges Abgreifen strategischer Wettbewerbsdaten, Umleitung von Nachfrage auf eigene Produkte und hohen Zugangsgebühren.“

Als Lösung schlägt das Gutachten eine Zerschlagung des Internetkonzerns vor. Amazon soll in fünf verschiedene Geschäftsbereiche „entflechtet“ werden: Amazons eigener Produktvertrieb, der Marketplace als Plattform für Drittverkäufer, Amazon Web Services, Smart Home Devices wie etwa Alexa und Echo sowie die Logistik.

Das neue Werkzeug des Kartellamts

Möglich machen soll dies das deutsche Kartellrecht. Denn die Ampel hat das Bundeskartellamt mit einer Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in diesem Jahr gestärkt. Die Novelle eröffnet der Wettbewerbsbehörde neue Möglichkeiten nach einer sogenannten Sektoruntersuchung. Mit dieser prüft das Kartellamt, ob der Wettbewerb in einem ganzen Sektor eingeschränkt ist. Seit Dienstag kann die Kartellbehörde nun verschiedene Maßnahmen nach einer solchen Untersuchung anordnen.

Damit kann die Behörde „Anordnungen gegenüber Unternehmen treffen und so auf Wirtschaftszweige einwirken, in denen es den Wettbewerb für gestört hält, ohne dass betroffene Unternehmen vorwerfbar gehandelt haben müssen“, fasst das Rechtsportal Legal Tribune Online die Reform zusammen. Mit dem neuen Gesetz kann nun das Bundeskartellamt „marktbeherrschende Unternehmen sowie Unternehmen mit einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb“ zum Verkauf einzelner Unternehmensteile verpflichten.

Amazon statt Mineralölkonzerne

Anstoß für die Gesetzesänderung waren die starken Preissteigerungen bei Benzin und Diesel im vergangenen Jahr. LobbyControl sieht damit nun die Möglichkeit gegen Amazon vorzugehen. „Mit unserem Rechtsgutachten zeigen wir, dass Amazons problematische Macht mit einer Zerschlagung wirksam zurückgedrängt werden kann. Das Bundeskartellamt sollte von seinen neuen Möglichkeiten Gebrauch machen und die Macht der Techgiganten zurückdrängen“, sagt Max Bank von LobbyControl.

Auch Rupprecht Podszun, Professor für Wettbewerbsrecht an der Universität in Düsseldorf hält Amazons Macht für problematisch. „Gerade die Doppelrolle von Amazon als Betreiber der Plattform und als Händler ist ein gravierendes strukturelles Problem“, sagte Podszun gegenüber netzpolitik.org. Amazon könne nicht einerseits so tun, als würde es für Kund:innen und Händler:innen ein ehrlicher Makler sein, sich dann aber selbst Wettbewerbsvorsprünge im Onlinehandel sichern. „Diesen strukturellen Interessenskonflikt könnte man mit einer Entflechtung tatsächlich aus der Welt schaffen.“

Ultima Ratio

Der Jurist ist allerdings skeptisch, ob das Bundeskartellamt diesen Weg gehe. „Im neuen deutschen Kartellrecht ist die Entflechtung nur eine Ultima Ratio. „Dass das Bundeskartellamt sich hier als ersten Kandidaten ausgerechnet eines der mächtigen Silicon-Valley-Unternehmen aussucht, halte ich für unwahrscheinlich“, vermutet der Jurist.

Auch das Bundeskartellamt betreibt aktuell Erwartungsmanagement: Die Hürden für die im Gesetz vorgesehenen Einzelmaßnahmen seien hoch, sagt Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, in einer Pressemitteilung zur GWB-Novelle: „Die entsprechenden Verfahren werden aufwändig sein. Dies gilt in besonderem Maße für die als ultima ratio vorgesehene Entflechtung.“

Ultima Ratio bedeutet, dass das Problem nicht mit weniger schwerwiegenden Eingriffen zu lösen ist. Das mache das Verfahren bei Digitalkonzernen noch schwieriger, argumentiert das Kartellamt. Deutschland und die EU hätten in den vergangenen Jahren im Hinblick auf die großen Tech-Unternehmen und Plattformen aufeinander abgestimmte, spezifische und weitreichende Regeln eingeführt, sagt ein Sprecher des Kartellamts auf Anfrage und verweist unter anderem auf den Digital Markets Act (DMA) der EU.

Was EU und Kartellamt schon tun

Dieser wird laut Professor Podszun ab März 2024 für den Amazon Marketplace greifen. „Die Kartellbehörden werden zwar die Big Tech-Unternehmen auf dem Schirm behalten, aber vermutlich auch abwarten, wie sich der DMA auswirkt“, prognostiziert Podszun.

Bisher gibt es vom Bundeskartellamt keine Sektoruntersuchung in Bezug auf Amazon, teilt ein Sprecher gegenüber netzpolitik.org mit. Das Kartellamt hatte aber letztes Jahr bereits festgestellt, dass der Konzern eine „überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb“ hat. Gegen diese Entscheidung klagt Amazon vor dem Bundesgerichtshof. Das Bundeskartellamt prüft aktuell zudem Amazons mögliche Einflussnahme auf Händlerpreise sowie die mögliche Benachteiligung von Händlern auf dem Marketplace durch verschiedene Instrumente.


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