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Linksunten Indymedia: Die Suche nach einer verbotenen Vereinigung

Erneut gehen die Behörden gegen Linksunten Indymedia vor. Die Polizei durchsuchte fünf Personen, die angeblich das Archiv der Seite betreiben würden. Juristen vermuten einen Zusammenhang mit dem Vorgehen gegen einen freien Radiosender und bezeichnen die Durchsuchung als verzweifelte Suche nach einer Vereinigung.

Ein Fähnchen auf einem Rucksack mit Solidartitätsbekundung für Linksunten Indymedia
Nach dem Verbot von Linksunten Indymedia gab es mehrere Demonstrationen, hier in Frankfurt am Main. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Tim Wagner

Vor sechs Jahren durchsuchte das Stuttgarter Landeskriminalamt mehrere Räume in Freiburg. Das Bundesinnenministerium hatte die Plattform Indymedia Linksunten verboten und sich dabei auf die Existenz eines vermeintlichen Vereins gestützt. Seit 2020 lässt sich unter linksunten.indymedia.org wieder ein Archiv der Open-Posting-Seite aufrufen, es erscheinen jedoch keine neuen Beiträge. Nun durchsuchten Polizist:innen erneut Räume von fünf Personen, die bereits 2017 betroffen waren.

Sie stünden „im Verdacht, sich wegen der Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts dieser verbotenen Vereinigung strafbar gemacht zu haben“, heißt es in der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe und des baden-württembergischen Landeskriminalamts (LKA). Die Behörden vermuten offenbar, dass die fünf Personen die Archivseite betreiben. Laut einer Mitteilung der Autonomen Antifa Freiburg wurden etwa ein Dutzend Mobilgeräte und ein halbes Dutzend Computer beschlagnahmt.

Dass hinter Linksunten Indymedia ein Verein stecken soll, bestritten die Betroffenen immer wieder. Die Bürgerrechtsorganisation Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) bezeichnete den Fall als einen „Missbrauch des Vereinsrechts“. Das Bundesverwaltungsgericht wies Klagen der Betroffenen jedoch ab, weil der vermeintliche Verein selbst klagen müsse. Ebenso scheiterte eine Verfassungsbeschwerde, die das Bundesverfassungsgericht im März 2023 nicht zur Entscheidung annahm.

Nachrichtenbeitrag als angebliche Unterstützung einer verbotenen Vereinigung

Im Januar dieses Jahres durchsuchte die Freiburger Polizei dann überraschenderweise Räume des freien Senders Radio Dreyeckland (RDL). Ein Redakteur hatte das Linksunten-Archiv in einem Beitrag verlinkt. Er würde damit die verbotene Vereinigung unterstützen, lautete der Vorwurf. Nachdem zunächst das Landgericht Karlsruhe dem angestrebten Verfahren eine Absage erteilte, kippte das Oberlandesgericht Stuttgart dessen Beschluss wieder. Ein Redakteur des Senders soll sich nun vor Gericht verantworten.

Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft wirft auch die Frage auf, wie eine nicht mehr existierende Vereinigung unterstützt werden kann. Mit der gestrigen Durchsuchung signalisiert die Staatsanwaltschaft, dass sie der Auffassung ist, es gebe diese.

Strafrechtsanwalt Lukas Theune vertritt eine der betroffenen Personen und kritisiert das Vorgehen. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe führe ein politisch motiviertes Verfahren gegen einen Redakteur des Radio Dreyeckland, schreibt er auf Anfrage von netzpolitik.org. „Weil dort aber Voraussetzung für eine Strafbarkeit wäre, dass eine Vereinigung noch existiert, die überhaupt durch einen journalistischen Beitrag unterstützt werden könnte, versucht sie nun verzweifelt, eine solche Vereinigung zu finden.“ Gegen den Durchsuchungsbeschluss habe er für seinen Mandanten bereits gestern Beschwerde eingelegt.

Auch David Werdermann von der GFF zweifelt an der Motivation für das neuerliche Vorgehen. Die Organisation unterstützt Radio Dreyeckland in ihrem Verfahren. „Nachdem das Oberlandesgericht die Anklage gegen den RDL-Journalisten doch noch zugelassen hat, ist die Staatsanwaltschaft anscheinend verzweifelt auf der Suche nach weiteren Beweismitteln für die Fortexistenz des verbotenen Vereins“, schreibt Werdermann. „Jedoch wurde schon das Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung eingestellt, weil keine Beweise gefunden wurden. Warum sollte das jetzt anders sein?“ Man bekomme den Eindruck, „dass es der Staatsanwaltschaft vor allem darum geht, die linke Szene in Freiburg zu schikanieren“.

Auslöschung linker Bewegungsgeschichte

Werdermann weist darauf hin, dass das Archiv nicht das gleiche sei wie die frühere Seite. „Ein statisches Archiv zu Dokumentationszwecken unterscheidet sich deutlich von einem dynamischen Nachrichtenportal“, schreibt der Jurist. „Es handelt sich also nicht um eine Fortführung des verbotenen Vereins, unabhängig davon, ob dieselben Personen dahinterstecken oder nicht.“

Linksunten Indymedia war früher eine der wichtigsten Medien der deutschsprachigen Linken bis Radikalen Linken, wo Nutzer:innen anonym Beiträge publizieren konnten. Das Archiv dokumentiert daher auch eine jahrelange Geschichte linker Bewegungen: Es erschienen Demonstrations- und Aktionsaufrufe, tiefgehende Recherchen zur rechten Szene, aber auch Bekenner:innenschreiben zu militanten Anschlägen und Outings von Personen. Gegen etwaige rechtswidrige Inhalte waren die Behörden offenbar nicht im Einzelnen vorgegangen, sondern sie verboten die Plattform gleich als Ganzes. Das bemängelten schon 2017 mehrere Jurist:innen.

„Archive sind das Gedächtnis der Gesellschaft – das gilt offline wie online“, schreibt Werdermann. „Wer diese Dokumentation als ‚Fortführung einer verbotenen Vereinigung‘ kriminalisiert, will einen Teil linker Bewegungsgeschichte auslöschen.“ Bis zum Erscheinen dieses Textes war das Archiv weiter aufrufbar.


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