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Degitalisierung: Effizienz ist ein konservatives Wesen

Damit Verwaltung moderner wird, soll sie effizienter werden, heißt es oft und gerne. Damit aber ist es nicht getan. Denn Effizienz erfordert mehr Fachwissen, konserviert den Status quo und verliert die Nutzer*innen aus dem Blick.

Berge von Akten in der Verwaltung
Deutsche Verwaltung (Symbolbild) Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Wesley Tingey

Die heutige Episode von Degitalisierung leiten wir am besten mit einer total unerwarteten Headline ein: „Internetdienste deutscher Behörden schneiden international schlecht ab“. Ach. Echt? Schon wieder? Das ist die wesentliche Erkenntnis des „Digital Government Citizen Survey“ der Boston Consulting Group, die die Zufriedenheit der Bürger*innen mit digitalen Behördendiensten bewertet hat. Deutschland ist da aktuell eher so semi-gut gelegen und befindet sich laut der Studie auf dem drittletzten Platz von insgesamt 41 untersuchten Ländern.

Glücklicherweise liefert die Unternehmensberatung gleich die vermeintliche Lösung für alle Probleme der Verwaltungsdigitalisierung mit, acht konkrete Punkte um genau zu sein. Darunter so wenig überraschende Aspekte wie eine stärkere Nutzer*innen-Zentrierung für eine bessere Nutzendenerfahrung. Das kennen wir ja schon aus dem Problemfeld Digitalisierung des Gesundheitswesens.

Darüber hinaus empfehlen sie gleich mehrfach, die Effizienz der Verwaltung zu optimieren. Da sollen Potenziale „zur Effizienzsteigerung durch Automatisierung“ gehoben werden und der Einsatz sogenannter Künstlicher Intelligenz (KI) soll den Zugang zu Informationen verbessern – natürlich „unter Beachtung strenger ‚Verantwortungsvolle-KI‘-Regeln“.

Das alles klingt zunächst nachvollziehbar und könnte auch den Fachkräftemangel beheben und den drohenden Personalkollaps verhindern.

Allerdings ist das mit der Effizienz so eine Sache. Denn Effizienz ist leider ein sehr konservatives Wesen. Und das Streben allein nach Effizienz ist nicht selten der Anfang einer ganzen Kette von Problemen. Paradox eigentlich, oder?

Die Ironie der Automation

Im Jahr 1983 veröffentlichte die Kognitionspsychologin Lisanne Bainbridge eine Studie mit dem Titel „Ironies of Automation“, das auf ein gewisses Automationsparadox hinweist.

Darin heißt es:

By taking away the easy parts of [the] task, automation can make the difficult parts of the human operator’s task more difficult.

Nehmen wir an, es gibt ein System mit einem starken Automatisierungsgrad. Dann gibt es in einem Prozess am Ende zwar weniger einfache Aufgaben, die Menschen übernehmen können. Die noch verbleibenden werden dann aber umso schwieriger und benötigen unter Umständen Spezialwissen.

Das zeigt sich auch an Werkzeugen wie der Robotic Process Automation, die heute oftmals als vermeintliche Lösung gefeiert werden. Sie sind so eine Art automatisierte Clickworker-Bots, die bestimmte Tätigkeiten mit bestehenden Programmen nach einem vorher definierten Ablauf abarbeiten.

Im Verwaltungsbereich können diese Bots etwa bei veralteten, aufwändig zu bedienende Fachsoftware zum Einsatz kommen, die dazu dient, Bescheide für Sozialleistungen zu erstellen. Mit Hilfe von RPA-Tools kann diese Software, so zumindest das Versprechen, effizienter gemacht werden. Was vorher ein Mensch durchklicken musste, kann dann ein „Roboter“ im Hintergrund abarbeiten. Der ganze Prozess wird damit, trotz schlechter Softwarebasis, einfach und effizient. Das gelingt aber nur, wenn auch alles gut geht.

Fachkräftemangel³

Geht jedoch etwas schief oder muss etwas verändert werden, was bei digitalen Systemen bekanntlich stets vorkommen kann, braucht es gleich zwei oder drei Expert*innen, die in das automatisierte System anpassen.

Zunächst braucht es jemanden, der die Fehler des RPA-Systems behebt. Eine weitere Person wird dann gegebenenfalls benötigt, die das Grundsystem, das die Bescheide von Sozialleistungen erstellt, technisch versteht. Und am Ende braucht es eine dritte Person, die das Ergebnis – also zum Beispiel die Berechnungen der Bescheide – validiert. Solange diese Personen das Problem nicht gelöst haben, geht nichts mehr. Der ganze Prozess steht erstmal still. Unterm Strich wird der menschliche Eingriff in das System also insgesamt schwieriger und benötigt mehr Expertise.

Bei Systemen, die auf sogenannter KI basieren, kommt möglicherweise noch eine weitere Komplexitätsebene hinzu. Denn KI-Systeme bzw. deren Trainingsdaten und Ergebnisse sind nicht so einfach zu debuggen und deren Output wohl auch nie so vorhersehbar, wie das von „einfachen“ automatisierten Systemen.

Wenn Verwaltung nun in der Automatisierung die vorrangige Lösung sieht, sollte sie sich auch die Frage stellen, wie sie mit den neuen kritischen Abhängigkeiten von Spezialwissen und -systemen umgehen will. Schon heute ist es schwer, IT-Expertise für allgemeinere Tätigkeiten wie Systemadministration zu finden. In Zukunft wird es noch weitaus schwieriger sein, Expert*innen zu finden, die automatisierte Spezialsysteme aufrechterhalten oder neu entwickeln. Neue Lock-in-Effekte, die eine vereinfachte Betrachtung von Effizienz oftmals ignoriert.

Never run an unchangeable system

Doch RPA oder sogenannte KI-Systeme weisen noch ein weiteres Problem auf: Sie konservieren den Zustand der Ausgangssysteme beziehungsweise den Stand der Ausgangsdatenbasis, mit denen KI-Systeme meist aufwändig trainiert werden.

Aber wer wollte das schon leichtfertig ändern? Verwaltungs-IT funktioniert eher nach der Prämisse „never change a running system“ – bloß nichts anpassen, was einmal läuft. Mehr oder weniger gut laufende Systemen nicht verändern zu können oder zu wollen, ist in der Verwaltung leider zu einem Mantra geworden, das in Kombination mit dem Leitmotto „Haben wir schon immer so gemacht“ zur fast vollständigen Veränderungsstarre geführt hat.

Aufgesetzte Effizienztechnologien wie RPA oder sogenannte KI tun ihr Übriges, um tiefergehende Probleme an Systemen und Prozessen nicht angehen zu müssen. Alt-Systeme können ja – Achtung: Verwaltungsdeutsch! – „ertüchtigt“ werden. Keine medienbruchfreie Übermittlung von Antragsdaten? Egal, ertüchtigen wir mit KI, soll die doch irgendwie PDF-Dateien übersetzen.

Wie schwer sich Verwaltung mit Veränderungen tut, zeigt auch der mehr oder weniger beschränkte Erfolg, Bürokratie zu reduzieren. Die Bilanz der „One in, one out“-Regel, die vor Einführung einer neuen gesetzlichen Maßnahme eigentlich das Abschaffen an anderer Stelle vorsieht, ist in ihrer Wirkung laut Nationalem Normenkontrollrat – Achtung: Wortwitz! – nur beschränkt effizient.

Stattdessen sollte die Devise für das System Verwaltung lauten: Never run an unchangeable system.

Drucksache 9/2442

Effizienz ist per se nichts Schlechtes, nur scheint sie oftmals wichtige andere Aspekte wie Nutzer*innenzentrierung zu verdrängen.

Wer das jetzt aber für eine gänzlich neue Erkenntnis hält, dem sei die Lektüre eines Zwischenberichts der Enquete-Kommission „Neue Informations- und Kommunikationstechniken“ empfohlen, der ironischerweise aus dem Jahr 1983 stammt. Unter Drucksache 9/2442 des Deutschen Bundestages ist dort Folgendes zu lesen:

Bislang erfolgte der Einsatz der luK-Techniken in der öffentlichen Verwaltung in der Hauptsache zum Zweck der Effizienzsteigerung (Rationalisierung des Verwaltungshandelns). Andere Ziele, die sich an den Bedürfnissen und Interessen der Verwaltungsbediensteten und der Bürger sowie an einer Verbesserung der Qualität der Verwaltungsleistung insgesamt orientieren (Mitarbeiterzufriedenheit, Bürgernähe etc.), wurden zu wenig berücksichtigt.

Verwaltung ist in den vergangenen dreißig Jahren in gewisser Hinsicht effizienter geworden. Dafür sorgte unter anderem die Einführung von Faxgeräten und Personal Computern, die Abschaffung von Schreibmaschinen sowie das Aufkommen des Internets.

Allerdings sind beim Einsatz neuer Technologien andere Aspekte zu wenig berücksichtigt worden. In gewisser Weise haben wir einen effizienten Bürokratie-Automatismus geschaffen, der aber auch im Jahr 2023 noch mit den Mitteln und Methoden von 1983 agiert.

Schwer nachvollziehbare Besuche im Amt gibt es immer noch, etwa wenn in Australien der Führerschein verloren geht. Und noch immer sind auch heute noch viele Ausdrucke erforderlich und finden sich etliche Medienbrüche an jeder Ecke. Auch gibt es weiterhin hierarchische Strukturen mit vielen Regeln und Vorschriften, obschon an der ein oder anderen Stelle Menschen im Home Office sitzen und Telex und Teletex der Vergangenheit angehören. Und damals wie heute ist es – wie schon der Zwischenbericht der Enquete-Kommission  festhält – für „Außenstehende oft unüberschaubar, wo Informationen eingeholt werden können“.

Mit Effizienz allein ist es also nicht getan. Denn Effizienz für sich ist ein konservatives Wesen.


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