Facebook durchleuchtet die unverschlüsselten Messenger-Nachrichten seiner Nutzer:innen, um mögliche Missbrauchsinhalte zu entdecken. Künftig könnte dies EU-weit sogar zur Pflicht werden, selbst verschlüsselte Nachrichten wären dann nicht mehr sicher. Dagegen klagt nun die Gesellschaft für Freiheitsrechte.
Nachrichten, die unverschlüsselt im Internet verschickt werden, gelten bislang praktisch als Freiwild, ob für Werbekonzerne, Geheimdienste oder gelangweilte Netzwerk-Admins. Sie alle lesen im Zweifel mit. Zu einem guten Teil ist die Praxis sogar legal – obwohl private Nachrichten, ähnlich wie herkömmliche Telefonanrufe, eigentlich geschützt sind.
Schon seit Jahren scannen etwa Anbieter wie Microsoft oder Facebook massenhaft nicht verschlüsselte Nachrichten und Inhalte ihrer Nutzer:innen. Nicht nur die Dinge, die diese öffentlich posten, sondern auch das, was sie als vermeintlich private Nachricht an andere schicken. Sie dürfen das, um darin nach Darstellungen von Kindesmissbrauch zu suchen. Dies erlaubt eine Ausnahmeregelung von der ePrivacy-Richtlinie, die den grundrechtlich verankerten Schutz der Privatsphäre punktuell aushebelt.
Dagegen geht nun die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) mit einer Klage gegen Meta vor. Gemeinsam mit einem betroffenen Nutzer zieht die Nichtregierungsorganisation vor das Amtsgericht Passau. Zum einen geht es um den konkreten Fall: Sie wollen, dass die Kommunikation dieses einen Klägers auf Facebook künftig nicht mehr automatisch gescannt wird. Zum anderen wollen sie über den konkreten Fall hinaus gerichtlich feststellen lassen, dass das automatisierte Scannen von Nachrichten gegen geltendes Recht verstößt – nämlich die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sowie das Grundrecht, über die eigenen Daten zu bestimmen.
Überwachung ohne Anlass
Damit bringt sich die GFF in Stellung, um eines der umstrittensten netzpolitischen Vorhaben der jüngeren Vergangenheit anzugreifen. Mit der sogenannten Chatkontrolle plant die EU-Kommission nicht nur, die derzeit geltende Übergangslösung dauerhaft zu verankern. Sie will zudem Online-Dienste dazu verpflichten, nach einer Anordnung Inhalte ihrer Nutzer:innen massenhaft mitzulesen – nicht nur unverschlüsselte, sondern selbst das, was verschlüsselt verschickt wird. Dabei soll unter anderem nach Missbrauchsinhalten gesucht werden. Was bisher freiwillig geschah, würde damit zur Pflicht.
Die geplante Regelung befindet sich aktuell mitten im EU-Gesetzgebungsverfahren. Wie sich das EU-Parlament und die EU-Länder im Ministerrat zum Vorschlag der Kommission positionieren werden, ist noch nicht abschließend geklärt.
Aus Sicht der Kläger müssen sich Nutzer:innen darauf verlassen können, dass private Kommunikation vertraulich bleibt. Das ist gegenwärtig nicht gegeben, sagt Jürgen Bering, Verfahrenskoordinator und Jurist bei der GFF: „Wenigen Personen ist bewusst, dass ihre Kommunikation über Messenger bereits jetzt überwacht werden kann, ohne dass sie dazu Anlass gegeben haben.“ Gerade über die Chatfunktion sozialer Netzwerke würden wir schnell unsere intimsten Gedanken teilen, so Bering: „Sie müssen vor den Blicken Dritter sicher sein.“
Diese Lücke muss geschlossen werden, fordert die GFF. So sei etwa der Kläger, dessen Identität geheim bleibt, Betroffener von sexualisierter Gewalt. „Ich hatte gehofft, dass Facebook für mich ein Ort ist, an dem ich mich mit Menschen austauschen kann, die Ähnliches erlebt haben wie ich“, sagt er. „Aber wie soll das gehen, wenn private Nachrichten jederzeit mitgelesen werden?“
„In einem Rechtsstaat nicht hinnehmbar“
Bizarrerweise könnten solche Chats sogar die Wahrscheinlichkeit steigern, ins Visier von Behörden zu geraten. Denn die automatisierte Auswertung von Inhalten ist derzeit weit davon entfernt, zuverlässig zu funktionieren. Selbst eine anschließende Kontrolle durch Menschen würde bestenfalls strafrechtliche Ermittlungen verhindern, nicht aber die bereits erfolgte Verletzung der Privatsphäre. Das gilt auch in Fällen, wenn das System einvernehmlich geteilte Nacktaufnahmen fehlerhaft einordnet.
Betroffen sind aber auch Berufsgeheimnisträger:innen wie Anwält:innen. „Mit der geplanten Verordnung würde das Mandatsgeheimnis in vielen Bereichen aufgehoben“, sagen die Jurist:innen David Albrecht und Lisa Engelbrecht, die den Kläger vor Gericht vertreten. Wenn etwa per E-Mail oder über Cloud-Server übermittelte Daten nach vermeintlich verdächtigen Inhalten durchsucht werden, sei insbesondere für Betroffene von Missbrauch und beschuldigte Personen eine vertrauliche Kommunikation mit ihren Rechtsbeiständen nicht mehr möglich. „Das ist in einem Rechtsstaat nicht hinnehmbar“, monieren die Jurist:innen.
Ohnehin tobt schon seit Monaten ein heftiger Streit darum, ob die EU-Verordnung überhaupt mit geltendem Recht vereinbar wäre. Schwere Bedenken äußerten unter anderem der Juristische Dienst des EU-Ministerrats, die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags oder europäische Datenschützer:innen. Sie alle gehen mehr oder weniger davon aus, dass ein solches Gesetz vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) scheitern dürfte. Ein Stück dazu beitragen könnte auch die strategische Klage der GFF.
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