Ticker

6/recent/ticker-posts

Ad Code

Responsive Advertisement

Absurdes Interview: Der billige Trick des Philipp da Cunha – und was Medien daraus lernen müssen

Vier Minuten lang weicht Philipp da Cunha einer simplen Frage aus. Das Interview geht viral. Dabei ist das Verhalten des SPD-Manns schnöder Alltag in der politischen Kommunikation. Die Mechanismen des linearen Rundfunks machen es möglich – und müssen sich ändern. Ein Kommentar.

SPD-Politiker da Cunha beim Interview
SPD-Politiker da Cunha beim Interview – Alle Rechte vorbehalten NDR MV

Ein Reporter stellt immer wieder die gleiche Frage, ein Politiker gibt immer wieder die gleiche, ausweichende Antwort. So etwas hat man schon öfter gesehen, nicht aber in epischer Länge von knapp vier Minuten.

Seit gestern macht ein Video die Runde, in dem der SPD-Landespolitiker Philipp da Cunha wie in einer Zeitschleife gefangen ist: Er sagt immer wieder das gleiche. Ein NDR-Reporter möchte von ihm wissen, wie hoch die Miete für ein Hotel gewesen ist, das die SPD in Mecklenburg-Vorpommern für ein Bürgerform angemietet hat. Das will da Cunha ganz offensichtlich nicht vor der Kamera verraten. Das Hotel gehört dem Partner der Vize-Vorsitzenden der SPD-Fraktion, der Vorwurf der Vetternwirtschaft steht im Raum.

Nachrichtenmedien nannten das Gespräch „Gaga-Interview“ (T-Online), in sozialen Medien wurde der Ausschnitt oft geteilt. Viele Menschen echauffieren sich über diese Art der politischen Kommunikation, über die Phrasen, die Unehrlichkeit und fehlende Glaubwürdigkeit.

In diesem Fenster soll ein YouTube-Video wiedergegeben werden. Hierbei fließen personenbezogene Daten von Dir an YouTube. Wir verhindern mit dem WordPress-Plugin „Embed Privacy“ einen Datenabfluss an YouTube solange, bis ein aktiver Klick auf diesen Hinweis erfolgt. Technisch gesehen wird das Video von YouTube erst nach dem Klick eingebunden. YouTube betrachtet Deinen Klick als Einwilligung, dass das Unternehmen auf dem von Dir verwendeten Endgerät Cookies setzt und andere Tracking-Technologien anwendet, die auch einer Analyse des Nutzungsverhaltens zu Marktforschungs- und Marketing-Zwecken dienen.

Zur Datenschutzerklärung von YouTube/Google

Zur Datenschutzerklärung von netzpolitik.org

Bei der Botschaft bleiben

Was allerdings in der Debatte untergeht: Das Vorgehen von da Cunha ist nichts Besonderes. Es wird in Medientrainings unter dem Motto „Stay on the message“ so gelehrt. Grund dafür sind die Mechanismen, die vor allem das lineare Fernsehen geprägt hat. Demnach haben Interviewte in der Regel nur ein Zeitfenster von etwa 15 Sekunden, um ihre Kernbotschaft unterzubringen. Weichen sie von ihrem Text ab, werden sie ihre Kernbotschaft nicht platzieren können. Äußern sie dagegen auf Biegen und Brechen ihre gewünschte Botschaft, dann werden die Medien diese Botschaft in der Regel übernehmen.

Insbesondere bei potentiell skandalösen Themen versuchen Politiker:innen deshalb – egal, welche Frage gestellt wird – die vorbereitete, gewünschte Botschaft loszuwerden.

Das Problem ist also weniger, dass der SPD-Politiker da Cunha in diesem einen Video ausweichend antwortet. Das Problem ist vielmehr, dass so etwas ständig passiert, ohne dass wir es mitbekommen. In der Regel landen solche knappen Statements wie selbstverständlich in den Nachrichten, oft ohne die ursprüngliche Fragen der Reporter:innen. Wir Rezipient:innen merken nicht, ob das Statement nur eine ausweichende Antwort war; eine möglicherweise irreführende Botschaft, die jemand genau so platzieren wollte.

Deswegen liegt der Münchener Merkur auch falsch, wenn er von einem „wirren Interview“ spricht. Das Interview ist nicht wirr, es ist alltäglich. Die breite Öffentlichkeit ist es nur nicht gewohnt, die Umstände eines Statements so transparent nachvollziehen zu können.

Redaktionen verwerten, was sie haben

Die ausweichenden Antworten des Politikers sind nicht direkt nach der Veröffentlichung viral gegangen. Zunächst hatte der NDR in einem Beitrag vom 3. Juli gezeigt, wie da Cunha selbst auf mehrfache Nachfragen ausweichend antwortet. In der Mediathek ist aber nur ein kürzerer Ausschnitt des Interviews zu sehen. Eine deutlich längere Version ist spätestens am 6. Juli an die Öffentlichkeit gelangt. Viral ging das Video nach einem Tweet des Autors Marc Friedrich. Wir wollten wissen, ob der NDR selbst die längere Version des Interviews veröffentlicht hat oder jemand anderes. Auf eine kurzfristige Presseanfrage von netzpolitik.org hat der Sender bislang nicht geantwortet.

Das beharrliche Wiederholen einer vorher überlegten Botschaft ist als Strategie weit verbreitet, nicht nur in der Politik. Welche absurden Gespräche dabei entstehen können, legt das knapp vier Minuten lange Video schonungslos offen. Zehn Mal will der Reporter wissen, wie viel das fraglich Hotel denn gekostet habe. Jedes Mal spult da Cunha völlig schmerzbefreit seine Botschaft ab, ohne die eigentliche Frage zu beantworten.

Mit dieser Strategie lassen sich die Mechanismen von Nachrichtenmedien allzu oft erfolgreich hacken, vor allem im linearen Radio und Fernsehen mit ihren streng formalisierten Nachrichtensendungen. Journalist:innen bezeichnen solche Statements als O-Töne. Und in der Ausbildung lernen sie schnell, dass zu lange O-Töne radikal gekürzt werden. Eine wichtige Person hat ausweichend geantwortet? Verwertbar ist nur dieses eine Statement? Egal, für einen 60-Sekunden-Beitrag inklusive Moderation müssen Redaktionen eben verwerten, was sie haben.

Mehr davon!

Im Internet können Journalist:innen solche Tricks viel eher entlarven und für ein breites Publikum transparent machen. Anders als in linearen Formaten gibt es im Netz viel mehr Möglichkeiten, auch mal ungeschnittene Passagen aus brenzligen Interviews zu veröffentlichen.

Es ist ein typischer Reflex von Journalist:innen, Aufnahmen zu verwerfen, wenn ein Interviewgast scheinbar nichts Brauchbares gesagt hat. In einigen Fällen kann aber genau das die Nachricht sein. Es sollten deshalb mehr Videos wie das mit da Cunha öffentlich werden. Wer vor laufender Kamera mit billigen Tricks davonkommen möchte, der sollte erst Recht kritische Aufmerksamkeit bekommen. Auf Dauer könnte das sogar die Art verändern, wie sich Politiker:innen öffentlich äußern.


Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.

Enregistrer un commentaire

0 Commentaires