Das Landgericht Karlsruhe hat Staatsanwaltschaft und Amtsgericht wegen der umstrittenen Razzien und Ermittlungen gegen den freien Sender „Radio Dreyeckland“ zurückgepfiffen. Der Sender hatte in einem Artikel auf die Archivseite des verbotenen Portals indymedia.linksunten verlinkt. Das Gericht sieht solche Verlinkungen als Teil der journalistischen Aufgaben.
Das Landgericht Karlsruhe hat gestern entschieden, die Anklage gegen einen Redakteur des Senders Radio Dreyeckland (RDL) nicht zuzulassen. Die Staatsanwaltschaft hatte dem Redakteur vorgeworfen, in einem Artikel des Radiosenders auf die Archivseite der verbotenen Plattform linksunten.indymedia.org verlinkt und damit eine verbotene Organisation unterstützt zu haben. Im Zuge der Ermittlungen gab es viel kritisierte Razzien in den Redaktionsräumen und bei zwei Redakteuren, bei denen auch Computer mit umfangreicher redaktioneller Kommunikation beschlagnahmt wurden.
Das Landgericht hat nun in einem laut der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) „wegweisenden Beschluss“ verkündet, dass die Verlinkung Teil der journalistischen Aufgaben und daher keine strafbare Unterstützung einer verbotenen Vereinigung sei. Damit stehe laut der Bürgerrechtsorganisation auch fest, dass die im Januar angeordneten Durchsuchungen von Wohnungen und Redaktionsräumen rechtswidrig waren. Das Landgericht ordnete außerdem wegen der hohen Bedeutung für das Redaktionsgeheimnis und den Informant:innenschutz an, dass die Polizei die angefertigten Kopien der ursprünglich beschlagnahmten Datenträger löschen muss.
Die GFF unterstützt den betroffenen Redakteur juristisch – und hatte auch eine Beschwerde beim Landgericht eingereicht, die allerdings noch nicht entschieden ist. Offen bleiben vorerst noch Beschwerden eines weiteren RDL-Mitarbeiters sowie von RDL gegen die Durchsuchung der Privaträume der Journalisten sowie der Redaktionsräume und der Beschlagnahme von Arbeitsmitteln und Speichermedien.
Wichtiges Signal für Pressefreiheit
Dennoch scheint das aktuelle Urteil klar die Richtung vorzugeben. „Die Entscheidung ist ein wichtiges Signal für freie und kritische Presseberichterstattung in ganz Deutschland. Das Gericht begründet ausführlich, dass vage Strafnormen mit Blick auf die Presse- und Rundfunkfreiheit einschränkend ausgelegt werden müssen“, sagt David Werdermann, Jurist und Verfahrenskoordinator bei der GFF. Der Beschluss sei wegweisend. „Er stellt klar, dass Verlinkungen zum geschützten Bereich der freien Berichterstattung gehören und Medien für die verlinkten Inhalte nicht ohne Weiteres strafrechtlich belangt werden können.“
„Der Staatsanwaltschaft und dem Freiburger Staatsschutz muss klar gewesen sein, dass sie sich juristisch auf äußerst dünnem Eis bewegen. Es ging ihnen offensichtlich von Anfang an um Einschüchterung und Ausforschung eines kritischen linken Mediums“, erklärt Andreas Reimann, dessen Privatwohnung wegen seiner Funktion als Verantwortlicher im Sinne des Presserechts ebenfalls durchsucht wurde, in einem Bericht des Senders.
Hintergrund der Razzien und Ermittlungen war, dass RDL im Juli 2022 über das Verbot von linksunten.indymedia.org 2017 durch das Bundesinnenministerium berichtet hatte. Dabei verlinkte der Sender auf die Archivseite des verbotenen Portals. Die zuständige Staatsanwaltschaft Karlsruhe warf dem freien Radiosender nicht bloß vor, dieses Archiv verlinkt zu haben, sondern mit der dazugehörigen Nachrichtenmeldung auch eine Straftat nach Paragraf 85 begangen und damit gegen ein Vereinigungsverbot verstoßen zu haben – und ordnete die Durchsuchung der Redaktionsräume sowie der Wohnungen zweier Redakteure an. Bei der Razzia beschlagnahmte die Polizei mehrere Laptops und versuchte sogar an die IP-Adressen der Menschen heranzukommen, welche die Website des Senders besucht hatten.
Mit der heutigen Entscheidung sei klar, dass dieses Vorgehen einen rechtswidrigen Eingriff in die Presse- und Rundfunkfreiheit darstelle, sagt die GFF. Journalist:innen machten sich in der Regel nicht strafbar, wenn sie im Rahmen der Berichterstattung auf rechtlich umstrittene Websites verlinken würden. Das Landgericht ziehe zudem in Zweifel, ob der verbotene Verein linksunten.indymedia überhaupt noch existiert. Ein nicht mehr existenter Verein könne auch nicht unterstützt werden.
Schon Verbot von indymedia.linksunten war umstritten
Linksunten Indymedia war bis zum Verbot im Jahr 2017 ein wichtiges Informationsportal für Teile der linken Szene und eine Plattform für unter anderem Demonstrationsaufrufe und Bekennerschreiben. Das Innenministerium stufte die Site damals allerdings nicht als Medium ein, sondern als Verein, um sie daraufhin mithilfe des Vereinsgesetzes zu verbieten. Schon damals verurteilte das etwa „Reporter ohne Grenzen“ als Angriff auf die Pressefreiheit. Vergangenes Jahr wurden Ermittlungsverfahren gegen Linksunten Indymedia eingestellt; das heißt, der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung ist viele Jahre später geplatzt. Ob das Verbot von linksunten.indymedia die Pressefreiheit verletzt, wurde gerichtlich nie überprüft. Darauf bezogene Klagen vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie eine Verfassungsbeschwerde wurden aus formalen Gründen abgewiesen.
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