Ticker

6/recent/ticker-posts

Ad Code

Responsive Advertisement

Cory Doctorow: Zwei Prinzipien für ein besseres Internet

Plattformregulierung ist oftmals komplex und schwierig. Der US-amerikanische Schriftsteller und Blogger Cory Doctorow hat vor dem Hintergrund der amerikanischen Debatte zwei Prinzipien formuliert, die aus seiner Sicht der Schlüssel für ein besseres Internet sind. Sie sind auch für die hiesige Debatte interessant.

Netzwerk aus Fäden
Bei Einhaltung der Prinzipien haben die Nutzer:innen die Wahl zu welcher Plattform sie gehen. (Symbolbild) Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Omar Flores

Der Blogger, Journalist und Science-Fiction-Autor Cory Doctorow hat in einem Blogpost bei der Electronic Frontier Foundation zwei Prinzipien aufgestellt, die bei der Regulierung von Plattformen berücksichtigt werden sollten. Sie sollen dazu beitragen, den Nutzer:innen ihre Macht zurückzugeben. Doctorow schlägt zum einen vor, das Prinzip „Ende-zu-Ende“ vom Internet auf Plattformen zu übertragen. Zum anderen sollen Menschen bei Plattformen aussteigen und ihre Daten auf andere Plattformen umziehen können.

Die Betreiber der Plattformen wollen, so Doctorow, vor allem eines: Geld an ihren Nutzer:innen verdienen. Sie machten ihren Nutzer:innen daher am Anfang ein verlockendes Angebot, das sie dann schrittweise zurückdrehen oder gar umkehren würden. Dies geschehe unter anderem durch Ausspionieren, durch Ausbremsen von Inhalten mit Hilfe von Algorithmen und durch eine Veränderung der Inhalte, die Nutzer:innen angezeigt werden. Betroffen seien sowohl Privat- als auch auf Geschäftskunden.

Wirksam schützen könnten sich die Nutzer:innen gegen solche Methoden nur dadurch, dass sie die Kontrolle über ihr digitales Leben erhielten, so Doctorow. Dafür brauche es aber nicht Spezialregeln für jede einzelne Plattform. Stattdessen müssten laut Doctorow übergeordnete Prinzipien angewandt werden, da dies leichter umzusetzen seien.

Doctorow, der den Artikel mit Blick auf die Regulierung in den USA geschrieben hat, schlägt vor, dass die Prinzipien behutsam in die Gesetzgebung einfließen oder aber zunächst auf freiwilliger Basis implementiert werden.

In Blogbeitrag heißt es zum 1. Prinzip:

Prinzip 1: Von Anfang bis Ende – geneigte Hörer:innen mit geneigten Sprecher:innen verbinden

Das Ende-zu-Ende-Prinzip ist ein Grundgedanke des Internets, der besagt, dass die Aufgabe eines Netzes darin besteht, Daten von bereitwilligen Sender:innen zu bereitwilligen Empfänger:innen zuverlässig zu übertragen. Diese Idee hat im Laufe der Jahrzehnte, seit sie 1981 formalisiert wurde, viele Gestalten angenommen. Ein bekanntes Beispiel ist die Idee der Netzneutralität, die besagt, dass euer Internetdienstanbieter die von euch angeforderten Daten so schnell und zuverlässig wie möglich an euch übermitteln sollte. Ein neutraler Internetdienstanbieter verwendet dazu beispielsweise die gleiche „Best-Effort“-Methode, um die von euch angeforderten Videos zu liefern. Ein nicht-neutraler Internetdienstanbieter verwendet diese Methode hingegen nur für die Videos des eigenen Streamingdienstes, während er die Videos der Konkurrenz verlangsamt.

Ihr habt euch bei eurem Internetdienstanbieter angemeldet, um die von euch gewünschten Inhalte und Verbindungen zu erhalten – und nicht jene, die sich die Investoren des Internetdienstanbieters von euch gewünscht hätten.

Wir sind der Meinung, dass eine Version des Ende-zu-Ende-Prinzips auch in der „Diensteschicht“ des Internets eine Rolle spielen sollte, sei es in den sozialen Medien, bei der Suche, im elektronischen Handel oder bei der E-Mail. Im Folgenden einige Beispiele:

  • Soziale Medien: Wenn ihr den Feed einer Person abonniert, solltet ihr sehen, was diese Person postet. […] Empfehlungssysteme haben ihre Berechtigung. Aber Nutzer:innen sozialer Medien sollten immer die Aktualisierungen sehen können, die von den Personen gepostet werden, die ihnen wichtig genug sind, um ihnen zu folgen, ohne sich vorher durch Beiträge von Personen durcharbeiten müssen, die die Plattform fördern will (oder für die sie bezahlt wird).
  • Suche: Wenn eine Suchmaschine eine exakte Übereinstimmung für die gesuchte Sache hat – zum Beispiel ein verifiziertes lokales Händlerverzeichnis oder ein einzelnes Dokument mit dem exakten Titel, den ihr sucht, oder eine Website, deren Name mit eurem Suchbegriff übereinstimmt –, dann sollte dieses Ergebnis ganz oben auf dem Ergebnisbildschirm erscheinen. Oben stehen sollten hingegen nicht gleich mehrere Anzeigen ähnlicher Unternehmen oder – noch schlimmer – betrügerische Websites, die vorgeben, ähnliche Unternehmen zu repräsentieren und die für diese Position auf der Seite bezahlen.
  • Online-Shops: Wenn eine E-Commerce-Plattform eine exakte Übereinstimmung mit dem von euch gesuchten Produkt hat – entweder nach dem Namen oder nach der Teil-/Modellnummer –, sollte dieses Ergebnis das oberste Ergebnis für eure Suche sein. Und zwar noch vor den eigenen gleichwertigen Produkten der Plattform oder „gesponserten“ Ergebnissen für ähnliche Produkte.
  • E-Mail: Wenn ihr einen Absender als vertrauenswürdig markiert, sollte dessen E-Mail niemals in einem Spam-Ordner landen. (Allerdings ist es in Ordnung, Warnungen über bösartige Anhänge oder Links zu Nachrichten hinzuzufügen, die von Scannern markiert wurden.) Es sollte einfach möglich sein, einen Absender als vertrauenswürdig zu markieren. Absender in eurem Adressbuch sollten automatisch als vertrauenswürdig eingestuft werden.

Neben diesem Ende-zu-Ende-Prinzip formuliert Doctorow ein „Recht auf Ausstieg“ bei einer Plattform:

Prinzip 2: Recht auf Ausstieg – schlechte Plattformen als Schaden behandeln und sie umgehen

Viele Menschen mögen die großen Plattformen nicht. Sie haben aber das Gefühl, dass sie sie nicht verlassen können. Die Nutzer:innen sozialer Medien sind aufgrund des „Problems des kollektiven Handelns“ gefangen. Sie müssten demnach alle ihre Freunde davon überzeugen, die Plattform zu verlassen, und sich zudem darauf einigen, wohin sie gehen sollen. Künstler:innen und Kulturschaffende sind gefangen, weil ihr Publikum ihnen nicht auf neue Plattformen folgen kann, ohne die Medien zu verlieren, für die sie bezahlt haben. (Und das Publikum kann nicht gehen, weil die Künstler:innen, die sie mögen, auf den Plattformen festsitzen).

Eine erleichterte Abwanderung von Plattformnutzer:innen hätte zwei wichtige Auswirkungen: Sie diszipliniert zum einen die Plattformbetreiber […], weil diese wissen, dass eine Verschlechterung ihrer Plattformen einen Massenexodus von Nutzer:innen auslösen wird. Sie könnten die Plattform verlassen, ohne einen hohen Preis dafür zu zahlen. Auslöser für einen solchen Massenexodus sind zum Beispiel das Zulassen von Belästigung und Betrug sowie verstärkte Überwachung, höhere Preise und invasive Werbung.

Genauso wichtig: Wenn Plattformen durch diese Drohung nicht diszipliniert werden, können die Nutzer diese Plattform als schädlich betrachten und meiden. Das ist der Teil des freien Marktes, den diese Unternehmen immer wieder versuchen zu vergessen: Die Verbraucher:innen sollen mit den Füßen abstimmen können. Aber wenn man den Kontakt zu seinen Freund:innen und seiner Familie verliert, wenn man einen schlechten Dienst verlässt, kann man sich nicht wirklich für die bessere Option entscheiden.

Und ist das Wechseln von Plattformen einfach möglich, dann ergibt sich daraus eine Welt, in der Tüftler:innen, Genossenschaften und Start-ups einen Grund haben, Alternativen zu entwickeln, zu denen die Nutzer:innen wechseln können.

  • Soziale Medien: “Interoperable“ Social-Media-Plattformen sind miteinander verbunden. Sie ermöglichen es den Nutzer:innen, Nachrichten auszutauschen und an Communities aus „föderierten“ Servern teilzunehmen, die jeweils ihr eigenes Management, Geschäftsmodell und ihre eigenen Richtlinien haben. Dienste, die auf dem offenen ActivityPub-Dienst basieren (wie Mastodon), sind so konzipiert, dass sie den Wechsel leicht machen. […] Bestehende Datenschutzgesetze wie das CCPA und die DSGVO verpflichten Online-Diensteanbieter bereits, Ihre Daten auf Anfrage herauszugeben. Diese sollten auch all jene Dateien enthalten, die für den Wechsel von einem Server zum anderen benötigt werden. Die Regulierungsbehörden, die die Moderationspraktiken der großen Social-Media-Plattformen verbessern wollen, sollten auch das Recht der Plattformnutzer auf Ausstieg sichern. Gewiss, wir sollten die großen Plattformen besser machen, aber wir sollten es auch einfacher machen, diese zu verlassen.
  • DRM-gesperrte Medien: Die meisten Medien, die in Online-Shops verkauft werden, sind mit einer Technologie zur Verwaltung digitaler Rechte („Digital Rights Management“) ausgestattet. Sie verhindert, dass die Käufer die Medien mit nicht autorisierten Tools abspielen können. Das bindet das Publikum an Plattformen. Denn wenn sich Nutzer:innen von einer Plattform trennen, werden die gekauften Medien für sie nutzlos. Es bindet zudem ausübende Künstler:innen und Urheber:innen an diese Plattformen. Auch sie können nicht zur Konkurrenz wechseln, die sie besser behandelt und ihnen mehr zahlt, weil ihr Publikum ihnen nicht folgen kann, ohne dass sie ihre früheren Käufe verliert. Auf Medien angewandt, würde das „Ausstiegsrecht“ die Plattformen dazu verpflichten, die Kommunikation zwischen Käufer:innen und Medienschaffenden zu erleichtern. Ein Urheber, der zu einer konkurrierenden Plattform wechselt, könnte diese Möglichkeit nutzen, um allen Käufer:innen seiner Werke Download-Codes für eine neue Plattform zukommen zu lassen, die von der alten Plattform an die Kunden des Urhebers weitergeleitet würden. Ebenso könnten Kund:innen, die zu einem anderen Shop gewechselt haben, über die Plattform Nachrichten an die Urheber senden und um Download-Codes für den neuen Dienst bitten.

Doctorow hält die beiden Prinzipien nicht nur für einfach überprüfbar, sondern auch für kostengünstig für alle, die neu in den Markt eintreten. Sie würden im Gegensatz zu anderen Formen der Regulierung – wie etwa ein kostenintensiver Uploadfilter – nicht Big Tech fördern und Neueinsteiger ausbremsen. Gleichzeitig seien die Prinzipen auch für die großen bestehenden Plattformen einfach einzuführen, da die Technologie vorhanden und ohne großen Aufwand zu implementieren sei.

Der Verfall der Plattformen sei das Ergebnis von Unternehmen, die weder durch Wettbewerb noch durch Regulierung diszipliniert sind und daher ihre Nutzer:innen und Geschäftskunden missbrauchen können – ohne sich vor Abwanderung oder Bestrafung sorgen zu müssen. Nach Meinung von Doctorow könnte die Schaffung von Richtlinien, die Plattformnutzer:innen eine faire Chance und die Möglichkeit einräumt, die Plattform zu verlassen, ein Schlüssel für ein besseres Internet sein.


Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.

Enregistrer un commentaire

0 Commentaires