In Ungarn, Polen und Spanien bespitzelte der Staat Abgeordnete und Journalist:innen mit dem Staatstrojaner Pegasus. Bislang hat das keine Konsequenzen. Nun bereitet Brüssel mögliche rechtliche Schritte vor.
Im Juli 2021 platzt eine Meldung in das Sommerloch. Ein internationale Recherche enthüllt eine Liste von 50.000 Telefonnummern, die im Visier des Staatstrojaners Pegasus gestanden haben sollen. Demnach hat das EU-Land Ungarn mit dem Trojaner Journalist:innen und Oppositionelle bespitzelt. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen nennt das „komplett inakzeptabel“.
Seither folgen immer weitere Enthüllungen. Inzwischen ist bekannt, dass auch die Regierungen in Polen und Spanien Pegasus gegen Oppositionspolitiker:innen eingesetzt haben sollen. In Griechenland überwachte der Geheimdienst Journalist:innen und Abgeordnete mit Predator, einem anderen Trojaner. Auch die EU-Kommission wurde Opfer von Pegasus.
Die staatlichen Übergriffe sorgen für Empörung, das EU-Parlament richtet einen eigenen Untersuchungsausschuss ein. Die EU-Kommission legt einen Gesetzesvorschlag vor, der Presse und Zivilgesellschaft vor Hacking schützen soll. Doch für Regierungen, die Trojaner einsetzen, gibt es bislang keine Konsequenzen.
Das könnte sich ändern. Die Kommission prüft derzeit Klagen gegen Staaten, die Staatstrojaner EU-rechtswidrig einsetzen. Als Teil ihrer Untersuchung hat die Brüsseler Behörde im Dezember einen Brief an alle Mitgliedsländer verschickt.
Die Kommission stellt erstmal nur Fragen
Das Schreiben, das wir durch eine Informationsfreiheitsanfrage erhielten und im Volltext veröffentlichen, enthält Fragen zum Einsatz von „Spyware“. Die Kommission will wissen, auf welcher rechtlichen Grundlage überwacht wird und welche Maßnahmen zum Grundrechtsschutz getroffen wurden. Auch bittet die Kommission um Listen aller nationalen Behörden, die Trojaner einsetzen oder ihren Einsatz anordnen dürfen.
Die Antworten fließen in eine rechtliche Analyse ein. Ist diese fertig, entscheidet die Kommission auf ihrer Grundlage über mögliche Klagen. Voraussetzung dafür ist, dass durch die Überwachung europäisches Recht verletzt wurde, etwa die Datenschutzgrundverordnung. Denn nur dann kann die Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof Klagen einbringen.
Das Gericht kann dem Staat dann gegebenenfalls anordnen, den rechtswidrigen Zustand zu beheben. Weigert sich der Staat, kann die Kommission nochmals klagen und vor Gericht Strafzahlungen durchsetzen.
Einige Staaten haben auch zwei Monate nach Abgabefrist den Fragebogen der Kommission noch nicht beantwortet. Dabei handelt es sich um Ungarn, aber auch Dänemark, die Niederlande und Deutschland, sagte ein Kommissionssprecher gegenüber netzpolitik.org. Auch Deutschland nutzt den Staatstrojaner Pegasus, gibt sich dazu aber schweigsam.
Die Kommission hat sich für ihre Untersuchung ohnehin kein fixes Enddatum gesetzt. „Wir werden uns so viel Zeit wie nötig nehmen.“
Seit fast zwei Jahren nur „zaghafte Ermahnungen“
Versuche in einzelnen EU-Ländern, rechtlich gegen die Pegasus-Überwachung vorzugehen, sind bislang ins Leere gelaufen. In Ungarn entschied die Datenschutzbehörde, die Verwendung des Staatstrojaners sei zum Schutze der nationalen Sicherheit passiert und rechtens gewesen. In Polen haben die Regierungspartei PiS und ihre Verbündeten im Justizsystem ein gerichtliches Vorgehen gegen die systematische Überwachung weitgehend verhindert. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht der EU-Abgeordneten Sophie in ’t Veld.
In ’t Veld hat die EU-Kommission bereits im November aufgefordert, endlich auf die Enthüllungen zu reagieren. Es scheine so, als habe die EU-Behörde außer „zaghaften Ermahnungen“ wenig anzubieten. Ungarn und Polen berufen sich bei ihren Überwachungsmaßnahmen auf den Schutz der „inneren Sicherheit“, so die niederländische Abgeordnete. Doch dies dürfe nicht als „unbegrenzte Ausnahmeregelung von den europäischen Gesetzen und Verträgen interpretiert werden und zu einem Bereich der Gesetzlosigkeit werden.“
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