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Umstrittene EU-Verordnung: Der Chatkontrolle endlich alle Giftzähne ziehen

Die Durchsuchung von Inhalten auf verschlüsselten Messengern wie WhatsApp ist in der Bundesregierung endlich vom Tisch. Doch weiterhin drohen mit der EU-Verordnung Netzsperren, Mailkontrolle und die Überwachung von privaten Cloudspeichern. Dagegen muss die Bundesregierung sich jetzt klar positionieren. Ein Kommentar.

Giftextraktion einer Gabun-Viper. Schlange beißt in Folie auf Glas.
Im politischen Feld läuft die Giftextraktion etwas anders als bei einer Gabun-Viper. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / imagebroker

Die heutige Anhörung zur Chatkontrolle im Bundestag hat gezeigt: Es gibt keine seriösen Expert:innen mehr, die an einer anlasslosen Durchsuchung von Inhalten mittels Client-Side-Scanning festhalten. Nicht einmal der Union ist es gelungen, jemanden zu finden, der sich für diese Überwachung von Messengern wie WhatsApp oder Signal vor der Verschlüsselung ausspricht. Die Einmütigkeit aller Sachverständigen vom Internet-Ermittler bis zum Kinderschutzbund gegen die Chatkontrolle hat das eindrucksvoll gezeigt.

Doch die geplante EU-Verordnung, die vermeintlich Kinder schützen soll, ist weit mehr als nur diese Chatkontrolle mit Client-Side-Scanning. Tatsächlich könnte die SPD sich jetzt hinstellen und sagen: „Seht her, wir haben die Chatkontrolle verhindert und Bürgerrechte gerettet, alles wird gut.“ Doch noch ist gar nichts gut. Wie das von netzpolitik.org veröffentlichte Positionspapier des Bundesinnenministeriums (BMI) zeigt, will das von der Sozialdemokratin Nancy Faeser geführte Haus an vielen umstrittenen Maßnahmen der EU-Verordnung festhalten – gegen den Willen der Koalitionspartner und gegen den Koalitionsvertrag.

Faeser will weiterhin Mail- und Cloudkontrolle

So will das BMI weiterhin unverschlüsselte E-Mails und Messenger durchsuchen und damit anlasslos die private Kommunikation all derer durchsuchen, die keine Verschlüsselung benutzen oder benutzen können. Außerdem will das Ministerium weiter ohne Verdacht auf privaten Cloudspeichern herumschnüffeln, auch wenn die Menschen dort nur ihr Handy-Backup oder ihre Hochzeitsbilder ablegen. Als würde die Privatheit der Daten erlöschen, nur weil die Festplatte im Internet steht.

Das BMI will weiterhin mit unausgereifter Technik und Horror-Fehlerquoten nach neuem, bislang unbekannten Missbrauchsmaterial suchen, obwohl dadurch nach Aussagen von Experten Millionen unbescholtener Bürger:innen unschuldig Verdacht geraten und Ermittlungsbehörden überlastet werden können.

Faesers Ministerium stellt sich außerdem nicht komplett gegen die geplante Altersverifikation der Verordnung, welche mit einer Ausweispflicht die Anonymität im Internet und Open Source Software gefährdet. Und obendrein hat sich die Bundesregierung noch nicht gegen die in der Verordnung geplanten Netz-Sperren positioniert, obwohl das Modell von Löschen statt Sperren seit Jahren ein großer Erfolg ist.

Endlich alle Giftzähne ziehen

Es gibt also noch viel zu tun. Zuerst muss die Bundesregierung sich endlich dafür entscheiden, dass sie den Koalitionsvertrag vollständig einhält und der umstrittenen EU-Verordnung die vielen grundrechtsfeindlichen Giftzähne zieht.

Denn die EU-Verordnung ist eine Mogelpackung, die am Ende kaum Kindern hilft, dafür aber alle Menschen unter Generalverdacht stellt. Kinderschutz und Datenschutz sind keine Gegensätze, sondern gehen Hand in Hand. Komplexe gesellschaftliche Probleme bekommen wir nicht mit Technik und Massenüberwachung in den Griff, sondern mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen.

Schlussendlich muss das Innenministerium, das für Deutschland auf EU-Ebene verhandelt, endlich klare Kante zeigen, statt weiter auf Zeit zu spielen. Bei den EU-Verhandlungen heißen viele Staaten die Verordnung gut oder sind unentschieden. Doch es gibt auch Gegner und zusammen mit den Niederlanden, Österreich und einem weiteren EU-Staat ist eine Sperrminorität möglich. Daran käme dann die EU-Kommission mit ihren Überwachungsplänen nicht mehr vorbei.


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