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Hessen: Weniger Freiheit mit dem Versammlungsfreiheitsgesetz

Seit 2006 dürfen die Bundesländer eigene Versammlungsgesetze haben. Der schwarz-grüne Entwurf in Hessen für ein solches Gesetz gerät jetzt in die Kritik, weil es mehr die Polizei und die Gefahrenabwehr im Auge habe als die Rechte der Demonstrierenden.

Jugendliche Demonstrant:innen mit Klimaschildern
Jugendliche demonstrieren in Frankfurt für mehr Klimaschutz. (Archivbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Ralph Peters

Die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen will ein neues, „modernes und wegweisendes Versammlungsfreiheitsgesetz“. Doch nun regt sich Kritik, dass das geplante Gesetz gar nicht so frei sei, wie der Name vermuten lässt – im Gegenteil gibt es der Polizei mehr Befugnisse und stellt den polizeilichen Blick und die Gefahrenabwehr gegenüber der Versammlungsfreiheit in den Vordergrund. Im November hatte die Landesregierung einen ersten Gesetzentwurf (PDF) für das neue Versammlungsgesetz eingebracht. Am kommenden Montag findet die Sachverständigenanhörung im Innenausschuss des hessischen Landtages statt.

Der aktuelle Entwurf stellt höhere Anforderungen an Versammlungsleitungen und Ordner:innen von Demonstrationen und gibt der Polizei mehr Möglichkeiten zur Kontrolle. So erleichtert er einerseits Vorkontrollen im Umfeld von Demos und weitet die polizeiliche Videoüberwachung aus.

Grundsätzlich kritisiert Michèle Winkler vom Grundrechtekomitee in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau, das Gesetz sei „sehr stark mit polizeilichem Blick geschrieben“. Die Polizei bekomme im Entwurf zu viele Befugnisse, sie dürfe Demo-Teilnehmer:innen ausschließen oder Ordner ablehnen. Denn die Versammlungsleitung muss in bestimmten Fällen Daten und Namen zu Ordner:innen nennen. „So wird das demokratische Wesen einer Demonstration zugunsten der Gefahrenabwehr gestutzt“, sagt Winkler weiter.

„Von Misstrauen und Gefahrenverdacht geprägt“

Ähnliche Kritik kommt auch von der Linkspartei: „Der vorliegende Gesetzentwurf ist [..] vor allem mit einer Vielzahl von Verbotsmöglichkeiten und repressiven Maßnahmen gespickt“, sagt Ulrich Wilken, der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion. Der Entwurf spiegele die von Misstrauen und Gefahrenverdacht geprägte Haltung der Behörden gegenüber Versammlungen wider, so Wilken weiter. Von der FDP im hessischen Landtag kam keine nennenswerte Kritik am Entwurf, außer dass auch auf Autobahnen nicht demonstriert werden dürfen soll. Die SPD-Fraktion befasste sich in ihrem Statement nicht tiefergehend mit dem Entwurf. Es sei aber „allerhöchste Zeit, auch in Hessen ein Landesgesetz zum Versammlungsrecht einzuführen“.

Das Gesetz enthält auch ein neues „Militanzverbot“, das nicht nur auf eine einschüchternde Uniformierung abstellt, sondern auch gegen thematisch-programmatische „Demo-Blöcke“ sowie moderne Protestformen wie die weißen Maleranzüge bei Klimademos zielen könnte. Winkler vom Grundrechtekomitee kritisiert: „Das Ziel solcher Blöcke ist ja, bei Großdemonstrationen, an denen unterschiedliche Spektren teilnehmen, unterschiedliche inhaltliche Ausrichtungen sichtbar zu machen. Das ist von der Versammlungsfreiheit gedeckt“, so Winkler. Sie befürchtet im Entwurf den politischen Willen, zusätzliche Beschränkungen bei dieser Ausdrucksform einzuführen.

Mehr Videoüberwachung zulässig

An anderer Stelle versucht der Entwurf einzuschränken, was als Demonstration gilt. Im „hessischen Entwurf ist zum Beispiel die Definition von Versammlungen auf den alleinigen Zweck verengt, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken“, kritisiert Winkler. „Das wirkt auf mich so, als wolle man Veranstaltungen, die sowohl Meinungsbildung als auch weitere Zwecke verfolgen, von der Versammlungsfreiheit ausschließen, etwa Camps oder Tanz-Demos.“

In der Kritik steht auch die neue Möglichkeit der Polizei ohne Bezug auf eine Gefahrenprognose Übersichtsaufnahmen von Demonstrationen anzufertigen. Winkler hält diese Befugnisse für „viel zu weitgehend“. Sie sagt: „Es schreckt Menschen auf jeden Fall von der Ausübung ihrer Versammlungsfreiheit ab, wenn Demonstrationen von der Polizei gefilmt werden. Zumal die Kameratechnik heute so weit ist, dass man mit Übersichtsaufnahmen jede Person identifizieren kann.“

Ob die grundrechtlichen Bedenken noch in das neue Versammlungsgesetz einfließen, werden die kommenden Monate zeigen. Bei der Sachverständigenanhörung sind auch viele Vertreter:innen aus dem polizeilichen und polizeinahen Umfeld geladen. Eine größere zivilgesellschaftliche Debatte über das Gesetz oder Protestbündnisse dagegen wie zuletzt beim Versammlungsgesetz in NRW gibt es noch nicht.


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