Ticker

6/recent/ticker-posts

Ad Code

Responsive Advertisement

Pandemiebekämpfung: Wie weiter mit der Corona-Warn-App?

Die Corona-Warn-App kann unter anderem Testergebnisse erfassen, Kontakte warnen und Impfzertifikate verwalten. Was mit der App passieren soll, wenn der Betrieb ausläuft, ist noch nicht klar. Braucht es ihre Funktionen noch?

Handy mit geöffneter CWA und Anzeige "erhöhtes Risiko"
Was bleibt von der Corona-Warn-App? – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Lobeca

Ende Mai läuft der Betrieb der Corona-Warn-App (CWA) offiziell aus. Ganz so klar vorhersehbar ist ein definitives Ende der Pandemie zwar nicht, dennoch gibt es bereits Pläne für die Verwendung der App danach.

Diese Pläne sind wenig konkret, zeigen jedoch die Begehrlichkeiten hinsichtlich der viel installierten und 220 Millionen Euro teuren App auf. Dabei gibt es nur wenige Funktionen der CWA, die außerhalb einer Pandemie eigenständig erhaltenswert wären.

Viele unscharfe Vorstellungen

Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holletschek etwa will die CWA „nicht einfach auslaufen lassen“ – ohne allerdings konkrete Pläne zu nennen, wie es danach weitergehen soll.

Die Telekom und SAP, beide bislang aktiv an Entwicklung und Betrieb der App beteiligt, spekulieren in Richtung Weiterentwicklung zu einer allgemeinen Gesundheits-App:
Telekom-Chef Tim Höttges forderte letztes Jahr schon, die CWA zu einer Gesundheits-App auszubauen. Ähnliche Überlegungen gibt es wohl bei SAP im Sinne eines digitalen Impfpasses.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach möchte sich ebenfalls nicht so schnell von der App verabschieden und spekuliert auch in Richtung der Entwicklung zu einer „allgemeinen App, die also auch mehr als die Corona-Funktionalitäten vorsieht“. Es bleibt aber unklar, was das genau sein soll.

Das politische Meinungsbild ist je nach Partei unterschiedlich: Angehörige der FDP halten die App inzwischen für überflüssig, Gesundheitsexperte Janosch Dahmen (Grüne) sieht die App zukünftig als „Schnittstelle zwischen Bürgern und Gesundheitswesen“. Matthias Mieves (SPD), Mitglied des Gesundheits- und Digitalausschusses, schlägt vor, die Warnfunktion eher auf die NINA-App des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) konzentrieren.

Weniger Tests, weniger Warnungen

Die CWA im aktuellen Zustand hat unterschiedliche Funktionsteile, die mehr oder weniger gut außerhalb einer Pandemie funktionieren würden. Sie kann andere warnen, Testergebnisse erfassen, erlaubt den Check-In bei Veranstaltungen, erlaubt das Führen eines Kontakttagebuchs, zeigt Corona-Statistiken und verwaltet Corona-Impfzertifikate.

Die eigentlichen Warnfunktion der CWA hilft wenig, wenn niemand mehr positive Testergebnissen über die Corona-Warn-App teilt. Aktuell werden immer weniger Tests und Warnungen übermittelt, was auch an der stark rückläufigen Zahl von PCR-Tests und offiziellen Schnelltests liegt.

Seit Version 3 können Bürger*innen auch positive Selbsttests an die CWA übermitteln, allerdings nur ein Mal innerhalb von drei Monaten. Das bereitet die Abschaltung der bisher teilweise notwendigen und in Hochphasen überlasteten Verifikationshotline vor, die ihren Betrieb bereits Ende Januar einstellt.

Funktionsentkernung

Kern der Warn-Funktion ist das sogenannte Google/Apple Exposure Notification (GAEN) System. Es zeichnet Begegnungen mit anderen Smartphones auf, die sich gegenseitig mittels Bluetooth kontinuierlich Zufallsnachrichten senden. Apps, die das GAEN nutzen, können damit entsprechende Risiken berechnen, wenn sich unter den empfangenen Zufallsnachrichten Nachrichten nachträglich positiv getesteter Personen befinden.

Es ist absehbar, dass Apple und Google die Funktion des GAEN abschalten werden. Zum einen benötigt das Aussenden der Bluetooth-Nachrichten konstant (etwas) Akkuleistung, zum anderen stellt eine solche Funktion ohne entsprechende Pflege des zugrundeliegenden Softwarecodes im Betriebssystem ein Risiko für die Sicherheit und den Datenschutz von Smartphones dar.

Ohne das GAEN bliebe zwar noch die Check-in-Funktion, etwa für Veranstaltungen. Aber wenn niemand Testergebnisse teilt und keine Warnungen übermittelt werden, ist diese Funktion ebenfalls wenig sinnvoll.

Eher wenig eigenständig erhaltenswert außerhalb einer Pandemie sind das Kontakttagebuch und die Corona-Statistiken in der App.

Die Krux mit den Impfzertifikaten

Für die vorgeschlagene digitale Impf-App bietet die CWA zwar zumindest schon Funktionen für COVID-Impfzertifikate, diese Funktion erscheint aber nur auf den ersten Blick erhaltenswert; ein Fokus auf einen digitalen Impfpass würde andere digitale Gesundheitsanwendungen kannibalisieren. Eigentlich sind digitale Impfpässe vor der Pandemie als Teilaspekte der elektronischen Patientenakte (ePA) angedacht worden.

In der Pandemie wurde mit den COVID-Zertifikaten ein spezielles digitales Impfzertifikat für die Impfungen gegen COVID geschaffen, welches auch europaweit gilt. Diese Zertifikate gelten rein regulatorisch bis Ende Juni 2023 europaweit. So lange wird auch die Impfzertifikat-Infrastruktur um die mit der CWA verwandte CovPass-App aufrechterhalten werden müssen – zeitlich somit etwas über den Betrieb der Corona-Warn-App hinaus.

Andere Impfnachweise wie gegen Masern oder andere Infektionskrankheiten brauchen aber andere digitale Nachweise, die sich eigentlich nach ursprünglichem Plan in der ePA sammeln sollten – sofern diese vom gelben analogen Impfbüchlein übertragen werden.

Sinnvoller als die Etablierung einer neuen digitalen Impfnachweis-App wäre also die Übernahme der Informationen von COVID-Impfzertifikaten in die eigentlich dafür gedachte ePA. Peter Schaar, ehemaliger Bundesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit und aktuell Vorsitzender der Schlichtungsstelle der gematik, hatte einen Übertrag in dieser Form bereits seit Längerem gefordert. Mit den aktuellen Funktionen der CWA wäre auch ein datensparsamer, lokaler Export der COVID-Zertifikate möglich, ohne weitere Datenübertragungen in die App integrieren zu müssen – sofern es Apps seitens der Krankenkassen für die ePA gibt, die diese Daten importieren können.

Es gibt bereits Funktionen, die zuerst in der CWA eingeführt wurden, und die jetzt an anderer Stelle abgewandelt genutzt werden könnten: Die eigentlich in CWA Version 2.15 eingeführte Funktion zum Überprüfen von Impfzertifikaten kam zwar praktisch nicht zum Einsatz in Deutschland, findet sich von der Funktion her aber ähnlich in einer Impfzertifikat-Überprüfung der Telekom für die Weltgesundheitsorganisation WHO, angedacht im Kontext von Impfzertifikaten für Polio oder Gelbfieber.

Ringen um die Installationsbasis

Es bleiben also wenig Funktionen der CWA, die eigenständig erhaltenswert wären. Vielmehr scheint die große Installationsbasis der CWA politisch viel interessanter, um bestimmte Informationen und Funktionen möglichst schnell großflächig zu den Bürger*innen zu bringen.

Aktuell gibt es 48 Millionen Downloads der CWA. Nach aktuellen Umfragen des Branchenverbands Bitkom nutzen immer noch 37 Prozent weiterhin die CWA aktiv. Das wäre weit mehr als es aktuell überhaupt ePAs gibt (etwa 600.000 laut Dashboard der gematik) und das sind weit mehr Installationen als jede andere digitale Gesundheitsanwendung.

Pikanterweise erinnert eine mögliche Zweckentfremdung einer Kontaktnachverfolgungs-App an die Luca-App, die inzwischen zu einer Art staatlich beförderter privatwirtschaftlicher Gastro-App geworden ist. Mit Hilfe der großen Installationsbasis und der Bekanntheit war es für die Luca-App um einiges einfacher, in den Markt der Gastro-Apps einzusteigen.

Drohender Bruch mit der Zivilgesellschaft

Eine Zweckentfremdung der CWA würde auch einen offenen Bruch mit der digitalen Zivilgesellschaft verursachen. Die CWA in der heute erfolgreichen Form war als Open-Source-Projekt nur mit großer zivilgesellschaftlicher Beteiligung möglich.

Das zeigte sich besonders deutlich an der Begleitung der Diskussion um das dezentrale Funktionsprinzip zum Start der Entwicklung im April 2020, an den Prüfbausteinen für Contact-Tracing-Anwendungen des Chaos Computer Club (CCC), sowie im offenen Brief an den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn eines großen digitalpolitischen Bündnisses von CCC, D64, FIFF, GI, LOAD und der Stiftung Datenschutz.

2020 schrieb der CCC zum Zweck einer Contact-Tracing-App in seinen Prüfbausteinen: „Die App selbst und jegliche gesammelte Daten dürfen ausschließlich zur Bekämpfung von SARS-CoV-2-Infektionsketten genutzt werden“. Eine mögliche Umwidmung der CWA stünde dazu im krassen Widerspruch.

Ähnlich sieht dies Anke Domscheit-Berg, digitalpolitische Sprecherin der Linken, für die eine solche Zweckentfremdung ein klarer Vertrauensbruch wäre. Denkbar wäre laut Domscheit-Berg eine Art Bereitschaftsmodus. Die App würde zwar von den Smartphones verschwinden, im Sinne von guten Open-Source-Projekten aber weiter gepflegt und einsatzbereit für ähnliche Gefahrenlagen gehalten werden.

Mehr scheint für ein bislang in vielen Aspekten vorbildliches Digitalprodukt wie die Corona-Warn-App schwer vorstellbar.


Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.

Enregistrer un commentaire

0 Commentaires