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Datenabfragen durch AfD-nahen Polizisten: Keine Hoffnung mehr auf weitere Aufklärung

Ein Polizist ruft Informationen über eine junge Frau aus dienstlichen Datenbanken ab, kurz darauf wird sie bedroht. Sie ist sicher, dass er ihre Daten an Nazis weitergegeben hat, doch das Strafverfahren wird eingestellt. Nun haben sich Hoffnungen auf eine Intervention des Verfassungsgerichts zerschlagen.

Leuchtendes Blaulicht auf einem Polizeiauto
Polizeibeamte haben Zugriff auf zahlreiche Datenbanken Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Max Fleischmann

Anja H. ist enttäuscht. Vor mehr als drei Jahre brachte die Frau aus Greifswald Ermittlungen gegen einen rechten Polizisten ins Rollen, die zeigten, dass er unbefugt Informationen über politische Gegner:innen aus Polizeidatenbanken abrief. H. vermutete, dass er ihre Daten auch weitergegeben hat, doch die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren bereits 2020 eingestellt.

H. wollte vor dem Bundesverfassungsgericht erreichen, dass das Strafverfahren nochmal aufgerollt wird. Jetzt hat das höchste Gericht der Republik nach Informationen von netzpolitik.org entschieden, ihre Verfassungsbeschwerde nicht anzunehmen. Ob der Polizist nun überhaupt noch zur Rechenschaft gezogen wird, hängt von seinem Arbeitgeber, dem Land Mecklenburg-Vorpommern, und der Landesdatenschutzbehörde ab. Ein Disziplinarverfahren und ein Bußgeldverfahren laufen noch.

“Die wissen, wo ich wohne“

Der Fall ereignete sich ursprünglich im Jahr 2019. Anja H. engagiert sich zu dieser Zeit viel in stadtpolitischen Facebook-Gruppen, in denen rechte und linke Bürger:innen miteinander diskutieren. H. ist damals unter einem Pseudonym im linken Lager aktiv und berichtet in der Gruppe „Greifswalder Meinungsplatz“ von einem rassistischen Vorfall, den sie erlebt und der Polizei per Notruf gemeldet hat. Kurz darauf enttarnt ein Mann von der Gegenseite ihr Pseudonym und veröffentlicht ihre persönlichen Daten in der Gruppe. Ein anderer schreibt ihr wenig später WhatsApp-Nachrichten, die sie als Bedrohung empfindet.

Dieses sogenannte „Doxxing“ ist im Netz eine weit verbreitete Einschüchterungsmethode. „Die wollten sich damit vor den anderen in der Gruppe beweisen und uns zeigen, dass sie uns auch außerhalb von Facebook finden können“, sagt Anja H. damals. Es fühle sich an, als sei jemand in ihre Komfortzone eingedrungen, ähnlich wie bei einem Einbruch. Das Gefühl sei Jahre später immer noch da, erzählt sie heute im Gespräch. „Die wissen, wo ich wohne.“

Schnell hat Anja H. damals einen Polizisten im Verdacht, der im Netz offen mit der AfD sympathisiert und in der Facebook-Gruppe im rechten Lager mitdiskutiert. H. ist sicher: Nur ein Polizist kann sie aufgrund der Schilderung ihres Notrufs erkannt haben und an ihre Daten gelangt sein. Sie zeigt den Mann an, die folgenden Ermittlungen ergeben: Der Polizist hat tatsächlich ohne dienstlichen Grund die Daten von Anja H. und 19 weiteren Menschen aus der Region abgerufen.

Datenweitergabe nicht bewiesen

Doch die die unberechtigte Nutzung von Polizeidatenbanken ist für Polizist:innen nicht per se strafbar, sondern in Regel lediglich eine Ordnungswidrigkeit. Anja H. aber glaubt: Der Polizist habe ihre Daten nicht nur abgerufen, sondern an stadtbekannte Nazis weitergegeben.

Ein starkes Indiz dafür sieht die Frau im zeitlichen Ablauf: Am 1. Januar 2019 postet sie in der Facebook-Gruppe über ihren Notruf. Direkt am nächsten Arbeitstag, dem 2. Januar, sucht der Polizist in mehreren dienstlichen Systemen nach ihr. Nur wenige Stunden nach den Datenbankabfragen veröffentlicht ein anderer Mann aus dem rechten Lager im Greifswalder Meinungsplatz die persönlichen Daten der Frau. Nochmal zwei Tage später, am 4. Januar, erhält sie die WhatsApp-Nachrichten.

Hätte dem Polizisten eine Weitergabe der Daten mit Schädigungsabsicht nachgewiesen werden können, wäre der Fall auch strafrechtlich relevant. Doch Polizei und Staatsanwaltschaft kamen zu dem Schluss, dass weder die Datenweitergabe und noch eine Schädigungsabsicht bewiesen werden können. Die Menschen würden im Internet heute so viele Daten preisgeben, dass die Rechten die Informationen über H. auch daher haben könnten. Die Staatsanwaltschaft stellte das Strafverfahren nach einigen Monaten wegen mangelnden Tatverdachts ein und übergab den Fall der Datenschutzbehörde, die für die Ahndung der Ordnungswidrigkeit zuständig ist.

Schwere Vorwürfe gegen Ermittler:innen

H. und ihre Anwältin machten den Strafverfolgungsbehörden damals schwere Vorwürfe. Die Polizisten, die gegen ihren Kollegen ermittelten, hätten den Datenmissbrauch wie ein Bagatelldelikt behandelt, so die Kritik. Ein entscheidender Zeuge sei nur halbherzig befragt worden, andere gar nicht, bemängelte H. damals. Deshalb wollte sie die Staatsanwaltschaft dazu bringen, den Fall wieder zu eröffnen. Doch eine Beschwerde und ein Klage-Erzwingungsverfahren blieben erfolglos.

Nun ist auch der letzte Versuch gescheitert: Das Bundesverfassungsgericht hat im Januar entschieden, eine entsprechende Beschwerde von H. nicht anzunehmen, bestätigt ein Sprecher. H. hatte sich darauf berufen, dass Bürger:innen im Rechtsstaat einen Anspruch auf effektive Strafverfolgung haben. Dieses Grundrecht sei durch die laut ihr halbherzige Ermittlungsarbeit verletzt worden. Das Verfassungsgericht begründet seine Ablehnung auf Anfrage nicht, doch der Ansatz gilt juristisch als dünnes Eis.

Für Anja H. ist das eine weitere bittere Erfahrung. Während der Polizist ihre Daten genutzt habe, um sich ein Machtgefühl zu verschaffen, fühle sie sich ohnmächtig, sagt sie. „Wir haben keine Möglichkeit, uns dagegen zu wehren, dass die Daten von uns und unseren Familien an Neonazis weitergegeben wurden“, konstatiert H. Als die Ostsee-Zeitung zum letzten Mal über den Fall berichtet habe, sei kurz darauf ihr Fahrrad kaputtgetreten worden. H. befürchtet einen Zusammenhang. Bis heute müsse sie sich fragen, wer alles weiß, wo sie wohnt.

Disziplinarverfahren kurz vor Abschluss

Sorgen bereitet Anja H. zudem die Frage, ob der Polizist bald wieder im Dienst sein könnte. Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern hatte 2020 ein Disziplinarverfahren mit dem Ziel eröffnet, den Beamten aus dem Dienst zu entfernen.

Dieses Verfahren läuft immer noch, teilt Claudia Tupeit mit, die Pressesprecherin des zuständigen Polizeipräsidiums Neubrandenburg. Da das Verfahren sehr komplex sei und „umfangreiche interne Ermittlungen“ erfordere, dauere es an. Allerdings stünden die Ermittlungen kurz vor dem Abschluss, so Tupeit. Derzeit verrichte der Beamte weiterhin keinen Dienst.

Auch das Verfahren bei der Datenschutzaufsicht Mecklenburg-Vorpommern ist noch nicht abgeschlossen. Tatsächlich habe man damit gewartet, solange die Verfassungsbeschwerde anhängig war, erklärt Lydia Kämpfe von der Behörde. Wenn das Strafverfahren gegen den Polizisten doch nochmal eröffnet worden wäre, hätte dies für das Ordnungswidrigkeitsverfahren juristische Komplikationen bedeuten können. „Jetzt kann das Bußgeldgeldverfahren ohne Rücksicht auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen für den Betroffenen zum Abschluss gebracht werden“, erklärt Kämpfe.

Scheitert das Bußgeldverfahren?

Sollte die Datenschutzbehörde ein Bußgeld gegen Polizisten verhängen, müsste er mit einer Strafe im unteren vierstelligen Bereich rechnen. Doch auch wenn laut Ermittlungsakten eindeutig belegt ist, dass der Polizist die Daten von H. und anderen unbefugt abgerufen hat, könnte es passieren, dass er ohne Bußgeld davonkommt.

Grund dafür ist ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Rostock, über das die Datenschutzbehörde in ihrem letzten Jahresbericht [PDF, S. 33] informierte. Das OLG hatte demzufolge 2021 Bußgeldbescheide der Behörde gegen Polizist:innen für ungültig erklärt, weil es die Verantwortung für unrechtmäßige Datenbanknutzungen bei ihrem Arbeitgeber sah. Das Gericht stellte sich offenbar auf den Standpunkt, dass es nicht ausreiche, Polizist:innen auf Datenschutzgrundsätze zu verpflichten. Stattdessen müsse das Innenministerium weitergehende technische und organisatorische Maßnahmen ergreifen, damit Polizist:innen die Datenbanken nicht missbräuchlich nutzen können.

Was die Landesregierung zu mehr Datenschutzvorkehrungen verpflichten soll, könnte in der Sache dafür sorgen, dass Polizist:innen keine Bußgelder bekommen können, wenn sie unbefugt Daten genutzt haben. Das sieht die Datenschutzbehörde anders, auch wenn sie es grundsätzlich für richtig hält, den Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen. „Allerdings gehen wir auch davon aus, dass Beschäftigte, die auf die Datenschutzgrundsätze und damit auch auf die Zweckbindung verpflichtet sind, durchaus wissen, dass sie nicht zu privaten Zwecken auf dienstliche Systeme zugreifen dürfen“, schrieb die Behörde im Jahresbericht.

Bessere Kontrolle gefordert

Welche Rechtsauffassung sich durchsetzt, ist derzeit noch offen. Bessere Schutzmaßnahmen gegen Datenmissbrauch bei der Polizei wünscht sich allerdings auch Anja H.

„Wären wir nicht zufällig dahintergekommen, wäre nie etwas passiert“, sagt sie mit Blick auf den Fall des Greifswalder Polizisten. Auch die vielen weiteren Betroffenen seien „quasi als Zufallsfund“ ans Tageslicht gekommen. Deshalb fordert Anja H. striktere Kontrollen, wenn Polizist:innen auf Datenbanken zugreifen. „Jede Anfrage sollte überprüft werden“, auch wenn dies viel Arbeit bedeute.

Die Zugriffe werden heute zwar in vielen Bundesländern protokolliert, oft aber kaum proaktiv überprüft. In Mecklenburg-Vorpommern findet eine stichprobenartige Überprüfung zum Beispiel nur einmal im Quartal statt, teilte das Innenministerium gegenüber netzpolitik.org zuletzt im Sommer 2022 mit. Eine Anfrage, ob dies inzwischen häufiger geschieht, blieb bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung unbeantwortet. Engmaschige Überprüfungen der Datenbankzugriffe gibt es bundesweit bislang nur in Hessen, wo jede fünfzigste Anfrage überprüft wird.

Und noch einen anderen Wunsch hat Anja H. an die Polizei: Sie möge bei der Nachwuchsgewinnung besser aufpassen, die Beamten in Sachen Toleranz und Diversität trainieren. „Menschen, die ihre Macht für ihre politische Gesinnung einsetzen, sollte es bei der Polizei nicht geben.“


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