Ticker

6/recent/ticker-posts

Ad Code

Responsive Advertisement

Neuer Vorsitz im Rat der EU: Schweden nimmt Anlauf gegen sichere Verschlüsselung

Schweden übernimmt den Vorsitz im Rat der EU und stellt die sichere Verschlüsselung von privaten Chats in Frage. Dabei gibt es längst Alternativen für den Kampf gegen Kriminalität im Netz – ohne die Vertraulichkeit von Kommunikation zu verletzen.

der schwedische Justizminister Gunnar Strömmer vor einer Fotowand, die das Logo von Schwedens EU-Ratspräsidentschaft zeigt
Schwedens Justizminister Gunnar Strömmer – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / TT; Bearbeitung: netzpolitik.org

Über mehrere Seiten tänzelt das schwedische Justizministerium um den heißen Brei herum. Die Abfolge der Tanzschritte lässt sich in einem Papier für die Justiz- und Innenminister*innen der Europäischen Union verfolgen, die sich derzeit informell in Stockholm treffen. Dieses Papier hat Signalkraft, denn seit Januar hat Schweden den Vorsitz im Rat der EU inne. So eine Ratspräsidentschaft ist eine gute Gelegenheit für politische Akzente, und das schwedische Justizministerium hat sich die Bekämpfung von Online-Kriminalität vorgeknöpft.

Zunächst beschreibt das schwedische Papier, warum Ermittlungsbehörden angeblich ein Problem mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung haben. Diese sichere Form der Verschlüsselung bewirkt, dass allein Sender*in und Empfänger*in einer Nachricht deren Inhalte lesen können. Wer die Daten auf dem Weg abfängt, sieht nur Zeichensalat. Die Polizei tappe demnach im Dunkeln, wenn mutmaßliche Kriminelle mit sicheren Messengern chatten. Deshalb heißt das Phänomen auch „going dark“.

Da muss man doch was machen können, so lassen sich die ersten Absätze des Papiers sinngemäß zusammenfassen. Die Zuspitzung geschieht in einem entscheidenden Nebensatz, der auf Seite fünf hervorgehoben steht: Es gebe den „Bedarf, den Zugriff auf Kommunikationsdaten zu diskutieren“. Die Formulierung ist vage und vorsichtig, das Vorhaben dennoch offensiv: Schweden plant offenbar den Angriff auf sicher verschlüsselte Kommunikation. Wenn auch unter dem Vorbehalt, mit „allen relevanten Interessengruppen“ zu sprechen.

Gruß aus den Neunzigerjahren

Die Forderung ist Jahrzehnte alt. Schon seit den Neunzigern wollen manche Politiker*innen die sichere Verschlüsselung von Inhalten im Netz am liebsten loswerden. Immer wieder gibt es Vorstöße dafür, Grundrechte wie die Vertraulichkeit von Kommunikation oder die Integrität von IT-Systemen umfassend verletzen zu dürfen. Vor diesem Hintergrund lassen sich die teils zögerlich formulierten Seiten des schwedischen Papiers als Versuch einer Beschwichtigung lesen. Tenor: Ja, wir wissen, das ist ein schwieriges Thema – aber wir wollen trotzdem private Chats knacken.

„Kriminelle können Straftaten auf eine Art und Weise begehen, die Strafverfolgungsbehörden nicht erkennen und abfangen können“, heißt es im Papier. „Nach Ansicht des Ratsvorsitzes ist es an der Zeit, Mittel und Wege zu erörtern, um die Rechtsstaatlichkeit im digitalen Zeitalter aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die Sicherheit zu wahren, die Privatsphäre und die Grundrechte zu schützen und die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu steigern“. Bei der Diskussion müsse man den „Schutz der Privatsphäre“ mit den „Erfordernissen der Strafverfolgung“ vereinbaren.

Der Fokus auf Inhalte mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wird dem Thema allerdings nicht gerecht. Längst gibt es differenziertere Lösungen, um gegen Online-Kriminalität vorzugehen, ohne dabei private Nachrichten abgreifen zu müssen. Eine Palette davon hat etwa die Initiative „Tech Against Terrorism“ diesen Januar zur Diskussion gestellt. Hinter der Initiative steht ein Gremium der Vereinten Nationen (United Nations Counter Terrorism Executive Directorate, kurz: UN CTED). Das Gremium entwickelt Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus.

Die Vorschläge „Tech Against Terrorism“ sind das Ergebnis aus einem Jahr Recherche mit verschiedenen Interessengruppen, wie die UN-Initiative mitteilt. „Tech Against Terrorism“ richtet zwar den Fokus auf Terrorismus, führt dabei aber zahlreiche allgemeine Argumente an, die sich auch für andere Fälle von Kriminalität anwenden lassen.

„Sicherheit aller gefährdet“

„Wir können die Tatsache nicht von der Hand weisen, dass Terrorist*innen und Extremist*innen Ende-zu-Ende-verschlüsselte Dienste nutzen“, schreibt „Tech Against Terrorism“ in englischer Sprache. Es möge „verlockend“ sein, verschlüsselte Dienste systematisch zu überwachen. Aber solche Werkzeuge würden ihre selbstgesteckten Ziele verfehlen: „Sie sind ressourcenintensiv, lassen sich nur schwer in großem Maßstab umsetzen und bergen erhebliche Risiken, einschließlich der Gefahr des Missbrauchs durch kriminelle Akteur*innen und autoritäre Staaten.“

Weiter schreibt die Initiative: „Expert*innen für Verschlüsselung, digitale Grundrechte und Dienste-Anbieter sind sich einig, dass die systematische Überwachung verschlüsselter Inhalte technisch nicht machbar ist, es sei denn, die Sicherheit und der Datenschutz aller Nutzer*innen sollen gefährdet werden.“ Außerdem sei bekannt, dass Terrorist*innen und gewaltbereite Extremist*innen einfach den Dienst wechseln, sobald bekannt würde, dass ein Dienst nicht mehr sicher sei. Vor diesem Hintergrund formuliert „Tech Against Terrorism“ insgesamt 13 konkrete Vorschläge.

Offene Daten und klassische Methoden

Zum Beispiel könnten Ermittler*innen mit offen zugänglichen Daten arbeiten, die nicht Ende-zu-Ende-verschlüsselt sind. „So können Namen und Profilbilder gescannt werden“, heißt es. Auch Metadaten von Nutzer*innen könnten Hinweise auf verdächtige Verhaltensmuster geben. Anbieter könnten zudem vereinfachte Meldemechanismen einführen, mit deren Hilfe Nutzer*innen selbst auffällige Accounts melden können.

Eine entscheidende Rolle für Terrorist*innen spielen laut „Tech Against Terrorism“ auch Einladungslinks, die offen im Netz kursieren. Damit sind Zugänge zu verschlüsselten Chaträumen gemeint. Verschlüsselte Messenger könnten die Verbreitung solcher Einladungslinks einschränken, Online-Anbieter ihre Seiten gezielt nach solchen durchforsten, heißt es weiter. Außerdem könnten Behörden im Netz wie im Offline-Leben Undercover-Agent*innen einsetzen, um die Kommunikation von mutmaßlichen Terrorist*innen zu überwachen.

Die Initiative plädiert dafür, diese Ideen nicht ohne weitere Abwägungen umzusetzen. Vielmehr empfiehlt „Tech Against Terrorism“, Maßnahmen im Austausch mit Expert*innen aus den Bereichen Kryptographie, Grundrechten und Industrie zu entwickeln. Für ethische und rechtliche Fragen brauche es demnach einen klaren Rechtsrahmen.

UN-Initiative für staatliches Hacken

Gegen Ende empfiehlt „Tech Against Terrorism“ eine Maßnahme, die aus grundrechtlicher Perspektive eine empfindliche Grenze überschreitet: „Strafverfolgungsbehörden sollten ausarbeiten, unter welchen Umständen eine gezielte Überwachung, insbesondere Hacken, für Ermittlungen von Nutzen sein kann“, schreibt die UN-Initiative.

Hier geht es offenbar um staatliches Hacken von Geräten, beispielsweise mit Hilfe von sogenannten Trojanern. Dabei infizieren Ermittlungsbehörden gezielt Handys und Laptops von Bürger*innen, um diese auszuspionieren. „Tech Against Terrorism“ sieht in diesem gezielten Vorgehen einen Vorteil gegenüber dem pauschalen Eingriff in die Kommunikation von allen. Das Papier der schwedischen Ratspräsidentschaft wiederum ist so offen formuliert, dass es auch an ein solches Vorhaben anknüpfen könnte.

Studie fordert Moratorium für Staatstrojaner

Doch die Argumentation hat eine Leerstelle: Staatliches Hacken ist nicht so gezielt, wie es scheint. Und es gefährdet die IT-Sicherheit von allen. Denn um ein Gerät hacken zu können, braucht es in der Regel offene Sicherheitslücken. Ein Staat, der seine Bürger*innen hackt, hat den Anreiz, Lücken offenzuhalten – auch wenn bereits andere sie ausnutzen und damit Menschen, Unternehmen oder der öffentlichen Infrastruktur schaden.

Die Haltung von „Tech Against Terrorism“ zu staatlichem Hacken zeigt: Die UN-Initiative würde auch solche Maßnahmen akzeptieren, die aus grundrechtlicher Perspektive tabu sind. Umso mehr fällt es ins Gewicht, dass selbst diese Initiative beim pauschalen Angriff auf Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ein klares Nein signalisiert. Zugleich zeigen die Vorschläge von „Tech Against Terrorism“ einige mögliche Alternativen zu invasiver Überwachung. Wenn die schwedische Ratspräsidentschaft eine Debatte fordert, dann dürfte sie in den Vorschlägen Diskussionsstoff finden.


Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.

Enregistrer un commentaire

0 Commentaires