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Chatkontrolle: SPD im Bundestag lehnt Client-Side-Scanning explizit ab

Im Bundestag haben die Fraktionen der Ampel-Koalition gestern Abend erwartungsgemäß einen Antrag der Linkspartei zu den umstrittenen EU-Plänen abgewiesen. In der Plenardebatte sprachen sich aber Innenpolitiker:innen der SPD-Fraktion explizit gegen Chatkontrolle und Client-Side-Scanning aus.

Auge und Computercode
Abgeordnete aller Bundestagsfraktionen, außer der Union, warnten vor einer anlasslosen Massenüberwachung durch die Chatkontrolle. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Zoonar

Die in der EU geplante Richtlinie gegen sexuelle Gewalt gegen Kinder war am Donnerstagabend Thema im Deutschen Bundestag. Das EU-Vorhaben ist in der Öffentlichkeit vor allem unter dem Namen „Chatkontrolle“ bekannt. Es steht seit mehr als einem Jahr in der Kritik und spaltet auch die Ampel-Regierung. Die Fraktion der Linkspartei hat gestern Abend einen Antrag (PDF) in den Bundestag eingebracht, den das Parlament am Abend mit den Stimmen aller anderen Fraktionen ablehnte.

In ihrem Antrag hatte die Linkspartei gefordert, dass sich die Bundesregierung in den EU-Verhandlungen unmissverständlich gegen die geplante Verordnung einsetzt – und damit gegen den Einsatz von Chatkontrolle, Websperren, Upload-Filtern und der Altersverifizierung bei Messengern. Gleichzeitig forderte die Linksfraktion ein klares Verbot aller Varianten des „Client-Side-Scannings“ (CSS). Diese Technologie wäre, auch wenn sie nicht explizit genannt wird, eine unweigerliche Folge der EU-Verordnung. Mit CSS sind technische Systeme gemeint, die auf den Endgeräten nach bestimmten Dateien suchen.

Die von der EU-Kommission vorgeschlagene Richtlinie setzt bislang vor allem auf Technik: Unter anderem sollen Mailanbieter oder Messengerdienste wie WhatsApp oder Signal dazu verpflichtet werden können, die Nachrichten ihre Nutzer:innen nach belastenden Texten und Bildern zu durchsuchen. Das Ergebnis wäre eine neue anlasslose Massenüberwachung. Nicht nur Bürgerrechts- und Digitalorganisationen laufen deswegen Sturm gegen das Projekt.

Innenpolitiker:innen der SPD gegen Chatkontrolle und Client-Side-Scanning

Während bei Linkspartei, Grünen und FDP sowohl Familien- als auch Digitalpolitiker:innen in die Debatte schickten, sprachen für die Sozialdemokraten die Innenpolitiker. Bislang war die SPD in Sachen Chatkontrolle gespalten, Innenpolitiker:innen befürworteten eher die EU-Pläne, Digitalpolitiker:innen lehnten sie ab. Die Entscheidung der SPD-Fraktion, die Innenpolitiker:innen zu Wort kommen zu lassen, schien ein Signal zu setzen, sorgte dann aber für Überraschungen.

So machte die Abgeordnete Carmen Wegge in der Debatte klar, dass die Internet-Community zu Recht in Alarmbereitschaft sei. Die bisherigen Pläne würden zu einer anlasslosen Überwachung aller Menschen führen. Außerdem setze der EU-Vorschlag einseitig auf technische Mittel zur Lösung gesellschaftlicher Probleme. „Client-Side-Scanning lehnen wir ab“, sagte Wegge und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) teile diese Haltung. Nun müsse in den Verhandlungen in der EU sichergestellt werden, dass die Vertraulichkeit der Kommunikation gewahrt bleibt. Die Richtschnur dafür böte der Koalitionsvertrag, so Wegge. Der SPD-Innenpolitiker Daniel Baldy betonte ebenfalls, dass seine Fraktion sich darin einig sei, die Chatkontrolle abzulehnen.

Für die Union versuchte Christoph de Vries, den Antrag der Linkspartei wie auch das Wirken der Koalition in der Frage des Kinderschutzes als verantwortungslos darzustellen. Er hob die wachsenden Zahlen im Kriminalitätsfeld hervor – unterließ es aber, darauf hinzuweisen, dass es sich dabei um eine Aufhellung des Dunkelfeldes handelt. Doch weder de Vries noch die zweite Rednerin der Union, Silke Launert (CSU), sprachen sich explizit für die Chatkontrolle aus. Launert forderte allerdings, die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen.

Der grüne Digitalpolitiker Tobias B. Bacherle lehnte in seiner Rede Chatkontrolle und Client-Side-Scanning ab. Hinter diesen verberge sich die alte Idee, Verschlüsselung zu verbieten. Statt mehr Überwachung forderte Bacherle, die Strafverfolgungsbehörden zu stärken. Deutsche Überwachungspolitik dürfe anderen Staaten in der Welt nicht als politische Blaupause dienen. Die Bundesregierung müsse sich daher gegen die EU-Pläne stellen. Die grüne Familienpolitikerin Denise Loop wies darauf hin, dass der Entwurf der EU auch sinnvolle Dinge enthalte. Dazu zähle unter anderem ein gemeinsames Zentrum, das den Kinderschutz über Landesgrenzen hinweg koordinieren soll.

„Gruselkabinett an Grundrechtsverletzungen“

Anke Domscheit-Berg von der Linken nannte den bisherigen Entwurf auf EU-Ebene völlig inakzeptabel. Sie forderte die komplette Ablehnung des Gesetzespakets. Dieses sehe ein „Gruselkabinett an Grundrechtsverletzungen“ vor. So würden bei der automatischen Erkennung von Grooming falsche Treffer produziert. Bei der KI-Erkennung von Darstellungen sexueller Gewalt drohten Jugendliche ins Visier zu geraten, die nur Sexting betrieben. Domscheit-Berg wies zudem darauf hin, dass die EU-Pläne umfassende Altersverifikation vorsähen.

Der FDP-Politiker Manuel Höferlin schloss sich seinen Vorredner:innen ausdrücklich an und bezeichnete die EU-Pläne als „gut gemeint und schlecht gemacht“. Die Chatkontrolle drohe die „größte und weitreichendste Überwachungsinfrastruktur“ und ein „Paradebeispiel für Despoten“ einzuführen. Er begrüßte daher die deutlichen Worte seiner sozialdemokratischen Kollegin Carmen Wegge im Namen ihrer Fraktion. Auch Höferlins Fraktionskollege Maximilian Funke-Kaiser erinnerte an den Koalitionsvertrag und das Recht auf Verschlüsselung. „Es gibt ein digitales Briefgeheimnis“, sagt der digitalpolitische Sprecher der Liberalen. „Eine Chatkontrolle, aber auch Netzsperren und Uploadfilter sind ein Rückschritt in dunkle Zeiten unseres Landes.“ Das sei Erziehung durch Angst, Angst durch Repression und Repression durch Ungewissheit. Eine freiheitliche Gesellschaft verfüge über bessere Wege der Kriminalitätsbekämpfung, so der FDP-Digitalpolitiker.

„Größter Dammbruch für die Vertraulichkeit der Kommunikation“

In der Ampel-Koalition schwelt derweil der Konflikt über die Chatkontrolle hinter den Kulissen weiter, obwohl dieser vordergründig vor der Weihnachtspause beigelegt worden war. Im Dezember hatten die Fraktionen von Grüne und FDP eine Bundestagsabstimmung nach Artikel 23 GG zur Chatkontrolle angestrebt. Eine solche Abstimmung soll es nach Informationen von Logbuch:Netzpolitik nun allerdings nicht geben, weil sich Innen- und Sicherheitspolitiker der SPD offenbar querstellen. Die FDP-Abgeordneten Manuel Höferlin und Maximilian Funke-Kaiser haben unterdessen einen Brief an die Bundesinnenministerin formuliert, den netzpolitik.org im Volltext veröffentlicht. Darin schreiben die beiden Abgeordneten:

Die Chatkontrolle stellt den größten Dammbruch für die Vertraulichkeit der Kommunikation seit der Erfindung des Internets dar. Zudem bricht sie mit dem grundrechtlich verbrieften Fernmeldegeheimnis und verstößt gegen unsere Vereinbarung im Koalitionsvertrag, Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation abzulehnen.

Die FDP-Abgeordneten haben „wohlwollend zur Kenntnis genommen“, dass Faeser sich im Dezember in der Bundespressekonferenz gegen die Pläne der EU-Kommission, insbesondere gegen das Client-Side-Scanning, ausgesprochen habe:

Wir begrüßen ebenfalls, dass Ihr Kurswechsel auch in die offizielle Positionierung der Bundesregierung Eingang finden soll. Vor dem Hintergrund der voranschreitenden Verhandlungen im Rat der Europäischen Union und der enormen Strahlkraft einer deutschen Positionierung bitten wir Sie daher höflich, die offizielle Positionierung der Bundesregierung gemäß des Koalitionsvertrages zeitnah zu vollziehen.

Eine Antwort der Ministerin auf das Schreiben liegt bislang nicht vor.

 


Dokumentation
Brief der MdB Manuel Höferlin (FDP) und Maximilian Funke-Kaiser (FDP) an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vom 18. Januar 2023:

Sehr geehrte Frau Bundesministerin,
am 11. Mai 2022 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine CSAM-Verordnung vorgestellt, die zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern beitragen soll.

Darin plant die Europäische Kommission, Chat- und Hostinganbieter dazu zu verpflichten, die private Kommunikation und die Online-Speicher aller Unionsbürger anlasslos auf Abbildungen sexualisierter Gewalt zu überprüfen.

Darüber hinaus sollen Chatverläufe systematisch analysiert werden, um die Kontaktaufnahme Erwachsener zu Minderjährigen in Verbindung mit einer Absicht der sexualisierten Gewalt zu erkennen.

Wir Freie Demokraten begrüßen ausdrücklich, dass die Europäische Kommission die Verbreitung von Abbildungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder eindämmen will. Dieses Ziel teilen wir uneingeschränkt.

Den vorgeschlagenen Weg dorthin, die anlasslose Überwachung jeglicher privater Kommunikation, lehnen wir grundsätzlich ab.
Die Chatkontrolle stellt den größten Dammbruch für die Vertraulichkeit der Kommunikation seit der Erfindung des Internets dar. Zudem bricht sie mit dem grundrechtlich verbrieften Fernmeldegeheimnis und verstößt gegen unsere Vereinbarung im Koalitionsvertrag, Maßnahmen zum Scannen privater
Kommunikation abzulehnen.

Wir Freie Demokraten verstehen digitale Grundrechte als ebenbürtig mit den Grundrechten, die wir in der analogen Welt genießen.
Aus diesem Grund begrüßen wir ausdrücklich die „roten Linien“ des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr. Schon im August letzten Jahres forderten die Ministerien die Überwachung interpersoneller Kommunikation sowie Cloudspeicher und die Unterwanderung des Rechts auf Verschlüsselung vom Anwendungsbereich der Verordnung auszuschließen.

Die Beratungsgrundlage für die Positionierung der Bundesregierung, die von ihrem Ministerium letzten Dezember erstellt wurde, hat uns daher irritiert – insbesondere die darin fehlende Absage an das sogenannte Client-Side-Scanning.

Daher haben wir wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass Sie sich daraufhin in der Bundespressekonferenz gegen die Pläne der EU-Kommission, insbesondere gegen das Client-Side-Scanning, ausgesprochen haben.

Wir begrüßen ebenfalls, dass Ihr Kurswechsel auch in die offizielle Positionierung der Bundesregierung Eingang finden soll. Vor dem Hintergrund der voranschreitenden Verhandlungen im Rat der Europäischen Union und der enormen Strahlkraft einer deutschen Positionierung bitten wir Sie daher höflich, die offizielle Positionierung der Bundesregierung gemäß des Koalitionsvertrages zeitnah zu vollziehen.

Denn der Koalitionsvertrag spiegelt die Werte unserer freiheitlich- demokratischen Grundordnung wieder und den Paradigmenwechsel, den die Fortschrittskoalition in der Innenpolitik in Deutschland eingeleitet hat: Freiheit und Sicherheit wieder in Balance zu bringen. Denn in einer Welt, in der die Freiheit immer mehr unter Druck steht, sollte Deutschland an vorderster Front für ihre Verteidigung stehen.

Mit freundlichen Grüßen

Manuel Höferlin
Innenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion

Maximilian Funke-Kaiser
Digitalpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion


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