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Werbeveranstaltung für Chatkontrolle: Kuscheln mit Kutcher

Befürworter der Chatkontrolle haben die Anhänger:innen des umstrittenen Gesetzes zu einem PR-Event zusammengetrommelt. Auf diesem werden Probleme für die Privatsphäre negiert, Kritik in die Nähe der Täter gerückt und Überwachung durchgehend geleugnet. Ein Kommentar zu einer merkwürdigen Veranstaltung.

EU-Abgeordnete Eva Kaili
Die EU-Abgeordnete Eva Kaili dankt dem Hollywood-Schauspieler Ashton Kutcher. – EU Parlament / Stream

Nicht überall, wo Panel oder Diskussion draufsteht, ist auch Diskurs drin. Eine parteiübergreifende Initiative von Europa-Abgeordneten hatte am vergangenen Mittwoch zu einer PR-Veranstaltung eingeladen. Titel: „Tech to keep children safe online“, es ging um die Bewerbung der geplanten Chatkontrolle.

Das Vorhaben ist hoch umstritten, weil mit der Chatkontrolle die Endgeräte aller Menschen auf Darstellungen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder durchsucht werden sollen. Die dazu nötige Technik wird nicht nur von Bürgerrechtler:innen als Angriff auf Privatsphäre, Verschlüsselung und vertrauliche Kommunikation angesehen. Befürchtet wird auch, dass die Technologie zur Blaupause für autoritäre Staaten wird, um nach allen möglichen Inhalten automatisch zu suchen.

Das alles findet auf der Veranstaltung nicht statt. Denn dort spielen sich die Befürworter:innen der Chatkontrolle Bälle, Fragen und Antworten zu. Sie simulieren einen demokratischen Austausch, der bis hin zu den anschließenden Saalfragen abgesprochen wirkte.

Die über die Webseite des EU-Parlamentes live übertragene Veranstaltung war durchaus hochkarätig besetzt, neben der EU-Innenkommissarin Ylva Johannson und dem UNICEF-Chef Geert Cappelare war der Hollywood-Schauspieler Ashton Kutcher zugeschaltet. Er hat eine Organisation zum Thema Kindesmissbrauch gegründet und lobbyiert in der EU seit einiger Zeit für den Einsatz von Überwachungstechnologie gegen eben jenes Kriminalitätsfeld.

Eines zog sich durch die ganze Veranstaltung: die Erzählung von grauenhaften Verbrechen und die vollkommene Missachtung des Themas Privatsphäre bei gleichzeitiger Technologiegläubigkeit und vehementem gegenseitigen Schulterklopfen der Akteur:innen. Die sehen sich auf einer historischen Mission, bei der Widerspruch nicht sein darf, ja verwerflich ist. Man wähnte sich unter Überwachungsleugner:innen, die in einer Art Glaubenskrieg den sachlichen Blick auf Grundrechte und Verhältnismäßigkeit verloren haben.

„Ich weigere mich zu glauben, …“

Angestoßen wurde die Veranstaltung von der griechischen sozialdemokratischen EU-Abgeordneten Eva Kaili, die schon beim Auftakt nicht müde wird zu beteuern, dass man Privatsphäre und Sicherheit von Kindern gleichermaßen haben könne: „Es ist so wichtig, dass wir uns von denjenigen abwenden, die dies zu einer Frage des Datenschutzes machen wollen. Ich weigere mich zu glauben, dass es entweder um Datenschutz oder um den Schutz von Kindern geht. Es ist unsere Entscheidung, wir können die Technologie so nutzen, wie wir es wollen.“

Nach einer Einführung, der es an grausigen Beispielen von sexualisierter Gewalt nicht fehlte, bedankte sich Kaili mehrfach artig, immer wieder und fast schon an der Grenze zur Peinlichkeit beim Hollywood-Schauspieler Ashton Kutcher für seinen Einsatz und seine wertvolle Zeit.

Der wiederum zollte Applaus für die „EU als Pionier“ bei dieser Gesetzgebung, die nach seiner Meinung auf die ganze Welt Auswirkungen haben werde. Eine Gesetzgebung, die Kutcher übrigens selbst als Lobbyist mit angestoßen hat. Informationsfreiheitsanfragen von netzpolitik.org zur Lobbytätigkeit Kutchers wurden teilweise abgelehnt. Kutcher hat die Software seiner Organisation Thorn für die Anwendung bei der Chatkontrolle ins Spiel gebracht. Mit seinen Investments in Überwachungstechnologie ist er nicht nur der Kinderrechtsexperte, als der er hier verkauft wird, sondern hat auch wirtschaftliche Interessen.

Gebaut, um die Welt zu verändern

Die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hat schließlich auch noch einen Auftritt. Sie sagt, das Problem sei, dass die Menschen sich nicht vorstellen wollten, was Kindern passieren würde. Dies führe dazu, dass das Problem jeden Tag schlimmer werde, wenn man nicht endlich den Scheinwerfer darauf richte. Dann kommt wieder Kutcher ins Spiel, der bekräftigt, dass er sich jeden Tag den Horror vor Augen führe. Aber es gäbe Mittel dagegen.

Kutcher zeigt sich überzeugt: „Was ihr [Anm. der Red.: die EU-Kommission] gebaut habt, wird die Welt verändern.“ Dann redet er über seine Organisation: „Wir können Werkzeuge einsetzen ohne die Privatsphäre zu gefährden. Wir haben Tools entwickelt, die chirurgisch sind, die nur nach CSAM online suchen und nicht die Nachrichten der Menschen lesen und nicht in die Privatsphäre eindringen.“

Ashton Kutcher vor brauner Holzwand.
War per Video zugeschaltet: Ashton Kutcher. - Europaparlament / Livestream

Er selbst lehne die Theorie ab, dass man sich auf eine „slippery slope“ begebe mit dieser Technologie und dass diese auch zum Aufspüren anderer Inhalte genutzt werden könne. Es sei technisch gar nicht möglich, die Technik so umzubauen. Fakten und Begründungen liefert er dazu nicht, aber dafür ist der Dank für seinen Beitrag durch Eva Kaili umso größer. Sie verspricht dem Schauspieler, dafür zu sorgen, dass sein Beitrag aus der Veranstaltung „viral gehen“ würde.

Dann spielt man sich wieder Bälle hin und her, bewundert den „mutigen Vorschlag“ und das „Commitment für die Sache“, die „Passion“. Wie sehr brauche man doch das „Charisma der Influencer“ in dieser Debatte, sagt noch Moderator Emilio Puccio, offenbar ganz beseelt von der Einmütigkeit der Runde. 

Einmütige Runde

Johansson beteuert dann, man mache die neue Gesetzgebung nur, um den Datenschutz zu verbessern. Gleichzeitig würde jede Ablehnung des Vorschlages dazu führen, dass die Internetunternehmen blind würden. Unternehmen wie Facebook, Instagram oder YouTube durchsuchen heute freiwillig Uploads auf ihren Plattformen auf Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Sie durchsuchen aber nicht verschlüsselte, private Kommunikation. Die Erlaubnis zur freiwilligen Durchsuchung nach Inhalten soll mit der Chatkontrolle auslaufen und verpflichtend werden.

Johansson schiebt die Verantwortung für eine Verbreitung solchen Materials noch einmal mehr zu den Kritiker:innen ihrer Gesetzgebung. Tenor: Die Zeit drängt, man ist im Verzug und daran sind die Kritiker:innen schuld.

Für sie ist klar, dass die Straftaten in privaten Chats stattfinden würden. Man würde nur Präventionsarbeit leisten und „keine neuen Türen“ öffnen. Außerdem sei das Durchleuchten ja auch nichts anderes als nach Malware zu suchen. Ein Vergleich, der technisch nicht stimmt und die Durchsuchung von privaten Dateien absichtlich auf das Level der Bekämpfung von Spam und Schadsoftware hebt.

Ein Mitarbeiter von Europol, der nach der nächsten Runde Schulterklopfen aufgerufen wird, fordert ein neues Verständnis von Privatsphäre, ein komplett anderes Konzept von Privatsphäre. Er schlägt ein nicht sehr detailliert erklärtes Vierstufenmodell vor und freut sich, dass in der Diskussion nirgends von Durchsuchen und Überwachung die Rede sei. Das habe man zum Glück hinter sich gelassen. Überwacher reden eben nicht gerne von Überwachung.

Die „Frage“ des Europol-Mannes nach einem neuen Verständnis von Privatsphäre wird an den konservativen EU-Abgeordneten David Lega zurückgespielt, der mit „Ich stimme vollkommen zu“ antwortet. Und dann kommt so einer der Sätze, die für diese Veranstaltung so charakteristisch ist: „Der Schutz der Privatsphäre sollte in dieser Debatte niemals als politische Wette oder Waffe eingesetzt werden.“ Überhaupt gehe es nicht um Politik, es gehe um Kinder, so Lega weiter. Als seien Grundrechte eine irgendeine Art Diskurs-Waffe und nicht eben Grundrechte, zu deren Einhaltung die Politik per Verfassung verpflichtet ist. 

Taktik: Kritiker:innen in die Nähe der Täter setzen

Alle, die während der Veranstaltung sprechen, außer der Bürgerrechtlerin Ella Jakubowska von EDRi, welche die einzige kritische Frage in diesen knapp zwei Stunden stellt, verknüpfen Privatsphäre nicht mit der Privatsphäre aller Menschen, nicht mit dem elementaren Grundrecht, sondern reduzieren sie auf die Privatsphäre der Kriminellen. Sie blenden aus, dass die geplante Gesetzgebung in die Grundrechte aller Menschen eingreift, dass sie eine neue Form anlasslose Massenüberwachung einführt. Eine Überwachung, die auch vollkommen unbescholtene Bürgerinnen und Bürger betrifft. 

Die ganze Veranstaltung suggeriert „Privatsphäre ist Täterschutz“. Und wer gegen die Chatkontrolle ist, macht sich gemein mit Kriminellen und Vergewaltigern. Das untermauert auch UNICEF-Chef Cappelare, der davon spricht, dass Privatsphäre niemals genutzt werden dürfe, um anderen zu schaden. 

Dass die Frage von Jakubowska, wie denn nun der Schutz der Privatsphäre aller gewährleistet werden soll, nicht wirklich beantwortet wird, passt da gut ins Bild. Überhaupt scheint das Grundrecht auf Privatsphäre hier nicht sonderlich geachtet, auch der Vertreter der tschechischen Ratspräsidentschaft fordert eine „Neudefinition des Wortes Privatsphäre“. Der Tscheche ist dabei noch einer der zurückhaltenderen Panelisten.

„Wirklich enttäuschend“

Ella Jakubowska hat ähnliches vor Ort beobachtet. Sie sagt nach der Veranstaltung gegenüber netzpolitik.org: „Es ist wirklich enttäuschend, dass die Privatsphäre als eine Art abstraktes Konzept dargestellt wird und nicht als ein lebenswichtiges Menschenrecht. Unser Recht auf Privatsphäre ist im EU- und im internationalen Recht verankert, denn die Geschichte hat uns gezeigt, wie repressive Regime gedeihen, wenn Menschen ihrer Privatsphäre beraubt werden.“

Es sei außerdem bezeichnend gewesen, dass die Veranstaltung auf die Schwere des Verbrechens der von sexualisierter Gewalt gegen Kinder konzentrierte – die ja niemand bestreite – und weniger darauf, warum dieses spezielle Gesetz der Chatkontrolle der richtige Weg sei, um dagegen vorzugehen. 

Es sieht ganz so aus: Unter Glaubenskriegern wird nicht nach Lösungen gesucht. Man müsse jetzt zusammenstehen ist das Fazit, die Herzen und Köpfe gewinnen und die Debatte dominieren – denn die nächsten Monate würden schwer werden.


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