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Twitter-Exodus: Wie Behörden, Medien und NGOs Mastodon für sich entdecken

Ministerien, Hilfsorganisationen, Unis, Medienhäuser – das dezentrale Netzwerk Mastodon bekommt Zulauf aus Politik und Zivilgesellschaft, während Twitter unter Elon Musk zugrunde geht. Wer schon bei Mastodon zu finden ist und wie man Fake-Accounts aus dem Weg geht.

Twitter stürzt ab, ein Mastodon schaut zu
Der Untergang von Twitter weckt bei vielen Wanderlust (Symbolbild) – Himmel: Pixabay/DerTobiSturmjagd; Gras: Pixabay/Bessi; Vogel: Twitter; Mammut: Mastodon.social; Montage: netzpolitik.org

Noch nie ging es Twitter so schlecht wie jetzt. Vor einer Woche haben wir geschrieben, Twitter-Chef Elon Musk hat seine neue Firma gerupft. Diese Woche hat er ihr die Knochen gebrochen.

Die alte Chefetage, die Hälfte der festen Belegschaft und ein Großteil der Angestellten in Subunternehmen, sie alle sind weg. Den übrigen Angestellten hat Musk am gestrigen Donnerstag ein absurdes Ultimatum gestellt. Sie sollten sich zu einer „Hardcore“-Arbeitskultur mit Überstunden verpflichten und diese Entscheidung per Klick auf einen Button kundtun – oder verschwinden. Hunderte Angestellte haben das nicht mit sich machen lassen, wie US-Medien berichten. Erneut schrumpfte die Belegschaft von Twitter schlagartig. Offenbar aus Angst vor Rache-Aktionen hat Musk daraufhin das Twitter-Büro schließen lassen.

Vor kurzem war die Frage, ob Twitter noch ein Mindestmaß an IT-Sicherheit und Inhaltemoderation für seine Nutzer*innen gewährleistet. Inzwischen lautet die Frage eher, wie lange Twitter überhaupt noch den gewohnten Betrieb aufrecht erhalten kann. Musk selbst macht sich am heutigen Freitag darüber lustig und postet ein Meme, in dem Twitter die eigene Beerdigung feiert.

Angeheizt von der Twitter-Kernschmelze bekommt das dezentrale soziale Netzwerk Mastodon vermehrt Zulauf. Hunderttausende fragen sich: Kann Mastodon und das damit verbundenen Fediverse ihre neue neue, digitale Heimat werden? Bleibt Mastodon in der Nische oder wird es ein zentraler Schauplatz der digitalen Öffentlichkeit? Um das zu beantworten, ist die bloße Anzahl aktiver Accounts wohl weniger entscheidend. Auch Twitter war nie ein Massenphänomen, und im Vergleich zu Facebook und Instagram ein Winzling.

Wanderlust bei Politik und Behörden

Entscheidend für die gesellschaftliche Bedeutung einer Plattform sind vielmehr die prägenden Akteur*innen aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft, die sich dort vernetzen, debattieren und exklusive Neuigkeiten verbreiten. Ob Mastodon möglicherweise diese Funktion übernehmen kann, hängt davon ab, wie viele wichtige Accounts den Umzug wagen – und dann auch bleiben. Dafür gibt es zumindest erste Hinweise.

Gleich mehrere Bundesministerien sind schon bei Mastodon, zum Beispiel das Wirtschaftsministerium seit November, das Innen– und das Außenministerium seit Oktober, das Bildungsministerium seit März. Hinzu kommen weitere Behörden auf Bundes- und Landesebene, unter anderem der Deutsche Wetterdienst, der hessische Landtag sowie Datenschutzbehörden von Bund, Sachsen und Baden-Württemberg. Auf EU-Ebene nutzen etwa die EU-Kommission und der Europäische Datenschutzbeauftragte das Netzwerk. Unter anderem der Bund und die EU betreiben für amtliche Accounts eigene Instanzen.

Bei Politiker*innen sind es vor allem netzaffine, die den Sprung zu Mastodon gewagt haben, zum Beispiel Saskia Esken (SPD), Konstantin von Notz (Grüne) und Anke Domscheit-Berg (Linke).

Unis, NGOs und Nachrichtenmedien auf Mastodon

Einige Universitäten sind bereits seit einer Weile auf Mastodon zu finden, die Uni Mannheim seit April, die Uni Freiburg seit 2021, die Uni Ulm seit 2020.

Auch Akteur*innen der Zivilgesellschaft entdecken Mastodon für sich. Human Rights Watch ist seit November dabei, der gemeinnützige Verein Lobby Control seit Ende Oktober, außerdem mehrere lokale Gruppen von „Fridays For Future„.

Accounts von klassische Medien tauchen vermehrt auf Mastodon auf, doch nicht alle sind offiziell. Die taz verfasst ihre Posts selbst, ebenso die Satire-Seite Postillon, das ZDF Magazin Royale, Jan Böhmerman und netzpolitik.org. Nicht nur bei Accounts von Nachrichtenmedien gilt: Vorsicht vor Fakes. Blaue Haken wie auf Twitter gibt es bei Mastodon nicht. Wer auf Mastodon mit einem blauen Haken unterwegs ist, hat ihn einfach händisch in den eigenen Account-Namen geschrieben – er hat keine Bedeutung.

Neue Accounts finden und Fakes vermeiden

Ein starkes Indiz dafür, dass ein Mastodon-Account kein Fake ist: Wenn die Betreiber*innen ihren Mastodon-Account auch auf eigenen, offiziellen Seiten verlinken. Zum Beispiel hat Saskia Esken ihren Mastodon-Account auf ihrer verifizierten Facebook-Seite erwähnt. Um das zu finden, braucht es jedoch einige Klicks. Einfacher ist es, wenn Nutzer*innen solche Verlinkungen direkt im eigenen Mastodon-Profil hinterlegen. Und wenn man seinen Mastodon-Account auf einer eigenen Website geschickt verlinkt und mit einem kleinen Attribut versieht, dann wird der Link im Mastdon-Profil sogar farblich hervorgehoben.

Auf der Website mastodir.de entsteht derzeit eine Sammlung von Mastodon-Accounts, deren Inhalte „dem Gemeinwohl dienen“, wie es auf einer FAQ-Seite heißt. Nicht gelistet werden demnach rein private Accounts, die Dinge schreiben wie „heute war ich radfahren“. Am Freitagmittag waren bei mastodir bereits rund 740 Accounts zu finden, aufgefächert nach Themen wie Bildung, Gesundheit und Wissenschaft.

All das macht wohl noch keine kritische Masse aus – aber zumindest bewegt sich etwas. Das Momentum für Mastodon ist jetzt. Wer selbst Wanderlust bekommt, findet hier unser Tutorial für die ersten Schritte sowie Tipps, wie man seine Twitter-Follower*innen auf Mastodon automatisch wiederfindet. Ob die neue Geschäftigkeit auf Mastodon nachhaltig ist, kann niemand seriös vorhersagen. Es hängt sicher auch davon ab, was von Twitter übrig bleibt, wenn Macho-Milliardär Musk damit fertig ist.


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