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Linksklick: Wer „Indie-Schrott“ sagt, verpasst das Beste

Deutsche Spiele haben ein Image-Problem. Schuld daran: Mal wieder der Servicejournalismus.

Symbolbild - Gaming Controller
Symbolbild – Gaming Controller CC-BY-NC-SA 4.0 owieole

Vor einigen Wochen geisterte eine besorgniserregende Schlagzeile durch die deutsche Spielebranche: Die Fördertöpfe der bundesweiten Gamesförderung sind leer – nicht nur für 2022, sondern direkt auch noch für das kommende Jahr. Dass irgendwann kein Geld für neue Projekte da sein würde, war allen klar, aber dass es jetzt schon soweit sei, erwischte viele Teams auf falschem Fuß, die fest mit der Förderung geplant hatten.

In den nächsten Tagen rollte eine mittelgroße Panikwelle über die Branche, es wurde nach Auswegen, anderen Geldtöpfen und Aufträgen gesucht, um die nun wegbrechenden Finanzierungspolster doch noch irgendwie zu retten. Und im Kommentarbereich dieser Ereignisse? Vielfach Häme und Unverständnis, geäußert von SpielerInnen, aber auch von einigen JournalistInnen. „Gut, die machen eh nur Indie-Schrott“, so heißt es immer wieder.

Deutsche Spiele? Anno, Spec: Ops und noch irgendwas

In den Köpfen dieser Kommentatoren hält sich hartnäckig ein Bild, das jahrelang auch von der Spielepresse hierzulande gespiegelt wurde: Deutschlands Spiele, das sind vor allem Wirtschaftssimulationen aus grauer Vorzeit mit Namen wie „Die Fugger“ oder „Die Hanse“, Aufbausimulationen wie „Anno“ oder „Die Siedler“ und schließlich der immer wieder zitierte Vorzeigetitel, das schamlos gute Antikriegsspiel „Spec Ops: The Line“ – das allerdings auch schon elf Jahre auf dem kriegstraumatisierten Buckel hat.

Und sonst? Indie-Schrott, wohin man blickt, das zumindest glauben die oben zitierten Kommentatoren. Sie blicken sehnsüchtig-kritisch zu amerikanischen oder japanischen Produktionshallen und wundern sich: Warum gibt es so gute Spiele nicht auch in Deutschland?

Nun, die gibt es – aber nur wenige von ihnen bekommen die Aufmerksamkeit von den Medien, die sie eigentlich verdienen würden. Woran liegt das?

Ein Beispiel: René Habermann und seine Frau Anne arbeiteten über zwei Jahre an einem Prototypen, der ursprünglich auf einem Game Jam innerhalb weniger Stunden entstand. Ihre Idee ist simpel: Auf fremden Alienplaneten müssen SpielerInnen tief im Erdinnern nach Ressourcen graben und sie zurück in die Basis auf der Erdoberfläche bringen. Regelmäßig versuchen Aliens, diese Basis anzugreifen und zu zerstören. Wer also zu lange und rücksichtslos unterirdisch zugange ist und die Bedrohung ignoriert, landet schnell im Game Over Stream.

Sie nennen ihr Spiel schließlich „Dome Keeper“, finden über Twitter einen Publisher, veröffentlichen ihr Game im Herbst diesen Jahres – und landen einen Riesenerfolg: Nach gerade einmal 24 Stunden knacken ihre Einnahmen die 1-Millionen-Dollar-Marke. Und die deutsche Spielepresse? Schweigt sich über den Riesenhit aus Deutschland tot und schreiben stattdessen den dritten Vorschau-Artikel über den nächsten Blockbuster mit Riesenbudget, der erst in Monaten erscheinen wird.

Journalismus, der die falschen Fragen stellt

Die Ursache für dieses Ungleichgewicht in der Berichterstattung sind die Fragen, die der moderne (Spiele-)Journalismus stellt: Nicht „Was sollten die Menschen wissen“, sondern „was wollen die Menschen wissen“.  Nur ein Wort Unterschied, aber die Implikationen sind gigantisch.

Heute diktieren die häufigsten Suchanfragen und Trends die Inhalte, die auf den Websites zu sehen sind. Und hier haben die Fortsetzungen und altbekannten Franchises, die viel Marketingbudget und längst ihre langjährigen Fans haben, immer die Nase gegenüber den kleinen Titeln vorn. Die Konsequenz daraus sind nicht nur monothematische Themenblöcke, die sich einheitlich über die Websites der größten Magazine ziehen, sondern auch gleich zwei blinde Augen für den kreativen Nachwuchs, der in Deutschland Spiele entwickelt.

Und das ist frustrierend, nicht zuletzt für die EntwicklerInnen selbst, die mehr denn je um Aufmerksamkeit für ihre Arbeit kämpfen müssen. Jede Woche erscheinen auf Steam, der größten und wichtigsten Vertriebsplattform für Computerspiele, um die 300 neue Spiele aus der ganzen Welt. Aus dieser Masse hervorstechen, wie es den Habermanns und ihrem Dome Keeper gelang, ist enorm – insbesondere, wenn JournalistInnen ihren Blick nicht auf diese Plattformen, sondern nur auf Google Analytics richten.

Das Sommerlochmärchen

Vor diesem Hintergrund kommt es dann schon fast Hohn gleich, wenn ebendiese JournalistInnen zwischen den Giganto-Releases bemängeln, dass „keine Spiele erscheinen“ – häufig gehört in den Sommermonaten, die dann alljährlich „Sommerloch“ getauft werden. Aber auch in dieser Zeit richtet sich der Blick selten auf die Release-Listen der Indie-Welt, sondern lieber auf den sogenannten Pile of Shame: Der Berg an Spieleklassikern, der schon gekauft, aber bisher noch nicht ausprobiert wurde. Empfehlungslisten für Games, die nun endlich nachgeholt werden können, überschlagen sich, während Indie-Entwicklerinnen ungesehen bleiben.

Das ist unfair, unausgeglichen und vor allem auch: kein guter Journalismus. RedakteurInnen, die sich mit diesen Zeilen angesprochen fühlen, sollten sich daran erinnern, dass es ebenso eine Welt jenseits von Google Analytics, wie auch eine Welt jenseits der großen Mainstream-Releases gibt. Beides sollte nicht vergessen werden, denn sonst verpassen wir das Beste.


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