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Klimaproteste: Im Fadenkreuz der Verdrängungsgesellschaft

Die Verdrängungsgesellschaft fühlt sich gestört von Menschen, die unnachgiebig und mit Mitteln des zivilen Ungehorsams auf die drohende Klima-Katastrophe hinweisen. Sie baut bis in höchste Regierungskreise ein neues Feindbild auf – und attackiert Versammlungsfreiheit und Demokratie. Das ist gefährlich. Ein Kommentar.

Ein Aktivist der Letzten Generation hat sich auf einer Straße in München festgeklebt.
Ein Aktivist der Letzten Generation hat sich auf einer Straße in München festgeklebt. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / ZUMA Wire

Manchmal wünscht man sich ganz besonders, dass alle einmal innehalten, die Fakten einordnen, durchatmen und erst dann mit ihren Statements loslegen. Nein, ich rede nicht von der Implosion bei Twitter, wo alles so rasant in sich zusammenfällt, dass man nur staunend zuschauen kann. In diesem Text geht es um die elf Tage seit dem Unfalltod einer Fahrradfahrerin durch einen Betonmischer in Berlin – und die Schuldzuweisungen an Teile der Klimabewegung, eine erregungsheischende Berichterstattung und daraus folgende Attacken auf die Versammlungsfreiheit.

Und die haben es in sich: Die bayerische Polizei steckte Klimaaktivist:innen in Präventivgewahrsam, die CDU fordert Strafverschärfungen und will das Versammlungsrecht indirekt beschneiden, der Kanzler rüffelt die Klimaproteste der Letzten Generation, der Bundesjustizminister spricht von Gefängnisstrafen für die Demonstrierenden, die Innenministerin unterstützt ein hartes Durchgreifen der Polizei während andere Politiker:innen die Proteste als „demokratiefeindlich“ bezeichnen. Der hessische CDU-Justizminister brachte gar Terror-Anklagen ins Spiel. Es fehlte nur eigentlich nur noch, dass jemand das Verbot von Warnwesten und Sekundenkleber forderte.

Heraus kam auch: In Berlin lässt der Innensenat der rot-grün-roten Landesregierung, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, sogar exklusiv Beweise gegen Klima-Aktivisten durch die Feuerwehr sammeln. Als gäbe es keine sonstigen Demos, Unfälle, Baustellen, fehlende Rettungsgassen, Fanmeilen, Zweitreihenparker, Großveranstaltungen, Karnevals und Marathons, die Hindernisse für Rettungswägen im täglichen Verkehrs-Infarkt der Hauptstadt darstellen. Das ist Kampagne statt Empirie. 

Gleichzeitig trommeln Bild, Welt und Focus in einem medialen Dauerfeuer einmütig zusammen mit rechtsradikalen Stimmungsmachern gegen die Klimaproteste. Ein Feindbild wird gemacht. Es geht gegen diejenigen, die gerade am sichtbarsten auf die Klimakatastrophe aufmerksam machen. Die Verdrängungsgesellschaft will nicht gestört werden, sondern weiter Brumm-Brumm und Bling-Bling machen. Bei Springer stellt man den bekannten Klima-Aktivisten Tadzio Müller an den Pranger. Man nimmt dort offenbar wieder in Kauf, dass sich irgendwann jemand aufgerufen fühlen könnte, Gewalt an Aktivist:innen zu verüben.

Ein Feindbild wird gemacht

Man sollte über die Art und Weise und die Adressat:innen des Protestes der Letzten Generation diskutieren, man muss diese Gruppe und ihren verbissen-humorfreien Habitus nicht gut finden, man kann ihre Strategie für grundfalsch halten. Man kann aber auch einfach nüchtern und anerkennend feststellen: Die Klimakrise ist das drängendste Problem der Menschheit, die Ampel-Regierung verfehlt die Klimaziele krachend – und die Letzte Generation macht darauf unübersehbar gewaltfrei aufmerksam.

Es sind Proteste, die man nicht einfach umarmen oder ignorieren kann, so wie das mit den bunten, netten Großdemos von Fridays for Future leider zu oft passiert ist. Es sind Proteste, die stören und verstören, die nerven und irgendwie nicht aufhören wollen. Doch die Protestform des zivilen Ungehorsams ist der Dramatik der Situation angemessen. Man wundert sich doch fast, dass angesichts des apokalyptischen Szenarios, auf das die Menschheit mit Scheuklappen zusteuert, nicht schon ganz andere Aktionen auf der Tagesordnung stehen. 

Ziviler Ungehorsam gehört nicht erst seit Gandhi und Martin Luther King zum vielstimmigen Chor demokratischer Protestbewegungen. Der Ungehorsam folgt demokratischen Spielregeln und äußert sich in kalkulierten Regelverletzungen symbolischen Charakters. Das kann ein Festkleben auf der Straße sein oder das Bewerfen eines verglasten, berühmten Bildes mit Kartoffelbrei. Die Illegalität der Aktion weist dabei auf die politische Dringlichkeit der Forderung hin. In diesem Fall die Dringlichkeit der Klimakrise, die schon heute Menschen tötet und Millionen zur Flucht zwingt. Die Öffentlichkeit der Aktionen schützt davor, dass Menschen aus Partikularinteressen oder aus Eigennutz Regeln und Gesetze brechen. Es geht auch um die Zukunft derer, die im Stau stehen.

Die Methode des Zivilen Ungehorsams ist klar und unmissverständlich. Wer sich über die Störungen echauffiert, will entweder über die eigene Unfähigkeit zur Lösung der Klimakrise hinwegtäuschen, hat ein Problem mit demokratischem Protest generell – oder Klimaprotest im Besonderen. Um das zu kaschieren, reden Anhänger:innen der Verdrängunsgesellschaft von einem blockierten Rettungswagen. Und reiben sich dabei erfreut die Hände, dass sie endlich draufhauen können. Endlich hat man einen Sündenbock, auf den man einprügeln kann, weil er die ignorante Routine stört.

„Vor Erstarrung in geschäftiger Routine bewahren“

All jenen, die Zeter und Mordio gegen demokratische Proteste schreien, sollten wir den Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes entgegenhalten, diesen Richterspruch, der die Versammlungsfreiheit und damit die Demokratie in Deutschland als Ganzes stärkte. Dort heißt es, Versammlungen seien „ein Stück ursprünglichungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren“. Die ungehinderte Ausübung des Freiheitsrechts wirke dem Bewusstsein politischer Ohnmacht und gefährlichen Tendenzen zur Staatsverdrossenheit entgegen. Und nein, es geht im Brokdorf-Urteil nicht nur um angemeldete Demonstrationen.

Selbstverständlich müssen alle Formen des zivilen Ungehorsams immer wieder moralisch und auch gerichtlich überprüft werden. Es kann Situationen geben, in denen die Anwendung dieser Protestform unangebracht, falsch, illegitim oder auch illegal ist. Die Debatte um zivilen Ungehorsam und seine Legitimität gehört zu dieser provokativen, demokratischen Aktionsform dazu.

Auch vor Gericht werden die Blockaden unterschiedlich bewertet und bestraft. Das geht von Verurteilungen wegen Nötigung bis hin zu einem Amtsrichter, der es ablehnte, eine Aktivistin zu bestrafen. Das begründete er mit der „objektiv dringlichen Lage“ der Klimakrise und damit, dass die Blockade „nicht verwerflich“ gewesen sei.

Der Streit geht also weiter. Wir sollten ihn nicht auf Kosten der Versammlungsfreiheit und nicht auf dem Rücken der Demokratie führen.


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