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EncroChat: EuGH soll Rechtmäßigkeit von Beweismitteln klären

Nachdem französische Ermittler:innen vor gut zwei Jahren den Messengerdienst EncroChats hackten, löste dies europaweit eine Flut an Ermittlungen gegen Verdächtige aus. Ob die damals sichergestellten Daten überhaupt als Beweise dienen dürfen, muss jetzt der Europäische Gerichtshof klären.

Der Münchner Generalstaatsanwalt Reinhard Röttle, Bayerns Justizminister Georg Eisenreich, der bayerische Innenminister Joachim Herrmann und der Leitende Kriminaldirektor Alfred Kauper vom Polizeipräsidium Oberfranken stehen neben zwei beschlagnahmten Sportwagen
Der Münchner Generalstaatsanwalt Reinhard Röttle, Bayerns Justizminister Georg Eisenreich, der bayerische Innenminister Joachim Herrmann und der Leitende Kriminaldirektor Alfred Kauper vom Polizeipräsidium Oberfranken sind der Mafia auf der Spur – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / ZUMA Wire

Die juristische Bewertung der EncroChat-Hacks durch die Gerichte geht in die nächste Runde – und obliegt nun dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Anfang November setzte das Landgericht Berlin die Hauptverhandlung in einem einschlägigen Verfahren aus und legte dem EuGH eine Reihe von Fragen vor.

Zusammenfassend soll das Luxemburger Gericht klären, ob deutsche Ermittlungsbehörden gegen EU-Recht verstoßen haben, als sie die EncroChat-Daten erlangten, und wie sich ein potentieller Rechtsbruch auf deren Verwertbarkeit in Strafverfahren auswirkt.

Tausende Verhaftungen in ganz Europa

Im Juni 2020 hatten französische Ermittler:innen die Verschlüsselung des Messengerdienstes EncroChat geknackt – eine Art WhatsApp für Kriminelle. Ein Großteil der bis zu 60.000 Nutzer:innen aus 120 Ländern hatten EncroChat mutmaßlich für Drogen- und Waffengeschäfte verwendet.

Die Ermittler:innen drangen offenbar in das EncroChat-Netzwerk ein und installierten Malware auf den Endgeräten der Kunden. Details, wie sie dabei vorgingen, geben die französischen Behörden nicht preis. Die Funktionsweise des Überwachungsprogramms unterliegt grundsätzlich dem französischen Militärgeheimnis.

Auf diese Weise gelangten die Ermittler:innen vor allem an zahlreiche Chatprotokolle. Die so gewonnenen Beweise führten in den vergangenen Monaten allein in Deutschland zu bislang rund 3.200 Ermittlungsverfahren und 1.400 Haftbefehlen. Erste Verurteilungen gab es bereits unter anderem in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.

Juristisch umstrittene Massenausspähung

Das Bundeskriminalamt und die deutschen Staatsanwaltschaften hegen offenbar keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen sowie an der Verwertbarkeit der erlangten Datenbestände. Sie berufen sich unter anderem auf den „Grundsatz gegenseitiger Anerkennung“, wonach ein jeder EU-Mitgliedstaat das Recht eines anderen Mitgliedstaates als gleichwertig anerkennt.

Unter Jurist:innen ist die Verwertung der Chats für die Strafverfolgung allerdings umstritten. Zweifelhaft ist zum einen, ob deutsche Ermittlungsbehörden rechtlich befugt waren, die Kommunikationsdaten, die faktisch im Rahmen einer anlasslosen Massenüberwachung erhoben wurden, zu erhalten und zu nutzen. Zum anderen ist auch aus Sicht des Landgerichts Berlin unklar, ob die Integrität und Authentizität der Encrochat-Datenbestände gewährleistet ist.

Vor diesem Hintergrund meldeten im Februar dieses Jahres auch Strafverteidiger aus ganz Europa zusammen mit der NGO Fair Trials „massive rechtsstaatliche Bedenken und Sorgen“ hinsichtlich der Datenerhebung und -verwertung an. Sie kritisieren, dass die beteiligten Justiz- und Strafverfolgungsbehörden die Rechte der Beschuldigten missachteten.

14 Fragen an das EuGH

Das Landgericht Berlin bittet den EuGH festzustellen, ob die deutschen Ermittlungsbehörden gegen EU-Vorschriften verstoßen haben, als sie über Interpol Daten aus dem EncroChat-Hack erlangten, und wie sich dies auf die Verwertbarkeit der erlangten Informationen in Strafverfahren auswirke.

Grundsätzlich muss der EuGH klären, ob das Vorgehen der französischen Ermittler:innen und Behörden legal war, ob die deutschen Behörden die Grenzen ihrer Ermittlungsbefugnisse umgingen und ob die Beweise vor Gericht verwendet werden dürfen.

Eine zentrale Rolle spielt dabei die Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen. Sie legt fest, unter welchen Bedingungen Polizeien eines Mitgliedstaats Zwangsmaßnahmen in einem anderen Staat verlangen können. Entsprechende Ermittlungsanordnungen (EEA) sind die Grundlage dafür, dass deutsche Ermittler:innen Daten aus dem europäischen Ausland beziehen können.

Das Landgericht Berlin hat diesbezüglich 14 Fragen an den EuGH übermittelt. Unter anderem will es wissen, ob es versäumt wurde, dass ein deutsches Gericht vorab eine EEA anordnet, um an die EncroChat-Daten zu gelangen. Außerdem bittet es das Luxemburger Gericht zu klären, ob Daten von Frankreich nach Deutschland übermittelt werden dürfen, auch wenn deren Erhebung hierzulande unzulässig wäre. Und nicht zuletzt geht es um die Frage, ob Beweise, die gemäß EEA rechtswidrig gesammelt wurden, noch gerichtlich verwertet werden können und ob hier eine Abwägung hinsichtlich der Schwere der Tat möglich ist.

Ping-Pong zwischen den Gerichten

Die Klärung dieser rechtlichen Fragen beschäftigt verschiedene deutsche Gerichte bereits seit längerem. Bereits im Juli vergangenen Jahres hatte das Berliner Landgericht entschieden, dass der EncroChat-Hack einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das Telekommunikationsgrundrecht nach Artikel 10 Grundgesetz und in das sogenannte IT-Grundrecht darstelle. Nur wenige Wochen später hob das Berliner Kammergericht diese Entscheidung wieder auf. Es sah die übermittelten Daten als „Zufallsfunde“ an, die im Rahmen anderer Strafverfahren angefallen seien; außerdem gelte bei Übermittlungen aus anderen EU-Staaten ein „eingeschränkter Prüfungsmaßstab“. Auch der Bundesgerichtshof sah in einem darauf folgenden Revisionsverfahren keine Anhaltspunkte dafür, die gehackten Daten nicht verwenden zu dürfen, sofern diese zur Aufklärung schwerer Straftaten beitrügen.

Dessen ungeachtet zeigte sich das Landgericht Berlin beharrlich. Aus Sicht der dortigen Richter:innen wirft die Art und Weise, wie die EncroChat-Daten abgefangen, ausgeleitet, gespeichert und europaweit weitergeben wurden, „diverse komplexe Fragen insbesondere im Zusammenhang mit der Integrität“ der Informationen auf. Gerade dieser Aspekt sei „für eine wirksame Verteidigung von zentraler Bedeutung“.

In dem Fall vor dem Berliner Landgericht wird einem Angeklagten vorgeworfen, im Frühjahr 2020 mit Marihuana und Kokain gehandelt und damit gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen zu haben. Der Fall fußt vor allem auf Beweisen aus dem EncroChat-Hack.


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