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Degitalisierung: Alles anders bis vorgestern

Deutschland ist Weltspitze: im langjährigen Verschlafen, Verweigern oder Scheitern bei der Umsetzen krisenfester digitaler Veränderung. Unsere Kolumnistin findet, diese Eigenschaft hat eine eigene Wortschöpfung verdient.

Symbolbild - Stapel Akten
Symbolbild – Digitalisierungstatus Deutschland CC-BY-NC-SA 4.0 owieole

In der heutigen Kolumne soll es um digitale Resilienz gehen. Wie es damit in der öffentlichen Verwaltung oder im Gesundheitswesen aussieht, werden wir sehen.

Resilienz ist eigentlich ein Begriff aus der Psychologie und beschreibt die Anpassungsfähigkeit, mit der Menschen auf Probleme und Veränderungen reagieren können.
Im Digitalen könnte es verstanden werden als die Fähigkeit, schwierige Situation mit Hilfe digitaler Technologien ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen.
Allerdings ist der Begriff im Digitalen gar nicht so klar definiert. Er wird in letzter Zeit trotzdem gerne verwendet.

In der Digitalstrategie zum Beispiel findet sich der Begriff an etlichen Stellen, unter anderem im Kontext des Gesundheitswesens, bei der Cybersicherheit, bei der Landesverteidigung sowie erstaunlicherweise als „Grundlage für Teilhabe und Resilienz aller Bürgerinnen und Bürger“.

Resilient gegen Veränderung

Irgendwie alles resilient im Zielbild der Digitalstrategie? Mag sein, aber die Realität sieht anders aus. Für sie kann attestiert werden: Deutschland ist ein im ausgeprägten Maße digital resilienter Staat. Allerdings ist das gemeint im Sinne der langjährigen Verweigerung irgendwelcher digitalen Veränderung. Sowohl deutsche Ämter als auch das Gesundheitswesen haben sich so lange erfolgreich der Digitalisierung widersetzt, dass es immer noch scheint, als würden sie das Digitale einfach aussitzen können.

Verwaltungsleistungen wie Kindergeld bequem online beantragen? Wird wohl trotz ambitioniertem Zeitplan und Beschluss vor fünf Jahren auch bis Ende 2022 nichts, nicht mal annähernd. Digitales Gesundheitswesen? Eine Großbaustelle nach wie vor, bei der Teile bereits wahlweise eingestürzt sind wie das Videoident-Verfahren oder schon wieder erneuert werden müssten wie die Konnektoren – wobei selbst das nicht besonders sinnig ist.

So gesehen ist die Digitalisierung dieser Bereiche eine vorbildhaft digital resiliente Angelegenheit. Digitale Resilienz in diesem Sinne ist aber nicht erstrebenswert und um diese Art von Resilienz von der guten Resilienz abzugrenzen, verwende ich jetzt mal einen anderen Begriff. Langjähriges Verschlafen, Verweigern oder Scheitern im Umsetzen krisenfester digitaler Veränderung ist keine digitale Resilienz, es ist digitale Desilienz. Von da geht es im Vergleich zu anderen digital reifen Staaten eigentlich nur nach unten.

Woran digitale Resilienz oft scheitert

Nun arbeite ich seit mehr als zwei Jahren in einem Bereich, für den es einiges an Resilienz braucht: Ich begleite digitale Transformation in einer Pandemie im Öffentlichen Gesundheitswesen in einer Verwaltung. Das hat mich dann doch einiges über digitale Resilienz gelehrt – auch woran sie speziell in Verwaltungen oder im Gesundheitswesen scheite…

Ein Rumsen im Zug, quietschende Bremsen. Mein Zug hält gerade in einem Tunnel.

Durchsage: „Ja meine Damen und Herren, gerade eben kam eine Weiche aus dem Gleisbett heraus und hat spontan eine Baustelle eröffnet, es geht aber gleich weiter.“

Zugegeben, meine persönliche Resilienz hat sich durch Bahnfahren in den letzten Monate noch einmal erhöht. Aber zurück zum Text.

Öffentliche Verwaltungen, aber auch die Verwaltung von Gesundheitsleistungen, sind sehr gut darin, wenig resilient zu sein. Warum? Weil sich deren schwerfällige analoge Strukturen oft eins zu eins im Digitalen abgebildet finden. Oder wie ich schon einmal am Beispiel von Pandemiedaten erklärte: Es ist nicht sinnvoll zu erklären, dass Corona-Zahlen am Wochenende frei haben, wenn es sich doch eigentlich um Daten handelt, die automatisch übermittelt werden könnten.

Das liegt oft an der schnöden Umsetzung einer behördlichen Pyramidenstruktur. 
Amt muss die Daten an eine Landesbehörde senden, welche die Daten an eine Bundesbehörde senden muss. 
Viele Sender über einen Single Point of Failure zu einem Empfänger. Klar, die Hierarchie könnte auch wesentlich flacher, einfacher, ausfallsicherer und damit resilienter sein. Stünde da nicht der gesetzlich festgelegte Ablauf im Wege.

Zum Standardvorgehen bei neuen digitalen Aufgaben scheint es in Deutschland auch zu gehören, im Digitalen erst einmal eine weitere Behörde – und damit einen weiteren möglichen Single Point of Failure – zu schaffen, wie etwa das Dateninstitut oder die Registermodernisierungsbehörde.

Ganz zu schweigen von kritischen Situationen, in denen Kommunen einander gegenseitig unterstützen könnten. Das wäre sinnvoll, etwa bei Ransomware-Angriffen wie im Katastrophenfall im Landkreis Anhalt-Bitterfeld 2021 oder beim jüngsten Ransomware-Vorfall im Rhein-Pfalz-Kreis. 
Stattdessen geht dann gar nichts mehr für eine gewisse Zeit. Und das trotz der Tatsache, dass Kommunen oft sehr gleiche Verwaltungsleistungen anbieten.

Manchmal bringt schon die im normalen Arbeitsalltag notwendige Veränderung von digitalen Tools Behörden in zeitlichen Verzug. Diese kann nicht einmal mit der Geschwindigkeit der Veränderungen gesetzlicher Grundlagen Schritt halten.
 Die Ehe für alle konnte teilweise erst mehr als ein Jahr nach ihrer Einführung 2017 vollzogen werden, weil die relevante Software der Personenstandsregister erst dann so weit war.


Es ploppt eine Warnung meines Laptops auf:
Laptop: „Batterie fast leer“
Laptop: „Ohne Stromzufuhr aktiviert dein…“


Gut, kommen wir zu möglichen Auswegen aus der selbstverschuldeten digitalen Desilienz: Für digitale Resilienz braucht es lauffähige Prozesse, die digitale Tools immer wieder an die Gegebenheiten anpassen können. Es braucht verteilte digitale Kompetenzen an möglichst vielen unterschiedlichen Orten. Es braucht die Befähigung aller Beteiligten, möglichst eigenständig handeln zu können, auch wenn die Strukturen drumherum zusammenbrechen – etwa das Amt oder die Gesundheitseinrichtung nebenan. Das alles in möglichst einfachen Hierarchien und Verbindungen ohne künstliche Single Points of Failure.

In Hinsicht auf digitale Resilienz heißt das für manche Verwaltung aber fast schon: Alles anders bis vorgestern.


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