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Interview mit Katharina Nocun: „Die Verharmlosung der Esoterik ist extrem gefährlich“

In ihrem neuen Buch „Gefährlicher Glaube“ warnen die Autorinnen Pia Lamberty und Katharina Nocun vor der „radikalen Gedankenwelt der Esoterik“. Wir haben mit Katharina Nocun über spirituelle Geldmacherei, esoterische Influencer:innen und braune Traditionslinien gesprochen.

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Der Grat zwischen vermeintlich „sanfter“ und gefährlicher Esoterik ist schmal Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com petr sidorov

netzpolitik.org: In eurem neuen Buch beschreibt ihr, wie esoterische Gruppierungen das Internet von Beginn an für ihre Zwecke genutzt haben. Ist es nicht merkwürdig, dass Esoteriker:innen keinen Widerspruch darin sehen, spirituelle Rückbesinnung auf die Natur in einer datengetriebenen Platinenwelt zu betreiben? Digitalisierung geht bekanntlich mit Strahlung einher – Wlan, 5G und vieles mehr. Wie passt das zusammen?

Katharina Nocun: Ja, das fragt man sich oft, wenn man sich näher mit dem Markt für Esoterik beschäftigt. Wir haben für unsere Recherchen auch Esoterik-Messen besucht. Dort wurden unter anderem Aufkleber für Handys verkauft, die angeblich gefährliche Strahlen unschädlich machen. Warum das Handy dann aber noch funktionieren kann, ist ein Rätsel und spricht ganz klar dagegen, dass diese Aufkleber wie versprochen wirken.

Solche Beispiele gibt es etliche und sie veranschaulichen gut, welcher Blick auf Technik im Milieu anzutreffen ist. Zum einen verbreiten esoterische Narrative ohne faktische Grundlage Ängste. Zum anderen wissen viele in der Szene aber auch, dass das Internet den Umsatz ankurbeln kann. Und das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum viele Medien, Heiler:innen und Gurus während der Corona-Pandemie plötzlich gewahr wurden, dass sie über Fernheilungskräfte verfügen, für die ihre Kund:innen per PayPal zahlen. Fakt ist: Im Netz lässt sich mit Esoterik unglaublich viel Geld verdienen.

Dabei verschwimmt oft auch die Grenze zwischen Täter:innen und Opfern. Es gibt unzählige Geistheiler:innen, die nicht nur heilen, sondern auch Workshops anbieten. Dort kannst du zertifizierter Wahrsager, Geistheiler:in oder was auch immer werden. Ähnliches gibt es auch für den Verkauf esoterischer Produkte. Die Teilnehmer:innen dieser Fortbildungen zahlen Hunderte oder Tausende von Euro und kaufen danach in großer Zahl Produkte ein, die sie dann selbst als Reseller weiterverkaufen. Am Ende sind sie nicht nur psychologisch, sondern auch ökonomisch in der Welt der Esoterik gefangen.

Esoterische Influencer:innen auf Instagram und TikTok

netzpolitik.org: Geht es im Netz aber vorrangig um spirituelle Geldmacherei? Welche Rolle spielt es für Esoteriker:innen, sich untereinander online auszutauschen oder auch den Kreis der Gleichgesinnten zu vergrößern, also gewissermaßen zu missionieren?

Katharina Nocun: Das ist für die Szene alles gleichermaßen wichtig. Nicht erst seit der Corona-Pandemie haben soziale Netzwerke und Messengerdienste im verschwörungsideologischen und esoterischen Milieu eine überaus wichtige Rolle gespielt. So haben etwa junge Eltern esoterische Impflügen in Facebookgruppen ebenso zu lesen bekommen wie auf Telegram.

Und natürlich dient Social Media Esoteriker:innen dazu, Reichweite zu generieren. Allerdings verfolgt nicht jedes Angebot primär die Absicht, Geld zu verdienen. Manche Anhänger:innen sind auch einfach sehr stark von dem überzeugt, was sie dort verbreiten. Selbst sektenähnliche Gruppierungen wie die Anastasia-Bewegung, die Technik geradezu verteufelt, setzen aufs Internet, um sich untereinander zu vernetzen oder um bestimmte Projekte zu bewerben.

netzpolitik.org: Wie unterscheiden sich esoterische Influencer:innen dabei von anderen?

Katharina Nocun: Die Unterschiede sind gar nicht so groß. Wie in der normalen Influencer-Szene kooperieren auch Esoteriker:innen miteinander, sie verlinken auf ihre Profile oder veranstalten gemeinsam Gesprächsformate. Und sie betreiben Schleichwerbung und führen ihren Follower:innen Produkte vor. Dabei verlinken sie auch externe Online-Shops, wo man dann zum Beispiel Ringe mit magischen Symbolen oder ähnliches bestellen kann. Die Methoden gleichen also denen der normalen Influencerszene.

Im Rahmen unserer Recherche haben wir uns auch einen Dienstleister angeschaut, der esoterisch angehauchte Influencer:innen auf Facebook, Instagram oder TikTok vermittelt. Dort kann man für ein paar hundert Euro Influencer:innen buchen, die dann gezielt ein esoterisches Produkt bewerben. Das ist schon irgendwie ironisch. Denn in der Esoterik-Szene wird ganz besonders gerne damit geworben, dass man authentisch sei und nicht aus kommerziellen Interessen handle.

netzpolitik.org: Gibt es innerhalb der sozialen Netzwerke auch Widerstand gegen esoterische Machenschaften?

Katharina Nocun: Es gibt einige Aktivist:innen und Influencer:innen, die versuchen online aufklären. Professor Schwurbelstein ist zum Beispiel auf Instagram, Twitter und vor allem auf Telegram aktiv. Er verbreitet gezielt kritisch kommentierte Inhalte aus den Filterblasen von Esoteriker:innen und Verschwörungsideolog:innen, durchaus mit Humor, aber er erklärt auch die Hintergründe. Sein Ziel ist es, dass Menschen bei bestimmten Begriffen wissen, dass sich dahinter beispielsweise die sogenannte „Neue Germanische Medizin“ verbirgt. Oder bewusst zu machen, dass Menschen Chlorbleiche besser nicht als „Wundermittel“ trinken sollten.

Das Problem ist allerdings, dass viele Menschen für solche Angebote nicht erreichbar sind. Wenn man sich auf den Esoterikmessen umschaut, dann sind die Besucher:innen dort zudem meist älter und gehören der Facebook-Generation an.

Hinzu kommt, dass Esoterik im Mainstream lange Zeit toleriert war. Ich bin mit Nachmittags-Talksendungen aufgewachsen, in denen Geistheiler:innen und Kartenleger:innen ernsthaft zu Schicksalen von Promis befragt wurden. Auch heute noch werden im Fernsehen ganz selbstverständlich irgendwelche Wunderheiler präsentiert, meist zwar als Kuriosität, aber es findet nach wie vor statt. Das heißt, für einen Teil der Bevölkerung erscheint Esoterik als nicht so problematisch, ja, sogar als unterhaltsam. Sie ist zwar ein wenig skurril, so glauben viele, aber sie schadet auch nicht. Und diese Einschätzung halte ich für extrem gefährlich.

Denn vielleicht geht man das erste Mal noch aus Jux zu einer Kartenlegerin. Spätestens aber wenn man sie befragt, weil man eine persönliche Krise hat oder wissen will, ob man bestimmte Aktien kaufen soll, ist es zu spät. Deshalb würde ich auch niemandem irgendeine Form der Esoterik empfehlen, weil der Grat zwischen vermeintlich „sanfter“ und gefährlicher Esoterik nur allzu schmal ist.

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Die Traditionslinien brauner Esoterik

netzpolitik.org: Wie schmal dieser Grat ist, das hat sich nicht zuletzt im August 2020 gezeigt, als Verschwörungsgläubige, Rechtsradikale und Reichsbürger:innen gemeinsam mit Esoteriker:innen versucht haben, das Reichstagsgebäude zu stürmen. Wie groß ist da aus deiner Sicht die ideologische Schnittmenge zwischen diesen Gruppierungen?

Katharina Nocun: Es gibt einen unseligen Pakt zwischen Verschwörungsideolog:innen und Esoteriker:innen. Und dieser Pakt währt schon ziemlich lange.

So spielen etwa Verschwörungserzählungen in der Esoterik-Szene gerade beim Thema Gesundheit eine große Rolle. Statt der Medizin – abwertend „Schulmedizin“ genannt – genießt dort etwa esoterisch geprägte sogenannte „Alternativmedizin“ Vertrauen, die zwar keine wissenschaftliche Evidenz vorweisen kann, dafür aber Anhänger:innen ein gutes Bauchgefühl gibt.

Auch in sektenähnlichen Gruppierungen, sogenannten Psychogruppen, übernehmen Verschwörungserzählungen eine wichtige Funktion. Sie dienen unter anderem dazu, die Anhängerschaft an autoritär agierende Führungspersonen zu binden, die dann quasi diktatorisch entscheiden können. Zugleich liefern ihnen Verschwörungsideologien die Grundlage für Immunisierungsstrategien, mit Hilfe derer sie sich nach außen abschotten. Die Verschwörungsideologien geben vor, welche Kritik legitim ist und welche nicht oder welche Medien von Feinden oder gar von dämonischen Kräften gesteuert werden.

Bei den verschwörungsideologischen Protesten haben wir immer wieder beobachten können, dass Esoteriker:innen auf den Bühnen standen und zum engen Kreis der Organisator:innen gehörten. Ein prominentes Beispiel ist Tamara K., also jene Heilpraktikerin, die in ihrer Rede unmittelbar vor dem sogenannten Sturm auf den Reichstag die Demonstrierenden dazu aufgerufen hat, die Treppen zum Eingang des Bundestages zu stürmen. Recherchen haben gezeigt, dass Tamara K. etliche Berührungspunkte mit der rechtsextremen Szene hatte. Das ist auch nicht allzu überraschend, weil Verschwörungserzählungen und Esoterik beide nach rechts eine große Offenheit zeigen.

Eine weitere Schnittstelle zu den verschwörungsideologischen Corona-Protesten bildet die sogenannte braune Esoterik, in der auch antisemitische Verschwörungsmythen eine Rolle spielen. Einige braune Esoteriker:innen verunglimpfen zum Beispiel wissenschaftlich fundierte Medizin als „verjudet“ und damit als bösartig. Auch negative Aspekte von Fortschritt und Moderne werden jüdisch codiert und als bedrohlich aufgefasst.

Die große Gemeinsamkeit beider Weltbilder ist aber ein dualistisches Weltbild, das alles in schwarz und weiß beziehungsweise in Gut und Böse aufteilt. Es gibt die Kräfte des Lichts und die Kräfte der Dunkelheit. Dazwischen gibt es keine Graustufen. Diese Vorstellung finden wir sowohl in der Esoterik als auch im Verschwörungsglauben vor.

Auf diese Weise vermitteln esoterisches Wissen und Verschwörungserzählungen den Anhänger:innen das Gefühl, zu einigen wenigen Erleuchteten zu gehören. Und das wertet sie natürlich auf gegenüber ihrem Umfeld.

Orientierung durch die eigene innere Göttlichkeit

netzpolitik.org: Esoterik und Verschwörungserzählungen überzeugen diese Menschen also deshalb, weil sie ihnen in einer komplexen Krisenlage Orientierung bieten?

Katharina Nocun: Ja, das kann eine Rolle spielen und sie bieten weit mehr als das. Denn die Verschwörungserzählungen können auch als Kompensationsmechanismus dienen, wenn Menschen einen Kontrollverlust erleben. Die Betroffenen nehmen die Welt dann zwar im Zweifel noch immer als bedrohlich wahr, das Unglück folgt dann aber zumindest einem vorhersehbaren Plan. Die Verschwörungserzählung selbst ist meist nicht schön, dafür vermittelt sie den Menschen eine Illusion der Kontrolle.

Bei der Esoterik ist das noch ausgeprägter: Deren Anhänger:innen glauben nicht nur an einen Plan, sondern sie sind zudem davon überzeugt, dass es eine spirituelle Ordnung gibt, die sie durch Rituale oder Gedankenkraft direkt beeinflussen können. Sie glauben an so etwas wie die eigene innere Göttlichkeit.

Das ist nicht so verwunderlich, wie es auf den ersten Blick scheint. Gerade wenn Gesellschaften Krisen erfahren oder Einzelne persönliche Schicksalsschläge erleiden, ist es verlockend daran zu glauben, man könne das Problem mit einem Zaubertrank, einem Amulett oder auch einer Aurachirurgie aus der Welt schaffen. Deshalb sprechen ja auch jene, die ihre Verschwörungsmythen verbreiten oder ihre Heilsversprechen buchstäblich verkaufen wollen, auch oft gezielt besonders vulnerable Gruppe an.

netzpolitik.org: Ist dieses Phänomen durch das Internet in den vergangenen Jahren größer geworden? Oder hat das Netz es nur sichtbarer gemacht?

Katharina Nocun: In gesellschaftlichen Debatten zeigt sich immer wieder ein ähnlicher Abwehrmechanismus, bei dem versucht wird, primär Technologie für problematische Entwicklungen verantwortlich zu machen. Technik spielt immer eine Rolle, keine Frage, und in diesem Fall hat das Internet sicher Einfluss. Aber als ich in den Neunzigern aufgewachsen bin, gab es an jeder Ecke esoterische Angebote. In jeder Mädchenzeitschrift gab es Specials zum Thema Pendeln oder Kartenlegen, und nachmittags wurde im Fernsehen gezeigt, wie man mit Liebeszauber-Ritualen Personen an sich bindet. Das war vollkommen normal, nicht stigmatisiert und wurde daher auch nicht als problematisch angesehen. Auch Esoterikmessen, die von Stadt zu Stadt zogen, gab es damals schon.

Und man darf eines nicht vergessen: In den Sechziger und Siebziger Jahren hat die Esoterik im Westen im Fahrwasser der Hippiebewegung einen unglaublichen Boom erlebt. Ganz nach dem Motto: „Wir suchen nach Alternativen und sind offen für alles.“ Damals wurden zwar zum einen Kämpfe für Gleichberechtigung und eine offene Gesellschaft ausgetragen. Zum anderen hat diese Zeit aber auch sektenähnliche Gruppierungen hervorgebracht, in denen Gurus folgsame Anhänger:innen um sich scharten. Diese Psychogruppen hatten mit den Ideen einer freien Gesellschaft nichts zu tun, sondern verfügten nach innen über hochgradig autoritäre Strukturen.

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Warum wir die Esoterik nicht verharmlosen dürfen

netzpolitik.org: Trotz alledem neigen wir bis heute dazu, uns über Anthroposophie, Homöopathie und Waldorfschulen lustig zu machen. Die Schattenseiten bleiben dabei meistens unbeleuchtet. Auch Teile der Demonstrierenden, die in den vergangenen Jahren gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straßen gingen, wurden als „Covidioten“ bezeichnet, ohne dass man sich eingehender mit den gesellschaftlichen Ursachen ihrer Überzeugungen beschäftigte. Nehmen wir die Probleme, die sich rund um die Esoterik ranken, ernst genug?

Katharina Nocun: In den vergangenen Monaten habe ich sehr viel mit Freunden und Bekannten über Esoterik gesprochen. Und in den allermeisten dieser Gespräche erzählte mir mein Gegenüber eine persönliche Geschichte darüber, wie die Schwester, ein Freund oder der Onkel ins Esoterikmilieu abgerutscht waren, zum Teil während der Corona-Pandemie, teilweise aber auch schon davor. Meist spielte dabei das Thema Gesundheit eine zentrale Rolle.

Ich spüre daher einen Zwiespalt. Spott und Humor können eine Kompensationsstrategie sein, die ich im Privaten natürlich auch manchmal nutze. Das tun einige, die ebenfalls Drohungen aus dem Dunstkreis des Esoterikmilieus erhalten. Aber in der öffentlichen Debatte birgt Spott das Risiko, die Gefahren zu verharmlosen, die von diesem Milieu ausgehen.

Aus diesem Grund haben wir uns auch entschieden, dieses Buch zu schreiben. Wir wollen deutlich machen, dass Esoterik alles andere als harmlos ist. Viele der Menschen, mit denen ich gesprochen haben, sagten mir auch, dass sie sich Vorwürfe machen, weil sie bereuen, erst spät interveniert zu haben, als Menschen in ihrem Umfeld abrutschten. Sie hielten Esoterik zu lange für „harmlos“. Rechtzeitiges persönliches Handeln kann entscheidend dafür sein, Schlimmeres zu verhindern. Dazu wollen wir ermutigen.

netzpolitik.org: Und gibt es politische Maßnahmen, Die du als notwendig erachtest?

Katharina Nocun: Es ist zum Beispiel fatal, dass Krankenkassen esoterische Pseudomedizin bezahlen. Denn das verleiht Zuckerkügelchen einen Anstrich medizinischer Seriosität. Auch schadet das Label „Naturheilkunde“ für esoterische Präparate jenen pflanzenbasierten Therapien, die tatsächlich evidenzbasiert gesundheitsförderlich wirken. Denn der fragwürdige Ruf esoterischer Produkte färbt dann auf sie ab. Wir brauchen daher dringend klare Trennlinien. Wenn jemand Zuckerkügelchen einnehmen möchte, dann darf er das gerne tun. Aber er sollte dann auch selbst dafür bezahlen. Und wir sollten es keinesfalls Medizin nennen.


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